Wunden: Wundbehandlung

Heilkundelexikon

Wunden: Wundbehandlung


Aus dem vorausgehenden Abschnitte ist ersichtlich, dass das Ideal der Wundheilung in der Heilung per primam intentionem zu suchen ist, da nur bei dieser eine nahezu vollkommene Regeneration eines Theiles der verletzten Gewebe stattfinden kann. Dieser Thatsache ist man sich von Alters her bewusst gewesen und darauf gründen sich alle Versuche, die Wundflächen in möglichst genaue Berührung zu bringen und darin zu erhalten, welche so alt sind wie die Kunst überhaupt. Allein da den ausübenden Chirurgen die Erfahrung nicht erspart blieb, dass ein solches Vorgehen unter Umständen höchst bedenkliche Folgen haben kann, so sehen wir bei der Unkenntniss der letzten Bedingungen dieser Misserfolge die Wundbehandlungsmethoden der verschiedenen Jahrhunderte in fortdauernden Gegensätzen sich bewegen, entsprechend den Schlussfolgerungen, welche die besseren Köpfe aus ihren mehr oder weniger unbefangenen Beobachtungen am Krankenbette zogen. Bald wird die Naht gepriesen, bald vollständig verworfen, hier sucht man die Ursachen der Misserfolge in der Art des Nahtmateriales, dort in Jener der angewandten Salben und Pflaster, bald ist es die Luft und ihr Sauerstoff, welche den Wund verlauf in schädlicher Weise beeinflussen, bald die Form der Wunden, bald die Constitution des Kranken. Die nachdrücklich festgehaltene Beobachtung, dass Verletzungen mit in-tacter Haut, mögen sie übrigens auch noch so schwer sein, keine so auffallenden Verschiedenheiten des Heilungsverlaufes aufweisen, bringt allerdings wenigstens einen festen Punkt in die Anschauungen; aber erst der neuesten Zeit blieb es vorbehalten, die letzten Quellen der Gefahren klar zu legen. Der Name Joseph Lister's wird mit dieser Wendung der Wundbehandlung stets eng verknüpft bleiben, mag auch seine Behandlungsmethode noch so vielfältig umgestaltet und vereinfacht worden sein.

Es kann nicht die Aufgabe dieses Artikels sein, all den verschiedenen Schwankungen auf diesem Gebiete nachzugehen und die daraus entsprungenen Behandlungsmethoden aufzuzählen und zu besprechen, da manche derselben es nur zur Anpreisung von Seiten ihres Erfinders gebracht haben; indessen ist es doch nöthig, diejenigen Methoden einzeln zu beleuchten, weiche auch heute noch ein gewisses Interesse, zum Theil freilich rein theoretischer Natur, beanspruchen dürfen. Auf die Frage, welche Bedingungen nach unseren heutigen Anschauungen eine gute Wundbehandlungsmethode zu erfüllen hat, ist die Antwort dahin zu geben, dass diejenige Methode die beste ist, welche die Wunde am besten vor jeder Reizung schützt. Zu diesen Reizungen gehören zunächst alle mechanischen Störungen des Heilungsverlaufes, sei es, dass dieselben durch unzweckmässige Lagerung, drückenden und die Circulation beeinträchtigenden Verband, durch häufigen Verbandwechsel oder durch häufige Untersuchungen hervorgerufen werden. Ein erstes Erforderniss ist demnach die Ruhestellung des verletzten Körpertheiles und möglichste Vermeidung jeder ferneren Beunruhigung. Noch wichtiger als die mechanischen sind aber die chemischen Störungen des Wundverlaufes: die chemische Umsetzung der Wundflüssigkeiten mit dem Ausgange in Fäulniss, durch welche Entzündung der Wunde, Schmerz, Eiterung und Fieber hervorgerufen werden. Wir wissen jetzt, dass diese Veränderung von Blut und Lymphe geknüpft ist an das Eindringen von Mikroorganismen in die Wunde und deren rapide Vermehrung und Weiterentwicklung auf einem günstigen Nährboden; und zwar geschieht die Einwanderung der gefährlichen Mikrobien zum allergeringsten Theile auf dem Wege der Luftinfection, der man früher mit Lister eine grosse Bedeutung beizulegen geneigt war, sondern fast ausschliesslich durch Contactinfection, indem das verletzende Instrument die Bakterien entweder in die Wunde reisst, oder indem sie von den Hauträndern her in die Wunde hineinwachsen; selten endlich auf dem
Wege der Blutbahnen (Autoinfection). Demnach muss die zweite, wichtigste Aufgabe jeder Wundtherapie bestehen entweder in der Verhinderung des Eindringens dieser Schmarotzer in die Wunde, oder in deren nachträglicher Zerstörung, oder endlich in der Herstellung von Bedingungen, welche ihrer Weiterentwicklung ungünstig sind. Freilich ist es ausserordentlich zweifelhaft geworden, ob, beziehungsweise bis zu welchem Grade die beiden letzten Bedingungen zu erfüllen sind. Nachdem Schimmelbusch20) durch eine Anzahl classischer Experimente den Nachweis geliefert hatte, dass von frischen Wunden aus eine so schnelle Aufnahme pathogener Mikrobien stattfinde, dass* dieselben schon nach fünf Minuten in inneren Organen nachgewiesen werden können, schien die Frage im Sinne therapeutischer Ohnmacht entschieden zu sein. Allein gegen diese experimentellen Thatsachen, welche mit den Erfahrungen am Krankenbette in einem unlösbaren Gegensatze stehen, hat sich ein immer wachsender Widerspruch erhoben (Riggenbach21), Friedrich22), Brunner 2S). Wir wissen jetzt, dass die von Schimmelbusch angestellten Versuche aus dem Grunde nicht massgebend sein können, weil sie mit frisch gezüchtetem und hoch virulentem Materiale angestellt wurden, während die aus der freien Natur in die Wunde übergeführten pathogenen Mikrobien eine gewisse Zeit ? Friedrich rechnet 6 Stunden ? brauchen, um auszukeimen und sich dem neuen Nährboden anzupassen. Auch haben Riggenbach und Brunner den Nachweis erbracht, dass die Antiseptica in verdächtigen oder verunreinigten Wunden keineswegs so unwirksam sind, wie man eine Zeit lang anzunehmen geneigt war. An der Hand dieser Thatsachen wollen wir versuchen, die zum Theil noch jetzt geübten Wundbebandlungsgruppen kritisch zu beleuchten.

