Wunden: Wundheilung

Heilkundelexikon

Wunden: Wundheilung


Wundverlauf und Heilungsvorgänge.
Der Wundverlauf pflegt verschieden zu sein, je nachdem die Wunde sich selber überlassen, beziehungsweise
unzweckmässig behandelt wird, oder aber von Anfang an einer regelrechten Behandlung unterliegt. Trotzdem kommen unter beiden Bedingungen. wenn auch in verschiedener Häufigkeit, drei Heilungsformen vor: Die Heilung durch erste Vereinigung, die Heilung durch Eiterung und die Heilung unter dem trockenen oder feuchten Schorfe.

a) Die Heilung durch erste Vereinigung kann nur dann erwartet werden, wenn die Wundränder glatt und scharf sind und in unmittelbarer Berührung sich befinden. Fast ausschliesslich handelt es sich dabei um Schnittoder Hiebwunden, deren Wände auf künstlichem Wege einander genähert sind; aber es kommen doch auch ohne solche Hilfsmittel Primärheilungen vor, selbst bei anscheinend sehr wenig geeigneten Wunden, z. B. nach dem Seitensteinschnitte. Makroskopisch beobachtet man ein Aneinanderkleben der Wundflächen, welche schon nach 24 Stunden nur mit einiger Gewalt wieder getrennt werden können. Im Bereiche der Haut ist die Wunde von einem schmalen Blutschorfe bedeckt; die Wundränder erscheinen ganz reactionslos, oder zeigen eine massige Schwellung und geringe, bald wieder verschwindende Röthung. Nach 4?7 Tagen fällt der dünne Schorf ab und es zeigt sich eine etwas vertiefte, rosarothe Narbe, welche allmählich weiss wird und schliesslich kaum noch von der Umgebung zu unterscheiden ist, aber doch etwas eingesunken bleibt. Diese geringfügigen Veränderungen der Narbe, welche nur auf eine Verödung der Blutgefässe und Schrumpfung des Gewebes zurückzufahren sind, werden zuweilen durch ganz entgegengesetzte Erscheinungen vertreten. Die Narbe schrumpft nicht, sondern bleibt sehr lange Zeit roth, geschwollen, über der Haut erhaben; auch kommt es nicht gar zu selten vor, dass eine ursprünglich feine Narbe allmählich breit und hässlich wird. Das ist eine Beobachtung, welche man bei antiseptischer Behandlung macht, wenn man zu früh, d. h. nach 4?7 Tagen die Nähte entfernt. Geht man diesen Veränderungen mikroskopisch nach, so sind es zwei Dinge, welche vor allen anderen in die Augen fallen, nämlich die eigentümliche Art der Verklebung der Wundränder und die massenhafte Einwanderung von Zellen in die Wundränder und deren Umgebung. Schon wenige Stunden nach der Verletzung findet man die Wundränder zusammengeklebt, und zwar in der Regel durch eine transparente Kittsubstanz, welche ver-muthlich aus Fibrin besteht und der mehr oder weniger Blut beigemengt ist. Auch die Umgebung der Wunde, die Wundwände erleiden eigenthümliche Umänderungen; sie lockern sich auf, werden klebrig und tragen so zur Ver-löthung bei. Ob auf letzterem Wege allein eine directe Verklebung ohne Zwischensubstanz, wie sie zuerst von englischen Autoren als Immediate union beschrieben und von Thiersch16) wieder vertheidigt wurde, vorkommen kann, erscheint zweifelhaft. Alle neueren Untersucher sprechen sich entschieden gegen diese Annahme aus, und in der Tbat muss es schwer begreiflich erscheinen, wie die getrennten Blutgefässe und Saftcanälchen ihren Inhalt entleeren sollen, ohne dass wenigstens ein Theil desselben zwischen den Wundrändern zurückgehalten wird. Dazu kommt, dass selbst bei scharfrandigen Verwundungen eine dünne Schicht erkennbar ist, welche im mikroskopischen Schnitte keine Färbung mehr annimmt, also abgestorben ist; sie wird von Elementen neuer Bildung durchwachsen und ersetzt. Noch auffälliger als das Zusammenkleben ist das Auftreten einer massenhaften kleinzelligen Infiltration. Diese kleinen, runden, den weissen Blutkörperchen gleichen Gebilde durchsetzen schon wenige Stunden nach der Verletzung in immer wachsender Zahl die Wundränder, sowie die Kittsubstanz, wandern auch wahrscheinlich durch den Kitt hindurch von einem Wundrande zum andern. Sie können nicht mehr, wie es früher geschah, als Zellen neuer Bildung, welche durch Wucherung des Gewebes entstanden sind, aufgefasst werden, sondern man betrachtet sie seit der grundlegenden Entdeckung Cohnheim's16)
als Wanderzellen, welche aus den Gefässen stammen. Damit dies möglich sei, müssen Veränderungen der Gefässwand vorhanden sein. Während das durchschnittene Gefäss durch einen Thrombus verschlossen wird, tritt infolge des Entzündungsreizes eine Erweiterung der Gefässlichtung und zugleich eine Erweichung des protoplasmatischen Canals ein, welcher die Wand der Capillaren bildet. Diese Veränderungen zeigen sich so früh, dass bald nach der Verletzung die Auswanderung beginnt. Zugleich findet eine Vermehrung der fixen Zellen im Wundbereiche statt. Mit der allmählichen Abnahme des Entzündungsreizes aber hört sowohl die Auswanderung der Leukocyten, als die Bindegewebswucherung auf. Erstere zerfallen und verschwinden durch Phago-cytose, die fixen Bindegewebszellen wandeln sich in Narbengewebe um, welches ausser Pibrillen auch Gefässe und Nerven neuer Bildung, selbst elastische Pasern enthält (Ziegler17). Aehnliche Processe ereignen sich in dem Thrombus der durchschnittenen Gefässe; auch dieser wird mehr und mehr von eingewanderten Zellen aus den Vasa vasorum durchsetzt, während zugleich das Endothel in Wucherung geräth, Züge spindelförmiger Zeilen in den Thrombus sendet und diesen allmählich in Narbengewebe umformt. Vorher aber haben die Gefässe seitliche Sprossen getrieben, welche durch die Kittsubstanz hindurchwachsen, hohl werden und mit Gefässsprossen der entgegengesetzten Seite in Verbindung treten; anderemale findet eine sogenannte Inosculation statt, d. h. der Inhalt des durchschnittenen Gefässes einer Seite wird durch Spalträume des Gewebes und durch die Kittsubstanz hindurch in den anderen Wundrand getrieben und gelangt so in dessen offene Gefässlumina. Mit dem Festerwerden der Intercellularsubstanz beginnen die neugebildeten Gefässe wieder zu schwinden, so dass schliesslich ein sehr gefässarmes Bindegewebe mit spärlichen Spindelzellen als Grundlage der Narbe übrig bleibt.

