Wehen und Wehenanomalien: Wehenschwäche

Heilkundelexikon

Wehen und Wehenanomalien: Wehenschwäche


Wehenschwäche147) dagegen ist der Gesammtbegriff für alle jene Zustände, bei denen infolge ungenügender Uteruscontractionen Mutter, Frucht oder beide einen Schaden erleiden. So lange die Fruchtblase steht, giebt es keine Wehenschwäche, denn um diese Zeit ist eine zu feste Anlagerung des Uterus an die Frucht unmöglich. Es kann daher, wenn bei stehender Blase unausgiebige Wehen da sind, weder die Mutter, noch die Frucht irgend einen Schaden davontragen. Die Wehenschwäche stellt sich daher immer erst nach abgeflossenen Wässern ein, nie dagegen im Beginne des Kreissens, ausgenommen die Fälle, in denen die Geburt durch den Wasserabfluss künstlich eingeleitet wird oder die Wässer gleich im Geburtsbeginne ab- fliessen. Da kann die Wehenschwäche auch bereits im Geburtsbeginne eintreten.

Ursachen. Die Wehenschwäche kann durch verschiedene ätiologische Momente veranlasst sein. Zuweilen trägt eine mangelhafte Erregung der Uterusnervenfasern Schuld an der Wehenschwäche. Man trifft sie da zu meist bei ungewöhnlich dicker Uteruswandung.

Häufig ist die Wehenschwäche als Erschöpfung des Uterus aufzufassen, als die Folge einer Ueberanstrengung des musculösen Organes. Diese Wehen schwäche beobachtet man nach lange andauerndem Kreissen bei Gegenwart eines bedeutenden räumlichen Missverhältnisses zwischen Becken und Frucht, so bei ungünstigen Fruchtlagen, bei abnormen Einstellungen des Kopfes, namentlich aber bei engem Becken. Die allgemein herrschende Ansicht dass bei nicht zu überwindendem räumlichen Missverhältniss zwischen Frucht und Becken stets eine Ruptur des Uterus'eintreten müsse, ist eine voll kommen irrige. Unter Umständen kommt es schliesslich zu einer Erschöpfung des Uterus, die nur vorübergehend ist oder unter ganz besonders ungünstigen Verhältnissen zu einer vollständigen Paralyse des Uterus führt, die sich nicht mehr beheben lässt und bei der, wenn nicht die entsprechende Hilfe gebracht wird, die Kreissende unentbunden stirbt.

Ebenso können gewisse Neubildungen grösseren Umfanges, die ihren Sitz in der Uteruswand haben, Wehenschwäche hervorrufen. Dies gilt nament lich von den Fibromyomen. 148) Entweder wird durch das Neoplasma, wie ich dies beobachtete149), die Musculatur des Uterus in weitem Umfange in ihrer Contractionsthätigkeit lahmgelegt, wenn das umfangreiche Neugebilde seinen Sitz in der oberen Uterushälfte hat, oder verhindert, respective ver legt es den Geburtsschlauch, so dass die Wehenkraft nicht hinreicht, das entgegenstehende Hinderniss mechanisch zu überwinden. Letzteres kann
namentlich dann der Fall sein, wenn das Neugebilde in der Uteruswand unterhalb der Contractionsgrenze sitzt. In ähnlicher Weise können sehr feste, harte, unnachgiebige, narbige Stenosen des äusseren Muttermundes als Polgen vorausgegangener Opera tionen ein bedeutendes Geburtshinderniss bilden, dass consecutiv Wehen schwäche folgt, doch zählt dies zu den grössten Seltenheiten. Mir sind aus der Literatur nur zwei einschlage Fälle bekannt, der von Füllerton150) als Folge einer vorausgegangenen Lacerationsektropiumoperation und der von Clivio151), dem eine Amputation der Vaginalportion vorausging. Nahe liegt die Annahme, dass massige Bindegewebsstränge zwischen Uterus und Bauchdecken oder den Nachbarorganen, namentlich als Folgen vorausgegangener grosser intraabdominaler Operationen, verhältnissmässig nicht selten den Uterus so fest verlagern oder fixiren, dass seine Contrac- tionsfähigkeit dadurch behindert wird. Trotzdem ist aber darüber, ausge nommen die Fälle Harris'152) und Deütsch's153), denen vielleicht noch der Holowko's154) beizufügen wäre, nichts bekannt, ich habe nie einen ein schlägigen Fall gesehen.

