Wunden: Schusswunden

Heilkundelexikon

Wunden: Schusswunden


Schusswunden bilden eine besondere Gruppe von hervorragendem Interesse, welche durch die Eigenartigkeit ihres Zustandekommens, nicht aber durch die Gleichheit ihres anatomischen Verhaltens charakterisirt wird. Was das letztere anbelangt, so ist die grössere Zahl aller Schusswunden wohl unbedenklich den Quetschwunden mit Substanzverlust zuzuzählen; ein Theil aber zeigt das Verhalten reiner Risswunden oder von Rissquetschwunden. Endlich steht ein kleiner Theil mit seinen scharfgeschnittenen, wie mit einem Locheisen geschlagenen Wunden nach G. Simon's2) Auffassung röhrenförmigen Schnittwunden mit Substanzverlust am nächsten; aber Simon geht entschieden zu weit, wenn er den Schusswunden in ihrer grössern Mehrzahl diesen Charakter beilegen will. Es trifft das nicht einmal durchweg für die durch gezogene Pistolen hervorgebrachten Schusswunden zu, mit welchen Simon ausschliesslich seine Versuche anstellte, viel weniger für die modernen Gewehre, deren Wirkung gegenüber älteren Gewehrconstructionen eine so verschiedene ist, dass von einer Einheitlichkeit der Auffassung sämmtlicher Schusswunden nicht die Rede sein kann, zumal, wenn man nicht nur die Kriegsverletzungen, welche naturgemäss an Zahl weit überwiegen, sondern auch die Friedensverletzungen ins Auge fasst. Es bleibt zweifellos das Einfachste, solche feinen Scheidungen gar nicht vorzunehmen, sondern die Schusswunden in ihrer Gesammtheit zu besprechen. In nachfolgenden Zeilen geben wir einen gedrängten Ueberblick über Feuerwaffen und Geschosse, weil deren Kenntniss uns erst einen Einblick in das Wesen der Schusswunden gewährt.,

Man unterscheidet zwei Gruppen von Feuerwaffen, die Handfeuerwaffen und die Geschütze.

A. Handfeuerwaffen. Die gegenwärtig in Gebrauch befindlichen Handfeuerwaffen sind Pistolen, Schrotflinten, Jagdbüchsen und die sehr verschiedenartigen Kriegsgewehre, theils mit kurzen Läufen (Carabiner und Jägerstutzen), theils mit langen Läufen (Infanteriegewehr). An jedem Gewehre unterscheidet man den Handgriff oder Kolben von Holz und das metallene Rohr, dessen Lichtung die Seele genannt wird. Der Durchmesser der Seele heisst Caliber.
Während die alten Jagd- und Kriegsgewehre einen an der Innenseite glatten Lauf hatten und die Kugel vollkommen rund war, ist diese Form des Laufes nur noch bei den Schrotflinten und hier und da bei Pistolen erhalten geblieben. Die Unsicherheit des Schusses aus glatten Läufen führte zunächst zur Construction gezogener Läufe, d. h. letztere wurden mit einer langgezogenen Spirale, dem Drall oder den Zügen, versehen, welche die Kugel in dem Laufe zu einer drehenden Bewegung zwingen, die nach dem Verlassen der Mündung beibehalten wird. Eine weitere Treffsicherheit wurde dadurch gewonnen, dass der hintere Theil des Laufes, der Pulversack, weiter angelegt wurde, als der vordere Theil, so dass das aus weichem Metalle bestehende Geschoss beim Abschlössen in die Züge eingepresst wurde Hierbei konnte aber das Gewehr nicht von vornher geladen werden, sondern man construirte Hinterlader, Läufe, welche durch eine einfache Vorrichtung leicht zu öffnen und zu schliessen sind. In den Pulversack wird Pulver, Geschoss und Zündvorrichtung, zu einer Patrone vereinigt, hineingelegt; die Hülse der Patrone besteht entweder aus Pappe oder bei den neueren Jagd- und Kriegsgewehren aus Metall. Eine weitere Sicherheit wurde durch Erhöhung der Pulverladung im Verhältnisse zur Schwere des Geschosses gewonnen; man erzielte dadurch eine bedeutendere Anfangsgeschwindigkeit und eine grössere Rasanz der Flugbahn, d. h. die Flugbahn blieb, gleiche Entfernungen gedacht, mehr einer geraden Linie sich nähernd, während bei schwacher Pulverladung die Flugbahn sich schneller in Form einer Parabel senkt. Die Entfernung von der Mündung bis zu dem Punkte, wo diese Senkung beginnt, heisst Kernschussweite; sie muss bei rasanter Flugbahn grösser sein als bei schwacher Ladung. Auch die Form des Geschosses ist von Bedeutung, da ein Geschoss mit breiter Oberfläche auf einen stärkeren Luftwiderstand treffen muss, als ein solches, welches der entgegenstehenden Luft nur eine geringe Oberfläche bietet. Man verliess daher die runde Form und construirte Langgeschosse verschiedener Art (Spitzkugeln, cylindrokonisches Geschoss des preussischen Zündnadelgewehres, Mausergeschoss u. s. w.). Die neuesten Gewehrarten haben meistens ein cylindrisches Geschoss mit vorn abgerundeter Spitze und gerade abgeschnittener Hinterfläche. Die Geschosse sind zum Theil aus Weichblei hergestellt, zum Theil aus Hartblei; selten sind eiserne oder kupferne Kugeln verwendet worden. Ebenso wie die Form des Geschosses wurde auch der Durchmesser verändert, d. h. verringert. Von den älteren Langgeschossen mit einem Querdurchmesser von 12 und 11 Mm. ist man allmählich zu 8, 7, selbst 5 Mm. herabgestiegen. Durch diese Gewichtsverringerung ist die Flugweite der Geschosse ganz ausserordentlich vergrössert, die Verwundung aber verkleinert worden.