b) Sehr erheblich anders, wenigstens makroskopisch, gestaltet sich das Bild, wenn die klaffende Wunde sich selber überlassen bleibt oder doch in unzweckmässiger Weise, z. B. mit blossen Wasserumschlägen, behandelt wird. Im ersten Falle bildet sich aus eintrocknendem Blute und Lymphe eine dicke Kruste, welche die weiteren Vorgänge unsichtbar macht; im letzteren Falle aber können wird schrittweise die Veränderungen verfolgen. Innerhalb der ersten 24 Stunden sind dieselben sehr gering; man sieht die Theile vor sich liegen, als sei die Wunde frisch entstanden; nur hat die Blutung aufgehört und die wunde Fläche sondert nur eine geringfügige wässrig-blutige Flüssigkeit ab. Nach etwa 24 Stunden oder etwas später erscheint die Fläche wie mit einem dünnen grauen Schleier überdeckt, welcher die einzelnen Theile immer noch genau erkennen lässt; die Absonderung wird reichlicher, mehr grau und graugelb, meistens übelriechend, endlich rein gelb, die Wundränder röthen sich und schwellen an, der Boden der Wunde ist mehr gallertig-grau und gleichmässig. Diese Veränderungen sind um so ausgeprägter, unter je ungünstigeren hygienischen Bedingungen der Verletzte sich befindet. Unter leidlich günstigen Verhältnissen aber sehen wir schon am 3. oder 4. Tage aus dem Boden der Wunde kleine rothe Knöpfchen sich erheben, welche allmählich zusammenfliessen und den ganzen Boden überziehen, nachdem der graue Belag in Fetzen sich abgestossen hat und mit dem Eiter fortgeschwemmt ist. Diesen Vorgang nennt man Wundreinigung. Schnell füllen die Granulationen die ganze Wunde bis zur Ebene der Haut, häufig genug selbst darüber hinaus, bei fortgesetzter starker Eiterabsonderung; während dieser ganzen Zeit sind die oberen Granulationsschichten und der Eiter vollgepfropft mit Mikrobien. Erst mit dem Beginne der Vernarbung fängt die Eiterung an zu versiegen, während von dem benachbarten Epithelrande ein immer breiter werdender Epithelsaum über die Granulationen hinwegzieht, welche nun, wenn sie vorher zu üppig gewuchert waren, in die Ebene der Haut
zurückkehren. Die Hautränder werden zugleich kräftig von allen Seiten herangezogen. Der Schluss ist die Herstellung einer weissen, meist etwas vertieften Narbe, welche noch längere Zeit die Neigung zur Zusammenziehung behält. Ist während der Heilungszeit die Narbe fortdauernden Reizungen ausgesetzt, so bleibt sie auch wohl einmal Wochen und Monate lang roth und geschwollen; ja sie kann selbst nachträglich noch von neuem wuchern und sehr entstellende rothe Wülste hervorbringen, einen Zustand, den man als Narbenkeloid zu bezeichnen pflegt.