1. Die Deckverbände verdanken ihre Anwendung der Idee, dass einerseits die Wunde vor dem Einfluss der Luft und ihrer Temperatur-Schwankungen, insbesondere vor der schädlichen Einwirkung des Sauerstoffs geschützt werden müsse, während andererseits die Wundflüssigkeiten durch ein passendes Material aufzufangen seien, um Wäsche und Bettzeug vor der Beschmutzung zu sichern. Man benutzte zu diesem Zwecke Charpie, die aus alter Leinwand, häufig in den Krankenräumen selber, gezupft wurde, später, als die Gefährlichkeit dieses Materials so manchem Chirurgen klar wurde, eine Reihe von anderen Stoffen, wie Lint, Wolle, getheerten Schiffswerg (Oakum), Sägespäne u. dergl. Manche dieser Neuerungen entstanden bereits unter dem Einflüsse der ersten Entdeckungen über pflanzliche Mikroparasiten, so z. B. die Anwendung der mannigfachen, mehr oder weniger antiseptischen Flüssigkeiten, mit welchen die Verbandmaterialien befeuchtet wurden. Wenn dies geschah, so wurde der ganze Verband mit einem undurchlässigen Materiale überdeckt, um eine zu schnelle Verdunstung der Feuchtigkeit zu verhindern. Die Drainage geschah in der Regel nur durch die zu den Wundwinkeln herausgeleiteten Unterbindungsfäden. Dies Herumtasten nach den aller verschiedensten Dingen war ebenso unklar, als die Voraussetzungen, nach denen man die Verbände anlegte. Keiner einzigen der oben festgestellten Bedingungen für einen guten Verlauf wird in vollem Umfange Rechnung getragen. Die starke Eiterung machte häufigen Verbandwechsel und damit fortdauernde Störungen der Wunde nöthig, die Keime vermochten von allen Seiten einzudringen, ja sie wurden durch die unreine Charpie und ähnliche Dinge häufig genug direct übertragen, die feuchte Wärme unter dem Verbände begünstigte ihre Entwicklung im stärksten Masse. Wenn dennoch hier und da die Resultate immer noch leidlich gewesen sind, so ist das wunderbar genug; aber wie schlimme Verhältnisse auch durch diese Behandlungsmethode grossgezogen werden konnten, das zeigen vielfache Erfahrungen in inficirten Krankenhäusern und in überfüllten Kriegshospitälern. Zur Charakterisirung genüge die eine Angabe, dass im Berliner
Krankenhause Bethanien im Jahre 1869 von 11 Fingeramputationen 6 durch Pyämie tödlich endeten; eine solche Zeit kann und darf niemals wiederkehren. Dabei sei übrigens hervorgehoben, dass die Charpie an sich ein sehr zweckmässiges Verbandmaterial darstellt, aber unter der Voraussetzung, dass sie keimfrei gemacht worden ist. Da die Sterilisation des Stoffes leicht zu erreichen ist, so ist eine erneute Verwendung der Charpie keineswegs ausgeschlossen.

