Wirbelsäule: Topographie

Heilkundelexikon

Wirbelsäule: Topographie


F. Topographie der Regio vertebralis.

Durch die sehr starke, circa 4 Mm. dicke Haut des Rückens hindurch kann man einen grossen Theil der oben im Einzelnen beschriebenen Gebilde der Wirbelsäule und ihrer nächsten Nachbarschaft durch Tasten oder durch blosse Besichtigung erkennen. Selbstverständlich begegnen wir hier erheb-lichen Verschiedenheiten je nach Alter, Geschlecht, Individuen und deren augenblicklichem Status (Fett, abgelaufene Krankheiten u. dergl.).

Am Nacken (Regio cervicalis) sehen wir in der Mittellinie und ihrer Nähe eine langgezogene Vertiefung, die Nackengrube, Fovea nuchae, welche dadurch zustande kommt, dass der zwischen den Muse, biventeri (et complexi) beider Seiten ? welche als meist sehr starke Wülste vor-treten ? liegende Raum nur unvollkommen durch die Dornfortsätze nebst dem Nackenbande und lockeres Bindegewebe (Fett) ausgefüllt wird. Hier ist das Rückenmark weit weniger als an den übrigen Stellen vor mechanischen Einwirkungen (Stich, Schnitt, Stoss) geschützt, andererseits aber auch für Blutentziehungen u. dergl. leicht erreichbar, da die oberflächlichen Venen dieser Gegend mit der Vena cervicalis profunda und durch deren Vermitt-lung (s. oben) mit den Venen des Wirbelcanales zusammenhängen. Auf die oberflächliche Lage des hier sehr dünnen Trapezius und den ziemlich ex-ponirten Verlauf des N. occipitalis magnus, welcher den Muskel durchbohrt # oder an seinem äusseren Rande vortritt, soll hier besonders hingewiesen werden.

Unterhalb der Nackengrube liegt eine länglich-rhombische flache Stelle, welche der sehnigen Partie das Trapezius entspricht, mit der die Haut ziem-lich innig verwachsen ist. Diese rhombische Fläche, welche nach unten in die mediane Rückenrinne übergeht, zeigt drei, von oben nach unten an Grosse zunehmende Vorsprünge, die freien Enden der Dornfortsätze des 5., 6. und 7. Halswirbels. Diese treten, abgesehen von ihrer eigenen Ausbildung^ desto deutlicher hervor, je dünner die Haut, je schwächer das Fettpolster ist und je mehr der Nacken vorwärts gebeugt wird. Am stärksten ragt der Dorn des 7. Halswirbels (Vertebra »prominens« s. s.) hervor, nicht nur weil er der längste ist, sondern auch deshalb, weil hier die hintere Concavität der Halswirbelsäule bereits in die Convexität der Brustkrümmung überge-gangen ist. Diese Gegend ? Protuberantia nuchae ? ist übrigens individuell sehr verschieden geformt, zumal beim weiblichen Geschlecht, * bei dem sie ein Attribut der Schönheit darstellt. Die Spitzen der oberen Dornfortsätze sind wegen ihrer Kürze, der Form der Halskrümmung und der Bedeckung durch das Nackenband nicht zu fühlen oder zu sehen.

Von Einzelheiten sei noch folgendes erwähnt. Vor und lateral von der Spitze (Tuberculum anticum) des Querfortsatzes des 6. Halswirbels liegt die Carotis communis. Man kann die Arterie, sowie den nach ihr Tuberculum caroticum genannten Knochenvorsprung, den vorderen Höcker des Querfort-satzes des 6. Halswirbels, beim Lebenden durch die Weichtheile hindurch, von vorn oder der Seite her durchfühlen. Am Epistropheus wird manchmal die Epiphyse des Dornfortsatzes zu einem getrennten Knöchelchen. (Ver-wechslung mit Fraktur). Frakturen an der Spitze des 7. Dornfortsatzes können ohne jegliche andere Verletzung vorkommen.