Von weiterer erheblicher Bedeutung für die Wirkung des Geschosses ist die Art seiner Einhüllung. Die neuesten Kriegsgewehre verwenden Patronen, deren Geschoss ganz und gar in einen Mantel, gewöhnlich aus Stahl oder Nickelblech, eingehüllt ist. Diese Kugeln haben nur geringe Neigung zur Veränderung der Form und machen deshalb verhältnissmässig geringe Verletzungen (Bruns3). Andere Geschosse haben nur einen halben oder durchbrochenen Mantel; die freie, meist abgestutzte Spitze veränderte sehr leicht ihre Form. Sind aber die Kugeln ganz frei oder haben sie an der Spitze kreuzförmige Einschnitte (Dum-Dum-Geschosse), oder tragen sie vorne oder hinten einen Hohlraum, so wirken sie explosiv und machen ? eine entsprechende Pulverladung vorausgesetzt ? ganz ausserordentliche Zerreissungen. Die humanen Bestrebungen, welche auf ärztliche Anregung zurückzuführen sind, haben mehr und mehr zur Verbannung dieser Waffen und zur Anwendung kleincalibriger Geschosse gedrängt. Nach den Erfahrungen, welche Küttner4) aus dem südafrikanischen Kriege veröffentlicht hat, scheint es freilich, als wenn mit dem Caliber von 7 Mm. die untere Grenze erreicht wäre, welche vom Standpunkte der Strategie noch zulässig ist.

B. Geschütze. Auch hier sind glatte und gezogene Geschütze zu unterscheiden. Die glatten Rohre, welche früher allein gebraucht waren, sind wenigstens in den europäischen Heeren durchgängig durch gezogene Rohre ersetzt; nur im Festungskriege werden noch glatte Rohre zum Schleudern eiserner Vollkugeln benützt (Mörser). Die gezogenen Rohre werfen eiserne Geschosse mit einem Bleimantel, welche entweder beim Aufschlagen vermittels einer Sprengladung in zahlreiche Stücke zerrissen werden (Granaten), oder welche nach einer bestimmten Zeit explodiren (Zeitzünder, Shrapnels); oder endlich, sie werfen mit zahlreichen Kugeln gefüllte Blechbüchsen (Kartätschen), welche ausserhalb des Rohres zerreissen und einen Streuungskegel machen wie ein Schrotschuss. In ähnlicher Weise wirken auch die Mitrailleusen. Die in den letzten Kriegen benutzten Maximgeschütze (Maschinengewehre des Deutschen Heeres) sind nur Vervollkommnungen dieser mörderischen Waffen, indem sie theils das Gelände mit einem dichten Regen fester Projectile überschütten, theils Sprenggranaten kleinsten Calibers in grosser Zahl versenden (Pompomshells der Engländer).

