Wirbelsäule: Entwicklung

Heilkundelexikon

Wirbelsäule: Entwicklung


D. Entwickelung und Wachsthum der Wirbelsäule.

Embryonal wie phylogenetisch bildet die Chorda dorsalis oder Rückenseite die ursprüngliche Anlage des Achsenskelets, der späteren Wirbel-säule. Wie man jetzt weiss, entsteht die Chorda aus dem inneren Keim-blatte, und zwar an der Stelle, wo dasselbe in das mittlere Blatt übergeht.

Dorsal von der Chorda liegt das Medullarrohr, ventral die Körperhöhle, später Herz und grosse Gefässe. Die Chorda ist ursprünglich, wie alle anderen Organe, ein epitheliales Gebilde; die Zellen nehmen aber bald einen blasigen Charakter an und sind später von solchen der Bindesubstanzen wenig verschieden. Umgeben ist die Chorda von der inneren und äusseren Scheide; letztere wird auch als »skeletogene Substanz« bezeichnet. Hier tritt zuerst Knorpel auf, der nach aussen und innen wächst, dadurch die Wirbel-bogen und Fortsätze, andererseits den Wirbelkörper, und zwar durch Ver-drängung der Chordasubstanz bildet. Ein vollständiges Verschwinden der Chorda findet aber (s. o.) nicht statt. Das Auftreten von Knorpel um die und an Stelle der Chorda erfolgt segmental, nicht continuirlich. Von Jedem Wirbelkörper geht dorsalwärts jederseits eine schmale Spange ab, welche sich in der dorsalen Mittellinie erreichen und hier verschmelzen. Der so entstandene Bogen entsendet dann später die Gelenk-, Querfortsätze und den Dornfortsatz. ? Zwischen den knorpeligen Anlagen der Wirbelkörper bleiben perichordale Gewebstheile übrig, welche zu Intervertebralscheiben werden, deren Gewebe (s. o.) vom Knorpel verschieden ist. In der Mitte der Scheiben persistirt nicht nur das weiche Chordagewebe, sondern es vergrössert sich erheblich, wobei es noch weicher, flüssiger wird. Dies ist der oben beschriebene »Kern«, Gallertkern, Nucleus pulposus, Pulpa.

Die Verknöcherung des knorpeligen Wirbels erfolgt von drei oder vier Punkten aus: ein paariger, vielleicht von Beginn an, jedenfalls aber sehr früh schon unpaarer Knochenkern im Wirbelkörper, je einer in jeder Bogen-hälfte, nahe der Wurzel. Von hier aus verknöchern dann auch ? aber sehr langsam ? die Fortsätze. Um die Zeit der Geburt sind die hinteren Theile der Bogen, nahe der Mittellinie, die Dornfortsätze und zum grossen Theile auch die Gelenk- und Querfortsätze noch knorpelig. An den freien Enden aller Fortsätze persistirt der Knorpel im ersten und zweiten Jahrzehnte Im 8. ?15. Jahre treten hier neue Knochenkerne auf, die im 16. ?25. Jahre mit dem Reste des Wirbels sich knöchern vereinigen. Um die Pubertätszeit treten ferner die platten, dünnen Epiphysenkerne am Wirbelkörper (oben und unten) auf, welche in der 2. Hälfte des 2. Jahrzehnts knöchern mit der Körperdiaphyse verschmelzen. Das um die Pubertätszeit so auffallend starke Längenwachsthum des Körpers ist zum grossen Theile auf das Erscheinen der Wirbelkörper-Epiphysen zurückzuführen. Dass auch nach Vollendung des Wachsthums an der oberen und unteren Fläche des Wirbelkörpers, ferner, im Bereiche der Brustwirbelsäule, an den oberen und unteren Ecken des-selben, an den Gelenkflächen der Proc. obliqui und an den Brustwirbeln vorn am freien Ende der Querfortsätze Knorpel persistirt, wurde oben bei Beschreibung der Knochen hervorgehoben.

Nach Vollendung des Wachsthums zeigt die Wirbelsäule ? ganz ab-gesehen von der absoluten Länge ? eine von der embryonalen und jugend-lichen erheblich abweichende Form, das heisst die MassVerhältnisse der einzelnen Abschnitte sind andere geworden. Die Lendenwirbelsäule des Er-wachsenen ist (nach Aeby) verhältnissmässig länger, die Hals Wirbelsäule um ebensoviel kürzer als diejenige des Kindes, die Brustwirbelsäule erscheint bei beiden gleichwertig. Die erwachsene Wirbelsäule ist in allen, nament-lich in den oberen Theilen, schlanker als die kindliche. Die damit ver-bundene Breitenabnahme ist nicht blos allgemeiner, sondern im Ganzen auch bedeutender als die Dickenabnahme. Der Wirbelcanal ist beim Erwachsenen nicht allein im Verhältniss zur Länge der Wirbeisäule, sondern auch im Ver-gleich mit den Querdurchmessern der Wirbelkörper im ganzen enger als beim Kinde. Kindliche und erwachsene Wirbelsäulen enthalten verhältniss-mässig gleich viel Bandmasse, jedoch in verschiedener Vertheilung. Die Wirbelsäule des Erwachsenen zeichnet sich vor der des Kindes durch grössere
Ungleichartigkeit ihrer »Bausteine« (Wirbelkörper, Zwischenscheiben etc.) aus. Das Geschlecht hat auf den Gang und den schliesslichen Erfolg der ganzen Entwicklung der Wirbelsäule keinen Einfluss (Aeby). Zu etwas abweichenden Ergebnissen über diese Fragen gelangte Ra-venel. Nach diesem ist die Wirbelsäule erwachsener Weiber absolut kleiner als die von Männern. Bei der erwachsenen Wirbelsäule sind die Vorder-und Rückseite nicht gleichartig. Letztere ist kürzer, und zwar bei Weibern in höherem Grade als bei Männern. Der Lendentheil spielt dabei die Haupt-rolle. Die weibliche Wirbelsäule unterscheidet sich von der männlichen haupt-sächlich durch stärkere Lendenkrümmung. Die Wirbelsäule Neugeborener besitzt weder Unterschiede der Vorder- und Rückseite, noch des Geschlechtes. Ihre Umprägung in die erwachsene Form vollzieht sich durch rascheres Wachsthum an den convexen, langsameres an den concaven Stellen.
Ueber die Verschiebungen zwischen Wirbelsäule und Rückenmark während des Wachsthums s. u.


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