Der geschilderte Vorgang, wie verschieden er auch dem unbewaffneten Auge von der Heilung ohne Eiterung erscheinen muss, weist doch bei mikroskopischer Betrachtung keine so grossen Verschiedenheiten auf, als man erwarten sollte. Es findet sich hier, wie Cohnheim18) sich ausdrückt, eine Verbindung von Regeneration und productiver Entzündung. Unter dem Entzündungsreize wachsen die Gefässe im Grunde der Wunde zu Sprossen aus, welche zahlreiche mit einander communicirende Bögen herstellen; zugleich findet eine massenhafte Infiltration der Gewebe mit Wanderzelten statt, welche auch an die Oberfläche der Wunde treten, die abgestorbenen Gewebe mechanisch abheben und, durch eine schleimige Intercellularsubstanz untereinander verbunden, die Granulationen darstellen, von denen je ein Knöpfchen der höchsten Convexität eines Gefässbogens entspricht. Ohne Zweifel findet auch eine active Betheiligung der fixen Bindegewebskörper an der Herstellung dieser entzündlichen Neubildung statt. Die oberste Schicht derselben hat flüssige Intercellularsubstanz und geht als Eiter fortdauernd für den weitern Aufbau verloren. Trotzdem erreicht die Neubildung allmählich die Hautebene. Mit dem nunmehrigen Aufhören des Entzündungsreizes beginnt eine theilweise fettige Degeneration der Zellen des Granulationsgewebes; sie verschwinden in der oben beschriebenen Weise und an ihre Stelle tritt Bindegewebe, welches durch Schrumpfung und Gefässverödung in starres und faseriges Narbengewebe übergeht. Der Vorgang unterscheidet sich also von dem oben beschriebenen nur durch massenhaftere Zellenneubildung und massenhafteren Zerfall. Von den Wundrändern her treibt das Oberhautepithel Sprossen über die Granulationsschicht hinweg, welche sich in eine Hörn- und Schleimschicht sondern; die besonders organisirten Bestandteile derselben, die Haar-, Talg- und Schweissdrüsen werden bei tiefen Substanzverlusten nicht oder nur sehr unvollkommen wiederersetzt.

c) Die Heilung unter dem Schorfe kommt, wie bereits erwähnt, in zwei Formen, nämlich als Heilung unter dem trockenen und unter dem feuchten Schorfe vor. Erstere, welche bei den Vögeln die Regel bildet, wird beim Menschen nur selten, und zwar bei kleineren Verwundungen, Abschürfungen, oberflächlichen Schnittwunden, Aetzungen u. dergl. beobachtet; wir sehen aber auch einen Schorf entstehen, wenn gewisse antiseptische Pulver, Borsäure oder Jodoform, trocken auf eine flache Wunde gebracht werden, oder wenn die Wunde mit aseptischem Collodium bestrichen wird. Aus dem vertrocknenden Blute und den Gewebssäften bildet sich eine der Unterlage fest anhaftende Kruste, welche nur unter erneuter Blutung mit Gewalt entfernt werden kann. Bleibt dieselbe unberührt, so sehen wir in den ersten Tagen zuweilen einen rothen Entzündungshof um dieselbe, der allmählich blasser wird, während zngleich juckende Empfindungen sich einstellen. Nach 8?14 Tagen fällt der Schorf ab und hinterlässt eine zunächst geröthete, dann aber bald festwerdende Narbe. Fällt er früher ab, oder wird er abgekratzt, so sehen wir gewöhnlich einen Granulationsknopf, umgeben von einem Epithelsaume. Die Heilung unter dem feuchten Schorfe ist eine besondere Form moderner Wundbehandlungsmethoden. Untersuchen wir eine Wunde mit Hautdefect, welche antiseptisch behandelt worden, nach 1?2mal 24 Stunden, so sehen wir dieselbe von einem Blutcoagulum ausgefüllt,
welches bis zur Hautebene reicht; übrigens aber fehlt jedes Symptom entzündlicher Reizung in der Umgebung. Bei fortgesetzt aseptischem Verlaufe sehen wir dies Coagulum von innen her, offenbar durch die andrängenden Granulationen, allmählich verzehrt werden, während dasselbe nacheinander verschiedene Färbungen aufweist, vom dunkel Schwarzrothen zum Gelben, als Ausdruck der Veränderungen des Blutfarbstoffes. Der letzte Rest des Gerinnsels vertrocknet zuweilen und fällt erst ab, nachdem die Bedeckung mit Epidermis bereits stattgefunden hat. ? Wir haben in dieser Schorfheilung mikroskopisch den gleichen Vorgang vor uns, wie bei der Heilung mit Eiterung, nämlich entzündliche Neubildung und Regeneration der Gewebe; nur geht infolge der Geringfügigkeit des Entzündungsreizes die Gewebs-bildung sehr viel langsamer vor sich. Diese langsamere Anbildung wird aber mehr als ausgeglichen durch das Fehlen des fortwährenden Verlustes an Zellen, welche mit dem Eiter für den Aufbau der Gewebe verloren gehen, sowie durch die sehr beschränkte Wundreinigung. Die durch die Verletzung selber ertödteten Gewebe werden nämlich nicht in sichtbarer Weise abge-stossen, sondern sie zerfallen moleculär, werden durchwachsen und verschwinden, wie bei der Heilung per primam intentionem. Natürlich sind hiermit nur kleinere Fetzen gemeint, während grössere Gewebsstücke in sichtbarer Weise, aber meist ohne Eiterung, abgestossen werden.