2. Die offene Wundbehandlung bildet in ihren ersten Anfängen eine vernünftige Reaction gegen das Ausstopfen und Zusammenpressen der Wunden mit zweifelhaftem Verbandmaterial. Es war der berühmte Wiener Chirurg Vincenz v. Kern, welcher im Anfange des 19. Jahrhunderts in mehreren Schriften24) seine neue Behandlungsmethode vertheidigte. Sie bestand in Bedeckung der Wunden nur mit feuchten Compressen und zweckmässiger Lagerung des verwundeten Körpertheils, um den Abfluss zu begünstigen. Immerhin wurde von Kern noch bei manchen Wunden eine Vereinigung zugelassen, während seine Nachfolger Bartscher und Vezin in Osnabrück und Burow in Königsberg mehr und mehr von der Naht absahen; nach der von Billroth und Rose geübten Methode wurde endlich jede Art der Vereinigung und jede Bedeckung der Wunde durchaus verworfen. Der Verwundete ward nur zweckmässig gelagert, die Wundsecrete in einer untergestellten Schale aufgefangen. Blut und Lymphe bilden schon nach 24 Stunden auf der Wunde ein festhaftendes Gerinnsel, Fieber, Schmerz und Schwellung der Ränder fehlen in der Regel vollkommen. Die oberflächlichen Schichten des Coagulum trocknen ein, während von der Unterlage her geringe Mengen einer schleimigen, mehr und mehr eiterig werdenden Flüssigkeit geliefert werden. Weiteres ist nicht zu beobachten, bis nach 2?3 Wochen der Schorf abfällt; dann findet man eine bereits ganz erheblich verkleinerte Wundfläche, welche von wenig üppigen Granulationen bedeckt ist. Die geschilderte Scene wiederholt sich nun noch einmal oder mehrmals, bis in ungemein langsamer Weise (eine Amputationswunde z. B. braucht 5?8 Wochen bis zur Vernarbung) die Heilung erfolgt. Die Haut wird von allen Seiten concentrisch herangezogen, die Narbe bleibt breit und meistens unschön. Die Behandlungsmethode legt sichtlich den Hauptnachdruck auf den freien Abfluss der Wundsecrete und damit zugleich auf eine möglichst vollständige Ruhe des verwundeten Körpertheils; und wieviel mit Erfüllung dieser beiden Bedingungen erreicht wird, das wird aus Krönlein's 2ö) Statistik ersichtlich, welche die Resultate der offenen Behandlung in einem sehr guten Lichte erscheinen lässt. Verfasser kann nach eigenen Erfahrungen die KRöNLEiN'schen Mittheilungen nur bestätigen. Offenbar finden die Mikroorganismen, welche übrigens freien Zutritt zur Wunde haben, in dem allmählich eintrocknenden Secrete einen so ungünstigen Entwicklungsboden, dass sie nur selten schädliche Wirkungen auf die Heilungsbestrebungen zu äussern vermögen.