Es kann aber auch jedes räumliche Missverhältniss zwischen Becken und Frucht oder ein anderes mechanisches, die Geburt erschwerendes Hinder- niss vollständig fehlen und die zeitliche oder dauernde Erschöpfung des Uterus dennoch eintreten. Diese seltene Beobachtung kann man bei Aus bruch gewisser acuter Krankheitsprocesse während des Kreissens machen, so namentlich des Puerperalfiebers, seltener der acuten Exantheme, speciell derVariola, des Typhus u. s. w. (Das Nähere darüber soll weiter unten anlässlich der Besprechung des Eintretens des Fiebers während des Kreissens auseinandergesetzt werden.)

Inwieweit eine früher bestandene, aber bereits abgelaufene chronische interstitielle Metritis, bei der ein grosser Theii der Muskelfasern consecutiv zugrunde gegangen ist (wenn es bei derselben überhaupt zu einer Gravi dität mit rechtzeitigem Ende kommt), späterhin Wehenschwäche bedingen kann, lässt sich aus der Beschreibung nur eines einschlägigen anatomischen Präparates, dem noch dazu die Geburtsgeschichte fehlt, nicht entnehmen (Kaschkaroff156).

Depascirende Processe oder ein schlechter Ernährungszustand, mangel haft entwickelte Geburtstheile, auffallend dünne Uteruswandungen, eine gefüllte Harnblase oder ein volles Rectum vermögen die Wehenthätigkeit in keiner auffälligen Weise zu alteriren und Wehenschwäche hervorzurufen. Das Gleiche gilt von Deviationen des Uterus nach der Seite oder nach vorn.

Bei kräftiger Wehenthätigkeit stellt sich der deviirte Uterus von selbst in die Beckenachse. Fehlt die Wehenthätigkeit, so wird sie auch durch das Aufstellen des Uterus nicht erregt. Uebrigens lässt sich die seitliche Deviation des Uterus auf die einfachste Weise dadurch beheben, dass man die Kreissende sich auf die Seite, nach der der Uterus abgewichen ist, legen lässt, wodurch der Uterus sofort in die Beckenachse zu liegen kommt. Die Diagnose der Wehenschwäche ist nur dann zu stellen, wenn Mutter, Frucht oder beide infolge der ausgiebigen Wehenthätigkeit und der daraus resultirenden Geburtsverzögerung zu Schaden oder in Gefahr kommen. Differentialdiagnose. Die Wehenschwäche ist nicht mit schwachen Wehen, mit der verlängerten Wehenpause, mit der künstlich herbeigeführten Wehenlosigkeit oder mit der Erschöpfung, respective mit der Paralyse des Uterus zu verwechseln.

Die verlängerte Wehenpause, die man nur im Beginn der Geburt beobachtet, ist ein vollständiges Cessiren der Wehenthätigkeit, das ver schieden lange Zeit anhält und weder für die Mutter, noch für die Frucht mit irgend welchen Nachtheilen verbunden ist. Man sieht dieses Cessiren
meist bei stehenden, seltener nur nach abgeflossenen Wässern. Es kann 1 ?2 Tage und noch länger anhalten. Die Mutter verhält sich während dieser Zeit wie eine Schwangere. Da dieser Zustand kein pathologischer ist, er fordert er auch kein therapeutisches Eingreifen.