C. Als indirecte Geschosse bezeichnet man alle Körper, welche durch ein Geschoss in Bewegung gesetzt werden und dann Verwundungen hervorrufen. Dahin gehören Holzsplitter, Steine, Metallstücke, besonders solche, welche, wie Knöpfe und Helmbeschlag, von der Kleidung des Verwundeten selber abgerissen werden; fernerhin Knochensplitter und Zähne. Gewöhnlich ist die Gewalt, mit der sie fortgeschleudert werden, nur massig und die Wunden sind deshalb nicht erheblich; doch kommen auch recht schwere und höchst unregelmässige Riss- oder Rissquetschwunden dabei vor. Im Grunde genommen muss man auch die Sprengstücke explodirender Geschosse als indirecte Geschosse bezeichnen; auch tragen die durch sie hervorgerufenen Wunden in der Regel den gleichen Charakter wie jene, nämlich den der Rissquetschwunden. Endlich gehören hierher diejenigen Gewehrprojectile, welche irgend einen Gegenstand streifend schräg oder quer ans Ziel gelangen (Querschläger oder Aufschläger).

Die durch die eben besprochenen Geschosse erzeugten Wunden lassen sich in folgende Gruppen eintheilen:

Gruppe I. Wunden durch ganz oder nur an der Spitze nackte Bleikugeln, aus Gewehren mit schwacher Ladung, oder aus Gewehren mit starker Anfangsgeschwindigkeit und rasanter Flugbahn, aber in Kernschussweite erzeugt. Hierher gehören die Kugelwunden aus Pistolen, Jagdbüchsen und älteren Kriegsgewehren, aber letztere nur in bedeutender Entfernung, bis zu 1000 Metern und mehr. Nur auf diese Schüsse passt die Beschreibung, welche man von der Verschiedenheit der Ein- und Ausgangsöffnung gegeben hat. Nimmt man nämlich an, dass die Kugel senkrecht auf den Körper trifft und senkrecht ihn wieder verlässt, so ist die Eingangsöffnung grösser als die Ausgangsöffnung, zeigt gequetschte Ränder, während letztere das Aussehen einer Risswunde darbietet, ist etwas vertieft, während der Ausgang eher erhaben erscheint, und ist gewöhnlich etwas geschwärzt, theils von dem Pulverschlamm, welcher der Kugel anhaftet, theils von oberflächlicher Verbrennung der Haut. Die gerissene Form der Ausgangsöffnung erklärt sich daraus, dass die elastische Haut einen gewissen Widerstand leistet und deshalb beuteiförmig ausgezogen wird, bis dieser Widerstand auf der Höhe der Ausbuchtung nachgiebt, die eingerissene Haut sich wieder zusammenzieht und die Ausgangsöffnung verkleinert. Selbstverständlich ändert sich manches in diesen Formen, wenn die Kugel mehr -oder weniger schräg oder quer aufschlägt. Auch kommt es vor, dass matte Kugeln überhaupt keine Ausgangsöffnung machen, sondern in der Wunde stecken bleiben, ja wohl gar die Kleidung handschuhfingerförmig in dieselbe hineinziehen. Auf dem