3. Die Wundheilung unter dem Schorfe. Dass bei manchen complicirten Fracturen mit kleiner Wunde sich ein fester, trockener Schorf bildet, welcher die Heilung wie bei subcutanen Knochen zustande kommen lässt, ist eine bereits sehr alte Beobachtung. Die Benutzung solcher Beobachtungen zur Empfehlung einer besonderen Behandlungsmethode bei gewissen Verletzungen wird in der Regel John Hunter-6) zugeschrieben, obwohl ähnliche Angaben sich bereits vor ihm in der englischen Literatur finden. Seitdem, d. h. seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, ist diese Behandlung in England vielfach, in Deutschland hier und da geübt worden. Es eignen Mch dazu am meisten flache Wunden im Gesichte und offene Knochenbrüche mit kleiner Hautwunde, insbesondere die sogenannten Durchstechungsfrac-turen. Die frische Wunde wurde mit geschabter Charpie oder
Watte bedeckt und der Bausch solange mit Fingern, Binden oder Pflasterstreifen angedrückt gehalten, bis er festhaftete. Der Verlauf pflegte dann häufig, wenn auch nicht immer, völlig fieberlos zu sein. Die ersten Versuche Lister's gingen ebenfalls auf die Bildung eines Schorfes, aber eines aseptischen Schorfes hinaus und dies Verfahren ist im Jahre 1873 noch einmal durch Trendelenburg27) warm empfohlen worden. Man drückt auf die Hautwunde ein kleines Bäuschchen Charpie, welches mit unverdünnter Carbolsäurelösung getränkt ist; darüber kommt bei Fracturen ein Gypsverband. Aseptische Schorfbildung wird weiterhin durch Auflegen eines Stückes Borlint auf flache Wunden, ferner durch Aufstreuen von Jodoform erzielt, welches eine festhaftende Kruste herstellt. Auch das Aufstreichen von antiseptischem Collodium (9 auf je 1 Jodoform oder Salicylsäure) auf kleinere Wunden ist zur aseptischen Schorfbildung zu rechnen. In letzterer Beziehung ist das Verfahren durchaus empfehlenswerth.

4. Die antiseptische und aseptische Wundbehandlung (s. die Artikel Antisepsis und Antiseptica). Die antiseptische Wundbehandlung hat mit Recht alle übrigen Behandlungsmethoden nahezu vollkommen verdrängt; nur ausnahmsweise und nur im Nothfalle kann daneben noch etwa die Schorfheilung und die offene Wundbehandlung als verhältnissmässig ungefährlich in Frage kommen. Wenden wir uns nunmehr zu der Art und Weise des Verhaltens, welches dem Arzte einer Wunde gegenüber anzurathen ist. Wir haben zu diesem Zwecke drei Gruppen von Wunden zu unterscheiden, wie sie durch die Verschiedenartigkeit ihrer Heilungstendenz gegeben sind.

Gruppe I. Wunden, welche eine Heilung per primam intentionem zulassen. Es giebt eine Reihe von Wunden, welche schon an sich eine grosse Neigung zur primären Vereinigung haben und welche daher auch früher grösstentheils ohne Eiterung heilten. Dahin gehören die meisten frischen Wunden des Gesichts und die einfachen Wunden des Kopfes, während alle Lappen- und Höhlenwunden früher nur mit Eiterung zu heilen vermochten. Dessenungeachtet wird auch den erstgenannten Wunden gegenüber nur mit peinlichen antiseptischen Massregeln vorgegangen werden dürfen, wie beschrieben worden sind. Solche Verletzungen erfordern die primäre, seltener die secundäre Naht, antiseptischen Druckverband und vollständige Ruhestellung des fraglichen Körpertheiles. Dies Verfahren kann fast bei allen Wundformen zur Anwendung kommen, bei Schnitt und Hiebwunden unmittelbar, während bei Stichwunden meistens vorher eine Untersuchung auf Fremdkörper stattfinden muss, die mittels der Aktinographie ohne jede Beunruhigung der Wunden vorgenommen werden kann, während ferner bei Riss- und Quetschwunden die Abtragung und Glättung der Wundränder erfolgen muss, ehe die Naht angelegt werden kann. Schusswunden nehmen eine eigene Stellung ein. Es soll indessen hier nur darauf aufmerksam gemacht werden, dass eine Anzahl derselben per primam intentionem zu heilen vermag, während wir uns eine zusammenfassende Besprechung der Behandlung der Schusswunden für die nächste Gruppe vorbehalten.

Gruppe II. Wunden, welche unter einem trockenen oder feuchten Schorfe zur Heilung kommen. Es handelt sich um Wunden, welche durch versenkte Flächennähte in einfache Schnittwunden verwandelt werden (s. Bd. I, pag. 717), ferner um Wunden mit so ausgedehnten Haut-defecten, dass dieselben nicht mehr durch die Naht geschlossen werden können, selbst wenn man, was erlaubt ist, die Hautränder mit ziemlicher Kraft herbeizieht; endlich um Quetsch-, Riss- und Schusswunden, bei denen voraussichtlich ein Theil der gequetschten Haut oder der übrigen Weich-theile absterben wird.