Am Brusttheil der Wirbelsäule, am Rücken im engeren Sinne, finden wir in der Mittellinie oder an den oberen Wirbeln ein wenig nach rechts von ihr eine Rinne, welche rechts und links von langen Wülsten begrenzt wird. Die Rinne ? Rückenrinne ? ist im Allgemeinen beim Weibe deut-licher entwickelt als beim Manne. Bei corpulenten Leuten ist der Boden der Rinne regelmässig concav, bei mageren treten die Spitzen der Dorn-fortsätze deutlich als rundliche Erhebungen vor. Bei sehr mageren Menschen kann man auch noch das Lig. apicum durchsehen. Auf die Asymmetrie der oberen, meist des 4. -7. Dornfortsatzes, wurde schon oben bei Beschreibung des Skelets hingewiesen. In der Mehrzahl der Fälle liegt aber nicht nur eine Abweichung der Dornen, sondern auch eine schwache Ausbiegung der ganzen Wirbelsäule nach rechts hin vor, welche man auf den vorwiegenden Gebrauch des rechten Armes zu beziehen pflegt ? und wohl mit Recht. Die Längswülste neben der Rinne rühren selbstverständlich vom Extensor communis her, der durch die dünnen Ursprungsfasern oder Aponeurosen des Cucullaris, Latissimus, der Serrati postici, Rhomboidei hindurch leicht gesehen und gefühlt wird. Von der achten Rippe an nach unten wird der Längswulst lateralwärts durch eine senkrechte Furche begrenzt, welche der Stelle entspricht, wo das oberflächliche Blatt der Fascia lumbodorsalis sich mit dem tiefen vereinigt (Ursprung des Obliquus abdominis internus und Transversus), wichtig für die Exstirpation der Niere. Auch am Lendentheil der Wirbelsäule ? Regio lumbalis medialis s. spinalis abdominis ? begegnen wir einer medianen Rinne, der Lenden-furche, welche entsprechend der starken Convexität der Wirbelsäule nach vorn, besonders beim Weibe auch von oben nach unten deutlich vertieft (concav) ist. In ihr sind die Enden der Dornfortsätze als länglich rundliche Höcker zu sehen oder doch ? bei fetten Individuen ? zu fühlen. Eine die höchsten Punkte der Darmbeinkämme beider Seiten verbindende wagerechte Linie trifft gewöhnlich den unteren Rand der Spitze vom Dornfortsatze des 3. Lendenwirbels oder geht zwischen dem 3. und 4. Dornfortsatze hindurch.

Man kann so die Lage des 5. Dornfortsatzes bestimmen (Beckenmessung). Hier ist die Stelle für die Lumbalpunction, zwischen 2. und 3. oder 3. und 4. Lendenwirbel (s. den Art. Lumbalpunction).

Die den unteren Abschnitten der Wirbelsäule entsprechende Körper-gegend wird als Regio sacro-coccygea bezeichnet. Diese Gegend wird durch die starke Ausbildung der Hinterbacken, Clunes, welche weit über das Darmbein nach innen übergreifen, wesentlich eingeschränkt. Man findet so als knöcherne Grundlage der Regio glutaea theilweise auch das Kreuzbein. Als Kreuzgrube oder »Kreuz« im engeren Sinne kann man die in der Verlängerung der Lendenfurche liegende flache Grube bezeichnen, welche dem Uebergange der Lenden in die Kreuzkrümmung der Wirbelsäule ent-spricht. Das untere Ende der Region ist nur bei sehr mageren Menschen in Gestalt eines rundlichen Höckers sichtbar, welcher durch die Steissbein-spitze hervorgebracht wird. Bei gut genährten Individuen ist diese nur dem Tastgefühl zugängig. »Bei gewöhnlicher Neigung des Beckens steht dieselbe bei aufrechter Position des Rumpfes um 18 Mm. höher als der Scheitel des Schoossbogens, also auch weit über den tiefsten Punkten der Sitzbeinhöcker, so dass die Körperlast beim Sitzen auf die Steissbeinspitze ohne Einfluss ist« (Luschka). Durch das Aneinanderliegen der Hinterbacken wird diese ganze Partie nach hinten hin bedeckt und geschützt. Für Inspection und Palpation muss die Crena s. Rima clunium manuell geöffnet werden. Diese Spalte geht nach oben hin in ein dreieckiges, zwischen den inneren Rändern der Darm-beine (Cristae ilium) gelegenes Feld über. Je schwächer das Fett und je stärker die Musculatur entwickelt ist, desto mehr treten auch hier paarige Längswülste ? Ursprung des Muse, extensor trunci ? hervor. Bei mageren Individuen ist das Relief der hinteren Kreuzbeinfläche deutlich durchfühlbar, ja bis zu einem gewissen Grade sichtbar. Die Haut ist hier wenig verschieb-bar, das Subcutaneum im Gegensatze zu den Clunes fettarm. Häufig findet sich in der Gegend des Hiatus sacralis, am 4. oder 5. Kreuzwirbel, ein Schleimbeutel, Bursa mueosa sacralis, der im ausgedehnten Zustande die Grosse einer »welschen Haselnuss«, ja eines Taubeneies erreichen kann.