Wege vom Eingange zum Ausgange findet das Geschoss sehr verschiedenen Widerstand. Unter den Weichtheilen geben die Fascien am schwersten nach, zeigen häufig auch nur eine schlitzförmige Oeffnung, während das zwischen Haut und Fascie gelegene Binde- und Fettgewebe in der Regel in etwas grösserem Umfange zertrümmert ist, so dass die Haut etwas abgelöst und blutig unterlaufen erscheint. Aus den Muskeln wird ein der Grosse des Geschosses ungefähr entsprechender Cylinder herausgeschlagen, dessen Trümmer theils im Schusscanal liegen bleiben, theils aus dem Ausschusse herausgeschleudert werden. Je matter die Kugel ist, desto kleiner pflegt der Substanzverlust zu sein, da die Muskelfasern eher ausweichen können und dafür zusammen-gepresst werden. Die Knochen endlich leisten ihrer Härte entsprechend dem Geschosse den grössten Widerstand. Schief aufschlagende Kugeln werden deshalb häufig abgelenkt und zu weiten Umwegen gezwungen; es entstehen die sogenannten Ringel- oder Contourschüsse, besonders leicht dann, wenn die bereits matter gewordene Kugel die Haut nicht zum zweitenmale zu durchdringen vermag, sondern nur an ihrer Innenseite entlang fährt. Solche Beobachtungen sind auch nicht selten an den Rippen gemacht worden. Anderemale geschieht die Ablenkung erst nach dem Zerbrechen des Knochens. Trifft die Kugel senkrecht, aber matt auf den Knochen, so schlägt sie sich an demselben breit und bleibt auf ihm liegen. Gewöhnlich indessen leidet der Knochen, indem die Kugel zwar in ihn eindringt, aber liegen bleibt, oder aber ihn vollständig durchschlägt. Dann kann ein runder, der Grosse der Kugel entsprechender Schusscanal im Knochen sich finden, der aber fast immer Fissuren in der Umgebung besitzt, ohne dass übrigens weitere Zertrümmerungen stattfinden. Diese selten vermisste Spaltenbildung ist nach Bornhaupt4) ausschliesslich auf die Keilwirkung der Kugel zurückzuführen. In anderen Fällen wird gleichzeitig eine Absplitterung hervorgerufen, oder endlich es entsteht eine Schussfractur, einfach oder mit mehreren Bruchstücken, von denen einzelne auch wohl aus ihrem Zusammenhange herausgerissen werden. Die Locheisenschüsse finden sich am häufigsten an spongiösen Epi-physen und platten Knochen, während die dünnen und spröden Diaphysen nur sehr selten ein solches Verhalten zeigen. Auch die einfachen Fracturen sind an ihnen selten; meistens handelt es sich um Zersplitterungen der Corticalis. Grosse Gefässe und Nerven weichen dieser Gruppe von Geschossen leicht aus, werden aber häufig doch so gequetscht, dass heftige Neuralgien oder Nachblutungen die Folge sind, indem ein Stück der Gefässwand nachträglich abstirbt.