Fassen wir noch einmal die Erscheinungen, welche bei der Wundheilung beobachtet werden, zusammen, so ist allen Formen gemeinsam das Zustandekommen einer an Stelle der Verwundung gelegenen, später gefässarmen Narbe, welche einer entzündlichen Neubildung der Gefässe, einer massenhaften Auswanderung weisser Blutkörperchen, einer Wucherung des Bindegewebes und Umbildung desselben in fixe Bindegewebskörper mit starrer Intercellular-substanz ihren Ursprung verdankt. Die Massenhaftigkeit der Erzeugung des neuen Gewebes aber ist abhängig von der Höhe des Reizes, welcher auf die Wunde einwirkt, und als höchsten Ausdruck dieses Reizes sehen wir die entzündliche Neubildung, die Granulationen auftreten. Den stärksten Reiz ruft in einer Wunde das Eindringen und die massenhafte Entwicklung der Eiterungserreger oder anderer specifischer Mikroorganismen hervor, welcher nach Menge und Art der Schmarotzer eine sehr verschiedene Höhe erreicht. Bei sehr erheblicher Bakterienentwicklung wird der Wundverlauf bereits abnorm, und wir betreten das Gebiet der Wundkrankheiten, über welche die Artikel: Erysipelas, Hospitalbrand, Pyämie, Sepsis und Wundstarrkrampf zu vergleichen sind. ? Uebrigens darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Regeneration der Gewebe nach ihrer Trennung eine sehr verschiedene ist. Die Haut freilich weist immer eine Narbe auf, auch wenn die Heilung prima intentione erfolgt ist, und nur ihre Epidermis regenerirt sich; dagegen können Muskeln und Nerven sich vollkommen ersetzen. Die durchschnittenen Muskelfasern treiben, infolge einer Wucherung der Muskel-körperchen Knospen in das Nachbargewebe hinein, welche sich mit den Knospen der anderen Seite verbinden und sich in quergestreiftes Gewebe umwandeln. Durchtrennte Nerven regeneriren sich durch Auswachsen der centralen Stümpfe der Achsencylinder, welche den Bahnen des peripheren Stumpfes folgen. Die Ersatzfähigkeit ist aber in den verschiedenen Körpergeweben sehr verschieden und hängt auch besten Falles von einer genauen Berührung der durchtrennten Gewebe ab. Ist dies nicht der Fall, so bildet sich zwischen den durchschnittenen Enden ebenfalls eine Narbe. Die Gefäss-regeneration erfolgt in der Regel nicht direct, sondern auf Umwegen. Auf die histologischen Einzelheiten, so interessant dieselben sind, hier einzugehen, würde zu weit führen; nur sei erwähnt, dass es von allen Geweben erwiesen zu sein scheint, dass sie nur durch Auswachsen ihrer specifischen Elemente sich ersetzen können (Ziegler a. a. O.).


Hinweis:
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem Text auf dieser Seite um einen Auszug aus einem über hundert Jahre alten Fachbuch der Medizin handelt.
So entsprechen vor allem die genannten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen nicht dem aktuellen Stand der Medizin, die Anwendung kann nicht nur die Diagnose einer Erkrankung verzögern, sondern auch direkt den Körper schädigen.

Hinweis: Der Text auf dieser Seite entstammt einem über einhundert Jahre alten Fachbuch. Daher entsprechen die gemachten Angaben nicht dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Verwenden Sie niemals die angegebenen Rezepturen und Heilmethoden, da sie gesundheitsgefährdend seien können.