Die künstlich herbeigeführte Wehenlosigkeit ist stets die Folge einer unzeitigen oder nicht indicirten Zangenanlegung. Wird nämlich die
Zange angelegt, werden mit ihr vergebliche Extractionsversuche gemacht, so wird nach Ablegung des Instrumentes die Wehenthätigkeit dauernd gestört, d. h. aufgehoben, auch wenn der öeburtsschlauch mit dem Instrumente in keiner auffallenden Weise verletzt wurde. In einem solchen Falle muss die Mutter unter allen Umständen entbunden werden, da sie sonst unentbunden zugrunde geht. Diese auffallende, bisher von Niemandem beobachtete Erscheinung spricht für die Richtigkeit (der bereits oben angeführten) Anschauungen Rein's, Dembo's, Keilmann's und Knüpfer's, betreffend die Gegenwart motorischer Centren des Uterus am Geburtsschlauche und die Richtigkeit der Ansicht der beiden letztgenannten, betreffend die Ursache des Eintrittes der Geburt. Ich glaube, dass der plötzlich einwirkende und längere Zeit anhaltende exorbitante Druck, den das Cervicalganglion erleidet, eine Paralyse desselben und dadurch Wehenlosigkeit herbeiführt, sodass die Geburt kein spontanes Ende mehr finden kann. Die vorübergehende Erschöpfung und noch mehr die vollständige, nicht mehr zu behebende Paralyse des Uterus kann sich entweder bei bestehenden, bedeutenden räumlichen Missverhältnissen zwischen Becken und Frucht einstellen, und da erst nach lange währender, sehr kräftiger, aber nicht ausreichender Wehenthätigkeit, oder wenn die Kreissende an einem schweren acuten, fieberhaften Pro. cess erkrankt, wie namentlich an Puerperalfieber, Variola u. dergl. m. In den Fällen sehr schwerer Erkrankung (von denen weiter unten gesprochen werden soll) ist das Allgemeinbefinden der Kreissenden bei vollständig erlahmter Wehenthätigkeit ein so tief gestörtes, dass der vorliegende Zustand mit der einfachen Wehen schwäche wohl nicht mehr zu verwechseln ist.

Complicationen. Die Wehenschwäche ist häufig mit einer abnormen Schmerzhaftigkeit der Uteruscontractionen vergesellschaftet.

Die Prognose betreffend die Mutter ist insoferne nicht eine unbedingt günstige, als, falls es sich um räumliche Missverhältnisse handelt, die Ueberanstrengung des Uterus, wenn sie zu lange anhält, in eine zeit liche oder dauernde Erschöpfung, eine Paralyse des Organes übergehen kann. Ausserdem kommen die Verletzungen, die das Genitalrohr durch den so heftigen und lange währenden Druck erleidet, in Betracht, und weiterhin die spätere Gefahr der Infection der gesetzten Wunden, sei es auf dem Wege von aussen her oder auf dem der Selbstinfection. Sehr ungünstig wird die Prognose, wenn bei Fehlen räumlicher Missverhältnisse die Wehen losigkeit die Folge einer acuten Erkrankung, wie beispielsweise einer schweren puerperalen Infection, einer Variola u. dergl. m. ist. Die Prognose ist, aus genommen die Fälle, in denen die Wehenschwäche durch eine schwere acute fieberhafte Krankheit bedingt ist, im allgemeinen günstiger zu stellen, wenn sich die Wehenschwäche im Beginne der Geburt, als wenn sie sich später einstellt, da man doch noch hoffen kann, sie späterhin durch entsprechendes therapeutisches Einschreiten zu bekämpfen. Am ungünstigsten ist sie zu stellen, wenn die Frucht bereits geboren ist, da sie hier, wenn sie sich nicht binnen kürzester Zeit bekämpfen lässt, den Tod der Mutter innerhalb weniger Minuten durch Verblutung herbeiführt. Nicht viel weniger ungünstig ist die Prognose, wenn die Wehenschwäche als Folge einer acuten fieber haften Erkrankung scbon im Geburtsbeginne eintritt. In dem Falle stellt sich die Wehenschwäche schon bald nach Abfluss der Wässer ein.

Die Prognose betreffend die Frucht wird durch mancherlei Umstände schwer getrübt. Durch die Geburtsverzögerung wird das Leben der Frucht direct bedroht. Die lange andauernde Behinderung des Gasaus tausches zwischen fötalem und mütterlichem Blute zieht häufig den Tod der Frucht nach sich oder wird, was seltener geschieht, die Frucht asphyktisch geboren. Weitere Gefahren erwachsen der Frucht bei räumlichen Miss verhältnissen und namentlich dann, wenn die Wehenschwäche Folge einer acuten fieberhaften Erkrankung ist. Sie stirbt entweder an dem hohen mütterlichen Fieber oder an intrauteriner Infection. (Das Weitere s. unten.) Therapie. Die Aufgabe derselben ist, die Wehenthätigkeit möglichst anzuregen, falls der Uterus sein Contentum nicht auszutreiben vermag und wenn die Verhältnisse es gestatten, die Geburt künstlich zu beenden. Damit wird gleichzeitig den Indicationen, die sich auf die Mutter, als auch denen, die sich auf die Frucht beziehen, entsprochen. Die Therapie ist aber eine verschiedene, je nach dem ätiologischen Moment, das die Wehenschwäche bedingt und je nachdem die Geburt mehr oder weniger weit vorgeschritten ist.