Die Bildung eines trockenen Schorfes wird bei allen Abschürfungen, deren Heilung sonst zuweilen schmerzhaft und langwierig ist, durch Aufstreichen von Jodoformcollodium angestrebt; ferner bei den durch Etagennähte geschlossenen Wunden. Für diese Art der Behandlung empfehlen sich a) die Bauchwunden, bei welchen die Bauchwand in ganzer* Dicke zuerst durch Silberdrähte, Bauchfell und Bauchmuskeln durch je eine Nahtreihe von Catgut zusammengezogen werden, während die Haut durch eine Seidennaht geschlossen wird; b) Dammrisse und alle in der Nähe von After und Vagina oder am Scrotum vorkommenden trichterförmigen Wunden; c) W^unden nach Herniotomien und Radicaloperationen von Brüchen, bei welchen diese Nahtmethode mehr als all§s andere vor Recidiven schützt. An die Stelle eines Verbandes tritt einfache Bepinselung mit Jodoformcollodium. Auch bei Defecten im Gesichte, insbesondere solchen, welche nach plastischen Operationen übrig bleiben, strebte man früher eine Schorfheilung unter einer Schicht Jodoformpulver an. Diese Behandlungsart ist indessen verlassen, seitdem man in dem Pfropfungsverfahren nach Thiersch28) ein Mittel kennen gelernt hat, um solche Defecte bei weitem schneller und schöner zu heilen als bisher.

Den feuchten Blutschorf beobachtet man am besten an grossen, flachen Wunden, welche sich durch die Naht nicht schliessen lassen und bei denen auch die Hautpfropfung nicht gut anwendbar ist. Unter entsprechender Behandlung (s. Artikel Antisepsis, Bd. I, pag. 717) entsteht ein schwarz-rothes Coagulum, welches die ganze Wunde überzieht, ihr fest anhaftet und sehr langsam verschwindet.

Eine besondere Besprechung erfordern die Schusswunden. Es unterliegt keinem Zweifel, dass man die Schussverletzungen des Friedens behandeln muss wie man jede andere Wunde behandelt, dass insbesondere jede Schussfractur nach denselben Regeln behandelt werden muss wie eine complicirte Fractur. Man wird deshalb jede frische Schusswunde ohne Bedenken erweitern und nach steckengebliebenen fremden Körpern zu untersuchen haben; selbst die Schädelschüsse mit steckengebliebenem Geschoss sind davon nicht ausgenommen, vielmehr wird man zu enge Eingangsöffnungen durch Schnitt und Meisseltrepanation erweitern, um eine vorsichtige Untersuchung des Gehirns mit dem Finger zu ermöglichen. Ebenso werden enge Schusscanäle in anderen Knochen dreist mit dem Meissel zu erweitern sein, um den verborgenen Sitz der Kugel zu entdecken und dieselbe auszuziehen. Im übrigen besteht die Behandlung in antiseptischem Verbände und Feststellung des Gliedes wie bei allen übrigen Wunden, wie es besonders alle Continuitätstrennungen des Knochens nöthig machen. Indessen darf man sich nicht verhehlen, dass es ein Moment giebt, welches schon bei Friedensverletzungen, die mit allem Aufwand antiseptischer Vorbereitungen behandelt werden können, auch die strengste Antisepsis zu vereiteln imstande ist: das ist das Mitreissen von Fremdkörpern, insbesondere Kleiderfetzen, Haaren u. s. w. und deren Einfilzung in die Gewebe. Noch vielmehr aber findet dies auf die Schussverletzungen im Kriege Anwendung, für deren regelrechte Behandlung nicht selten alles mangelt, Zeit, Kräfte, antiseptisches Verbandmaterial, häufig sogar das
Wasser, um den beschmutzten Körper des Verwundeten überhaupt nur zu reinigen.