Gruppe II. Schusswunden durch nackte Bleikugeln aus modernen Kriegsgewehren aus einer geringeren als Kernschussweite, sowie Schrotschüsse aus nächster Nähe. Die Eingangsöffnungen sind in dieser Gruppe nicht wesentlich von denen der vorstehenden Gruppe verschieden; nur pflegen Schrotschüsse, entsprechend dem Bestreben der Körner, sich nach dem Verlassen der Patrone schirmförmig auszubreiten, eine etwas grössere und un-regelmässigere Eingangsöffnung ohne stark gequetschte Ränder aufzuweisen. Dagegen ist die Ausgangsöffnung durchaus anders gestaltet. Sie ist unter allen Umständen erheblich grösser als der Einschuss, mit unregelmässig zerfetzten und gerissenen Rändern; zuweilen aber hat sie eine ganz enorme Grosse, bis zu 12 Cm. im Durchmesser und mehr. Meistens sind die getroffenen Glieder aufs äusserste zertrümmert, oft noch weit nach oben und unten über die Grenze der Ausgangsöffnung hinaus, so dass in den schlimmsten Fällen ein schlaffer Hautsack mit Blut und Gewebstrümmern aller Art erfüllt zur Beobachtung kommt. Solche entsetzliche Verletzungen haben in den letzten, von deutscher Seite geführten Kriegen mehrfach den Verdacht hervorgerufen, dass sie durch Explosivgeschosse herbeigeführt seien, bis zuerst durch die experimentellen Untersuchungen von Wunden: Busch6) und E. Küster7) der Nachweis geführt wurde, dass alle Gewehre mit sehr erhöhter Anfaugsgeschwindigkeit aus geringer Entfernung solche Verletzungen hervorzurufen imstande seien, mehr diejenigen, welche Geschosse aus Weichblei, als solche, welche Hartbleigeschosse schleudern (E. Küster, 1. c). In Körperhöhlen richten diese Projectile so furchtbare Verwüstungen an, dass der Tod wohl immer augenblicklich erfolgt; an den Extremitäten aber werden Gelenke und Knochen oft weite Strecken auf- und abwärts in kleine Fragmente zerbrochen, sämmtliche Weichtheile in einen Brei zermalmt. Kräftige Schrotschüsse wirken aus nächster Nähe in ganz ähnlicher Weise. Ueber die Ursachen dieser überraschenden Zerstörungen hat mehrere Jahre hindurch eine lebhafte Discussion stattgefunden, welche so ziemlich zum Abschluss gekommen ist. Es erscheint zweifellos, dass eine Anzahl verschiedener Momente zusammenwirken, um ein solches Ergebniss zu liefern. Zunächst das Zerspringen des Geschosses, oder mindestens dessen Deformation. Die Kugel verlässt den Lauf, in welchem sie einer starken Reibung ausgesetzt war, mit festem Kern und halbflüssigem, heissem Bleimantel (Richter8). Wird derselbe von einem sehr festen Körper, z. B. einer Eisenplatte, plötzlich aufgehalten, so wird das Geschoss vollkommen flüssig und spritzt in zahlreiche Bleitropfen auseinander. Die Wirkung kann beim Auftreffen auf die Körperoberfläche oder auf einen Knochen natürlich nur in sehr verringertem Masse stattfinden; immerhin aber werden zahlreiche Partikel abgesprengt, welche oft als Ausdruck ihrer starken Erhitzung ein Irisiren erkennen lassen und welche unmöglich ohne Einwirkung auf die Wände des Schusscanals bleiben können, in welche sie sich oft tief einfilzen.
Selbstverständlich muss aber auch schon die blosse Deformation sehr zerstörend wirken. Ein zweites, sehr wichtiges Moment ist die hydraulische Pressung. Schiesst man auf ein mit incompressibler Flüssigkeit gefülltes Blechgefäss, so wird die Flüssigkeit nur als Ganzes in Bewegung gesetzt und übt daher auf alle Punkte der Innenfläche einen gleichmässigen Druck aus, welcher das Gefäss zerreisst und die Flüssigkeit nach allen Richtungen auseinandersprengt, selbst nach der Richtung, aus- welcher die Kugel kam. Aehnlich wie die Flüssigkeit verhalten sich alle festweichen Organe. So wird der Schädel zuweilen durch das Gehirn vollkommen zersprengt, so wirkt das Knochenmark zersprengend auf die Diaphysen. Auch die in den Weich-theilen enthaltenen Flüssigkeiten können nach Kocher9) eine ähnliche Wirkung erzeugen; für alle parenchymatösen Organe, auch für die grossen Blutgefässe ist das bewiesen. Immerhin bleiben nach dieser Erklärung die explosionsartigen Wirkungen auf die Gelenkenden räthselhaft, wenn man nicht die erstgenannte Erklärung mit zu Hilfe nimmt oder eine andere, welche Bornhaupt (1. c.) aufstellt. Dieser sah bei seinen Experimenten die Knochen nahezu so regelmässig zerspringen, wie dies bei Glas- und Holz-cylindern während des Zusammenpressens der Fall ist; er möchte deshalb alle diese Zerstörungen auf Gestaltveränderungen zurückführen, die der Knochen im ganzen erleidet, theils wie ein Stab, der quer geknickt wird, theils wie ein Ring, der beim Zusammenpressen in vier regelmässige Theile zerfällt. Bei den Schrotschüssen ist die zerstörende Wirkung leichter verständlich. Uebrigens nimmt die explosionsartige Wirkung der Bleikugeln mit der Entfernung mehr und mehr ab, um in der Gegend der Kernschussweite allmählich in die Verletzungen der ersten Gruppe überzugehen.