Liegt der Wehenschwäche keine schwere acute fieberhafte Erkrankung zugrunde und ist der Muttermund bereits oder nahezu verstrichen, so reiche man Ergotin. Die Wirkung dieses Mittels beruht nach Wernich's156) Thierexperimenten auf einer Herabsetzung des Venentonus und demgemäss stärkerer Füllung der Venen, sowie gleichzeitiger Leere der Arterien. Der Uterus und seine im Centralnervensystem liegenden Innervationsnerven werden anämisch und dadurch die Contractionen energischer, sowie andauernder. Die Uteruscontractionen werden energischer, dauern länger und wiederholen sich rascher, wodurch eben dieser Zustand behoben wird, den man beseitigt zu haben wünscht. Die Wehenthätigkeit wird energisch angeregt, wodurch das etwa bestehende räumliche Missverhältniss, bedingt durch das enge Becken, die ungünstige Einstellung des Kopfes u. dergl. m., überwunden wird und die Geburt ihr spontanes. Ende findet oder nun ein solches künstlich herbeigeführt werden kann. Der Frucht schadet das Ergotin, wenn es bei ver strichenem oder nahezu verstrichenem Muttermunde gereicht wird, nicht. Wohl kommt es bei derartigen lange andauernden schweren Geburten, bei denen man behufs rascherer Beendigung derselben Ergotin reicht, nicht selten vor, dass die Frucht todt geboren wird, doch ist in diesen Fällen letzteres nicht auf Rechnung des Mittels zu setzen, sondern auf die Um stände zurückzuführen, wegen denen das Ergotin gereicht wurde, nämlich auf die durch die Wehenschwäche allzu verzögerte Geburt, respective häufig das vorhandene räumliche Missverhältniss zwischen Becken und Frucht. Reicht man unter solchen Verhältnissen kein Ergotin, so geht die Frucht auch zugrunde, aber ohne dass die Geburt rascher beendet würde. Das Ergotin ist dem minder kräftig wirkenden Seeale vorzuziehen. Man verbinde es mit der Tinctura Cinnam., die selbst eine leichte wehen verstärkende Wirkung besitzt. Man verschreibe 1, 5 Ergotin auf 20, 0 Tinct. Cinnam. und reiche davon 1 Kaffeelöffel in 1 Esslöffel
Wasser. 1 ?2 Dosen innerhalb 10 ?15 Minuten genügen, um die Wehenthätigkeit kräftig anzuregen. Die Darreichung per os ist der subeutanen Application vorzuziehen, da letztere mit heftigeren Schmerzen verbunden ist. Ich verwende das WERNiCH'sche Präparat, bis depuratum, und finde es wirksamer als die anderen Ergotinpräparate. Die verschiedenen Ergotinpräparate, die in neuester Zeit angepriesen werden, haben sich mir nicht bewährt.

Die Darreichung des Ergotins zur Anregung der unzulänglichen Wehenthätigkeit wurde bis vor kurzem allgemein perhorrescirt. Es wurde und wird heute noch dem Ergotin vorgeworfen, dass es einen sogenannten Tetanus uteri erzeuge, durch den der Uterus die Frucht, statt auszutreiben, allseitig umklammere, wodurch, abgesehen von der abnorm gewordenen Wehenthätigkeit, der Gasaustausch zwischen dem mütterlichen und fötalen Blute zu sehr beschränkt werde und die Frucht absterbe. Erst in jüngster Zeit brechen sich, zum guten Theil, Dank Schatz157), allmählich gesündere An sichten Bahn, dass wir im Ergotin ein werthvolles Mittel besitzen, das, im richtigen Moment gereicht, für die Mutter in segensreichster Weise wirkt und der Frucht nicht schadet.