Es ist zweifellos, dass der Versuch einer allgemeinen Uebertragung der Friedenstherapie auf das Schlachtfeld, die Erweiterung und Untersuchung der Wunden u. s. w. zu ungünstigen Resultaten führen müsste und vielfach geführt hat. Wollte man aber mit Einleitung dieser Therapie bis zur Ueberführung des Verwundeten in ein festes Kriegslazareth warten, so würde, da darüber nicht nur Stunden, sondern zuweilen Tage vergehen, das Schicksal des Verwundeten im ungünstigsten Sinne bereits entschieden sein. Nun weiss man schon seit lange, dass Schussfracturen, welche sofort mit einem festen Gipsverbande behandelt wurden, nicht selten unter demselben äusserlich sofort verheilten oder doch nur eine geringfügige Eiterung an den Schuss-?öffnungen zustande kommen Hessen; ja es gehört die Einheilung von Fremdkörpern aller Art, ohne jede Eiterung, durchaus nicht zu den Seltenheiten, ?wie denn Bergmann29) z. B. die reactionslose Einheilung eines Geschosses mit Tuchfetzen selbst im Kniegelenke beobachtet hat. Daraus geht die un-abweisliche Forderung hervor, die Schussfracturen vor allen Dingen mit« einem festen Verbände zu versehen und alle anderen Schussverletzungen nach Möglichkeit festzustellen. Im übrigen hat man sich geholfen, wie es gerade anging. Bergmann (1. c), dem es im russjsch-türkischen Kriege selbst; an Wasser mangelte, wickelte die verletzte Extremität ohne Untersuchung der Wunde in Salicylwatte ein und legte darüber einen Gipsverband; Heyher86), der unter bei weitem günstigeren Verhältnissen in Transkaukasien wirkte, redet der antiseptischen Occlusion das Wort in der Weise, dass er bei kleineren Schussöffnungen, selbst wenn der Ausschuss fehlte, ohne jede Beunruhigung der Wunde, höchstens nach Einspritzung von Carbolsäure in dieselbe, eine Schorfheilung zu erzielen suchte, während er bei weiten Oeff-nungen die Wunde mit antiseptischen Cautelen untersuchte, verband und das Glied feststellte. Beide Autoren hatten freilich das Glück, dass ihnen verhältnissmässig viele Verwundungen ganz frisch zugingen; diejenigen, welche bereits anderweitiger Untersuchung unterzogen waren, oder sehr viel später kamen, verliefen erheblich schlechter. Die von Bergmann und Reyher mit nackten Bleigeschossen gemachten Erfahrungen haben durch Küttner, Sick u. a. bei kleincalibrigen Mantelgeschossen eine weitreichende Bestätigung gefunden. Beide Schriftsteller legen den Hauptnachdruck auf die Unterlassung jeder Untersuchung der Wunde und die Behandlung derselben, als sei sie subcutan. Die Aufgabe der zahlreichen, unmittelbar auf dem Schlachtfelde thätigen Feldärzte, die häufig auf sich ganz allein angewiesen sind, kann demnach in künftigen Kriegen nur in folgendem bestehen: Es sollte vor allen Dingen jede Untersuchung der Wunde, jede Kugelextraction aufs strengste verboten sein; dagegen besteht in der vorläufigen Fixation der Glieder, in provisorischer Blutstillung und in der Bedeckung der Wunde mit einem Stücke Jodoformmull, wie es in der deutschen Armee jetzt jeder Soldat in einem Verbandpäckchen mit sich führt, eine höchst dankbare Aufgabe für dieselben, durch deren Erfüllung zahlreichen Verletzten das Leben erhalten werden kann. Ein Schluss der Schussöffnungen durch Naht oder Heftpflaster, wie Langenbuch vorgeschlagen hat, ist nicht zu biiligen. Operative Eingriffe sollen, wenn eben möglich, vom Schlachtfelde ins Lazareth verlegt werden.
Ueber alle zur Eiterung kommenden Schussverletzungen siehe die folgende Gruppe.