Gruppe III. Ein wesentlich anderes Bild gewähren die durch klein-calibrige Mantelgeschosse erzeugten Wunden, durch Geschosse also, welche jetzt als Kriegswaffe bei den meisten stehenden Heeren eingeführt sind, zum Theil sogar als Jagdwaffe benutzt werden. Wir besitzen über deren Wirksamkeit einestheils die seitens der preussischen Militärmedicinal-abtheilung angestellten Schiessversuche10), anderntheils die werthvollen Mittheilungen Küttner's (a. a. O.), Sick's11) und einiger englischer Chirurgen über die Erfahrungen im südafrikanischen Kriege. Da diese Geschosse nur dann erhebliche Gestaltveränderungen erleiden, wenn sie aus Entfernungen unter 1400?1600 Meter auf Knochen oder derbe Fascien treffen, beziehungsweise vorher aufschlagen, so tragen die Weichtheilsschüsse auf nahe oder weite Entfernungen viel mehr einen einheitlichen Charakter, als dies bei den Bleigeschossen der Fall ist, wenngleich Sprengwirkungen in Entfernungen bis zu 1500 Metern nicht ausgeschlossen sind. Einschuss und Ausschuss sind ausserordentlich klein, ersterer mehr rundlich, letzterer mehr schlitzförmig; die kleinen Oeffnungen verleihen der Verletzung viel mehr den Charakter einer subcutanen Wunde, wie dies bei irgend einer anderen Schussverletzung der Fall ist. Infolge dessen kommen Verblutungen nach aussen kaum vor, wohl aber ungewöhnlich häufig traumatische Aneurysmen. Die Muskelschüsse pflegen sehr leicht zu sein, selbst die Lungenschüsse, falls nicht die Verletzung eines grösseren Gefässes eine innere Blutung her- vorruft. Dieselbe Gefahr droht von Bauchschüssen, während im übrigen wider alles Erwarten sich herausgestellt hat, dass die Kugel ohne Verletzung des Darmes den Bauch durchqueren kann. Auch bieten die Darmverletzungen wegen der Kleinheit der Oeffnungen eine so gute Prognose, dass die Ergebnisse besser ohne, als mit Operation gewesen sind (bis zu 60% Heilungen). Als sehr gefährlich, fast immer tödtlich, bleiben nur die Kopf- und Herzschüsse übrig. Die Knochenschüsse rufen gleichfalls nicht entfernt die Verwüstungen hervor, welche von den nackten Bleikugeln her bekannt sind; nicht selten findet sich nur ein mit Knochensand erfüllter Schusscanal in den Weichtheilen. Natürlich wird der Knochen auf nahe Entfernungen stärker gesplittert als auf weite. Aber auch die Knochenverletzungen nehmen Theil an der so sehr viel besseren Prognose aller dieser Wunden, indem sie unter der Voraussetzung, dass jedes Eindringen in dieselbe mit Finger oder Sonde unterlassen wird, nahezu wie subcutane Brüche zu heilen pflegen. Eiterungen hat Küttner unter solcher Behandlung nur sehr selten gesehen.
Gruppe IV. Wunden durch indirecte Geschosse (Aufschläger), Granatsplitter und eiserne Vollkrgeln, sowie Schrotschüsse aus grösserer Entfernung. Es handelt sich in allen diesen Fällen um höchst unregelmässige, gerissene Eingangswunden, während die Ausgangsöffnung häufig fehlt. Da nämlich die meisten dieser Geschosse mit einer nur massigen Gewalt geschleudert werden, so machen sie bei schrägem Auftreffen eine unregelmässig gerissene, rinnenförmige Wunde, während sie bei geradem Auftreffen in den Weichtheilen oder am Knochen stecken bleiben. Selbst die Granatsplitter, welche doch in der Nähe eine enorme Propulsivkraft besitzen, machen davon nicht immer eine Ausnahme; man hat sehr grosse eiserne Sprengstücke in der Körpermusculatur bei unverletztem Knochen vorgefunden. Anderemale freilich sind die Zerstörungen an Weichtheilen und Knochen ausserordentlich gross; ja es gehört nicht zu den Seltenheiten, dass ganze Glieder von Granatstücken abgerissen werden, wie dies bei Wunden durch eiserne Vollkugeln geradezu die Regel ist. Selten erfolgt dabei der Tod durch Verblutung, vielmehr zeigen die grossen Gefässe ein Verhalten, wie es oben von den Ausreissungen und Abquetschungen der Glieder geschildert worden ist. Schrotschüsse aus weiter Entfernung machen zahlreiche Eingangsöffnungen, doch pflegen nur wenige der kleinen Geschosse den Körper wieder zu verlassen, während der grössere Theil in den Weichtheilen stecken bleibt, wohl auch am Knochen oder den Fascien sich platt schlägt. Bei dem erheblichen Streuungskegel, welchen diese Schüsse machen, sind Gelenke, Körperhöhlen, Gefässe und Nerven stets sehr gefährdet; doch kommt es selten zu starken Blutungen nach aussen, wohl aber zu umfangreichen subcutanen und intermusculären Blutergüssen, zur Entwicklung eines traumatischen Aneurysma, sowie bei der nicht seltenen gleichzeitigen Verletzung von Arterie und Vene zur Entstehung eines Aneurysma arterioso-venosum. In ganz seltenen Fällen können solche Bleikörner eine acute oder chronische Bleivergiftung erzeugen (Küster und Lewin12).


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So entsprechen vor allem die genannten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen nicht dem aktuellen Stand der Medizin, die Anwendung kann nicht nur die Diagnose einer Erkrankung verzögern, sondern auch direkt den Körper schädigen.

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