Die fibrösen Bildungen, welche den hier (s. oben) nach hinten offenen Wirbelcanal bedecken und schützen, kann man in vier Schichten theilen. Die oberflächlichste wird von der Aponeurose des Latissimus dorsi (ober-flächliches Blatt der Fascia lumbodorsalis), die zweite von den sehnigen, schräg oder quer verlaufenden Ursprungsfasern des Glutaeus maximus ge-bildet. Dann folgt drittens die stärkste, mehrere Millimeter dicke Schicht des Sehnenursprunges von Longissimus dorsi (s. oben). Die' tiefste Schicht bilden Bänder von etwa 3 Mm. Dicke, welche im Niveau der Knochenränder liegen.

Während die Muskeln an der Rückseite des Kreuzbeins nach unten hin immer schwächer werden, so dass das Steissbein, abgesehen von dem schwachen, oft sehnigen oder fehlenden Extensor caudae s. coecygis, hinten von Muskelsubstanz frei ist, entspringen an den Seitenrändern des Steiss-beines und an seiner Vorderfläche Muskeln, wie der Glutaeus maximus, Le-vator ani, Coccygeus, Sphincter ani. An dem Ursprünge dieser letzteren bildet sich öfter ein Schleimbeutel aus ? Bursa mueosa coccygea ?, der gelegentlich anschwellen kann. An der Spitze des Steissbeines liegt die von Luschka entdeckte Steissdrüse, Glandula coccygea, welche zum Ausgangs-punkt von Cysten werden kann.

Von Organen, welche vor der Wirbelsäule liegen und durch diese Lage erhöhte Wichtigkeit erlangen, seien folgende genannt: Vor der Halswirbei-säule liegt der Pharynx (Schuss in den Mund, Medulla oblongata), dann der Oesophagus, der nach links von der Mittellinie abweicht. Die Carotis, communis wurde oben bereits erwähnt. ? In der Brust ist vor allem die
Aorta thoracica zu nennen, die der Wirbelsäule vom 3. oder 4. (5.) Brust-wirbel an anliegt. Zunächst liegt die Aorta ganz links, sie nähert sich dann allmählich der Mittellinie, welche sie erst nach dem Durchtritt durch den Hiatus aorticus des Zwerchfells erreicht. Neben der Aorta liegen V. azygos (rechts) und Hemiazygos (links), Ductus thoracicus (meist rechts). Die oberen Lendenwirbelkörper und der betreffende Theil des Lig. longitudinale anticum dienen den vertebralen Schenkeln des Zwerchfells zum Ursprünge. Dicht darunter liegt in der Höhe des ersten Lendenwirbels das Pankreas. Neben der Wirbelsäule, von der Höhe der Mitte des 12. Brustwirbels an bis zur Symphyse, zwischen 2. und 3. Lendenwirbel liegen die Nieren, besonders nach oben zu den betreffenden Querfortsätzen ganz nahe. Die Aorta ab-dominalis kann bekanntlich bei sehr schlaffen Bauchdecken (z. B. Wöchne-rinnen) gefühlt und gegen die Lendenwirbel comprimirt werden. Rechts neben der Aorta liegt die V. cava inferior. Des Sympathicus wurde oben ge-dacht. Am unteren Rande des 4. Bauchwirbels theilt sich die Aorta in die beiden Iliacae communes, d. h. sie giebt eigentlich diese als Aeste ab und geht als Sacralis media in der Mittellinie bis zum Kreuzbein weiter. An den Körpern und Querfortsätzen der fünf Lendenwirbel, auch noch vom Körper des 12. Brustwirbels entspringt der Psoas major, von der Vorderfläche des Kreuzbeins, im Bereiche des 2. bis 4. Wirbels und meist noch von der Kapsel der Articulatio sacro-iliaca der Piriformis; beide Muskeln sind be-kanntlich beim lebenden Weibe von der Scheide aus fühlbar. Ebenso können die starken oberen Stränge des Plexus sacralis in der Nähe der For. sacralia anteriora durchgetastet werden.


Hinweis:
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem Text auf dieser Seite um einen Auszug aus einem über hundert Jahre alten Fachbuch der Medizin handelt.
So entsprechen vor allem die genannten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen nicht dem aktuellen Stand der Medizin, die Anwendung kann nicht nur die Diagnose einer Erkrankung verzögern, sondern auch direkt den Körper schädigen.

Hinweis: Der Text auf dieser Seite entstammt einem über einhundert Jahre alten Fachbuch. Daher entsprechen die gemachten Angaben nicht dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Verwenden Sie niemals die angegebenen Rezepturen und Heilmethoden, da sie gesundheitsgefährdend seien können.