Gruppe III. Wunden, welche nur durch Eiterung heilen können. Dahin gehören alle Wunden, welche sich selber längere Zeit überlassen geblieben sind, ferner Wunden, deren antiseptische Behandlung missglückt ist, Operationswunden bei schon bestehenden phlegmonösen Processen, endlich vergiftete Wunden. Wir betrachten des Zusammenhanges wegen sofort die hierhergehörigen Schussverletzungen. Ist eine Schussverletzung 1?2mal 24 Stunden ohne Behandlung geblieben oder unzweckmässig behandelt, so findet man in der Regel die Umgebung der Schussöffnungen geröthet und infiltrirt, empfindlich, die Wunde mit einem dünnen, übelriechenden Serum oder einer mehr eitrigen Flüssigkeit bedeckt, den Kranken fiebernd. Der zweckmässigste Versuch besteht auch dann in der Ueberführung einer solchen Wunde in eine aseptische, freilich immer unter der Voraussetzung einer geordneten Lazarethbehandlung. Hier sind Erweiterungen der Schussöffnungen, Einschnitte in die infiltrirten Gewebe, Extraction aller Fremdkörper und loser Knochensplitter, Gegenschnitte und Einführung von Drains in dieselben am Platze. Die Wunde wird am besten mit Sublimatlösung 1%0 gewaschen und darauf mit Jodoformmull locker ausgefüllt. Zuweilen gelingt es hiermit die beginnende Sepsis zu beseitigen; die Körpertemperatur sinkt zur Norm, die Schmerzen hören auf. Dann entfernt man den Tampon erst nach Tagen, um nun die Wunde nach allgemeinen Regeln weiter zu behandeln. In einer anderen Reihe von Fällen erfolgt die Heilung unter sogenannter aseptischer Eiterung. Es ist wiederholt diese Eiterung, die geruchlose, milde, in einen Gegensatz zu der septischen, stinkenden, scharfen gestellt worden; allein jede Eiterung ist als ein Misserfolg anzusehen, da sie das Vorhandensein eines durch Bakterien hervorgerufenen Reizes bedeutet. In einer weiteren Reihe von Fällen gelingt es nicht, die Wunde aseptisch zu machen. Das geschieht am häufigsten bei vernachlässigten Gelenkschüssen oder weitreichenden Knochenfissuren; das hohe Fieber dauert fort, Fröste stellen sich ein, der Kranke verfällt von Tag zu Tage. Unter diesen Umständen besteht die einzige Möglichkeit der Rettung in einer frühen Amputation des verletzten Gliedes oder Resection des Gelenkes, obwohl auch diese unter solchen Umständen keine allzugünstige Prognose zulassen. Die verunglückten, ursprünglich antiseptisch behandelten Schussverletzungen erfordern natürlich eine gleiche Behandlung. Kehren wir nunmehr von den SehussVerletzungen zu den übrigen Wunden zurück, so treffen wir überall auf dieselben Behandlungsgrundsätze der eiternden Wunden: nachträgliche Desinfection derselben, zuweilen in mehrfacher Wiederholung, zahlreiche Incisionen, lockere Tamponade, Feststellung des Körpertheiles und erhöhte Lage oder verticale Suspension des Gliedes. In manchen Fällen leistet die antiseptische Tamponade oder die Irrigation vorzügliche Dienste.

Bei allen diesen Verletzungen wird, mit Ausnahme der Wunden grosser Körperhöhlen und der den Schussfracturen gleichwerthigen complicirten Frac-turen, die Aufgabe häufiger von Erfolg gekrönt sein, weil die Wundverhältnisse meistens einfacher liegen. Bei Phlegmonen, welche ineidirt werden müssen, hat Volkmann82) ein eigenartiges Verfahren angegeben, indem er nicht nur dort Incisionen macht, wo Eiter zu erwarten ist, sondern den ganzen serös infiltrirten Körpertheil mit zahllosen Stichen und Schnitten versieht, um das inficirte und inficirende Serum ausfliessen zu machen. Der gestichelte Körpertheil wird feucht antiseptisch verbunden und hochgelagert. Eine Wundphlegmone, deren man nicht baldigst Herr wird, erfordert die Absetzung des Gliedes. Aber bei der Nachbehandlung ist dringend vor der Naht und festem Occlusivverbande zu warnen; Verfasser sah die bei weitem besten Erfolge bei offenen Wundlappen und leichtem hydropathisch-antiseptischem Verbände, oder bei antiseptischer Berieselung der Wunde.


Hinweis:
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem Text auf dieser Seite um einen Auszug aus einem über hundert Jahre alten Fachbuch der Medizin handelt.
So entsprechen vor allem die genannten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen nicht dem aktuellen Stand der Medizin, die Anwendung kann nicht nur die Diagnose einer Erkrankung verzögern, sondern auch direkt den Körper schädigen.

Hinweis: Der Text auf dieser Seite entstammt einem über einhundert Jahre alten Fachbuch. Daher entsprechen die gemachten Angaben nicht dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Verwenden Sie niemals die angegebenen Rezepturen und Heilmethoden, da sie gesundheitsgefährdend seien können.