Sehr wirksam erweist sich um diese Zeit der Geburt auch das warme Vollbad in der Temperatur von 28 ?29 °R. und Dauer von 20 ?30 Minuten. Gleichzeitg kann auch Ergotin gereicht werden. Contraindicirt ist dagegen das Bad, wenn die Kreissende fiebert.

Frictionen des Fundus uteri vermögen wohl vorübergehend eine Wehe zu verstärken, eventuell eine auszulösen, sind aber nicht imstande, die Wehen schwäche zu beheben.

Die wichtigste therapeutische Massregel bleibt aber stets die künstliche Geburtsbeendigung, vorausgesetzt jedoch, dass es die Verhältnisse gestatten.

In den früheren Stadien der Geburt, so lange der Muttermund nur wenig eröffnet oder gar noch geschlossen ist, ist von einer Darreichung des Ergotins absolut keine Rede. Man müsste, wenn es überhaupt gelänge, die Geburt mittels desselben rasch zu beenden, dem Körper zu viel dieses giftigen Stoffes einverleiben, dass man dadurch gewiss eine schwere Intoxication herbeiführen würde. Niedere Grade der Wehenschwäche im Geburtsbeginne bekämpft man mittels leichter Analeptica (heisse Suppen, Bier,
Wein u. dergl. m.). Sehr wirksam ist auch um diese Zeit das protrahirte warme Bad, das nach einigen Stunden wiederholt werden kann.

Gross ist die Zahl der inneren Mittel, die angeblich die Wehenschwäche beheben.

Der Borax erfreut sich heute noch an manchen Orten im Laienpublicum des Rufes, die Wehenthätigkeit zu steigern. Da er, wenn seine Wirksam keit auch eine problematische ist, wenigstens das für sich hat, dass er unschädlich ist, so kann man ihn, wenn von der Kreissenden bei noch wenig weit vorgeschrittener Geburt ein die Wehen verstärkendes Mittel verlangt wird oder gegen das Ende der Geburt eine stricto Indication zur Darrei chung des Ergotins nicht vorliegt, getrost geben. Man giebt 0, 3 pro dosi in Pulverform alle halbe Stunde.

Vollständig unwirksam sind Opium, Morphium, Chloralhydrat, die Chloroformnarkose und das Chinin. Allerdings macht es zuweilen den Eindruck, als ob die drei erstgenannten Mittel und die leichte Chloroform narkose die bis dahin unausgiebigen Wehen verstärken würden, doch beruht dies auf einer Täuschung. Sind ausser der Wehenschwäche die Wehen auch noch abnorm schmerzhaft, so beheben die angeführten Mittel den Schmerz. Die der Schmerzen wegen früher nicht in Verwendung gelangte Bauchpresse tritt nun in Action, wodurch der Geburtsact wenigstens um etwas vorschreitet und eine Regulirung der Wehen vorgetäuscht wird. Das Chinin wirkt scheinbar dann wehenbefördernd, wenn während des Kreissens heftiges Fieber besteht. Das Fieber fällt ab und nicht selten werden dem parallel die Wehen kräftiger und folgen einander rascher, aber nicht infolge des Chinins, sondern des Fiebernachlasses. Ebenso unwirksam ist die von Christison und Simpson158) empfohlene Cannabis indica. Die letztgenannten empfehlen die Darreichung von 1 Theelöffel der Tinctur oder 0, 25 ?0, 50 des Extr., i/4 ?1/2stündlich zu nehmen.

Long159) schreibt der Mistel, dem Viscum album, eine die Wehenthätigkeit steigernde Wirkung zu. Er giebt das Mittel als Tinct., Extr. fluid. und. 126 Wehen. Infus. Prochownick160) empfiehlt die Rad. Gossypii als ein Ersatz des Mutter korns. Von einem 3, 0 ?6, 0 starken. Infus lässt er */a ?lstündlich 1 Thee- löffel oder von dem Pluidextr. 1 ?2 Theelöffel ^-v-lstündlich nehmen. Die Ipecacuanha bezeichnet Pitkin161) als wehenverstärkendes Mittel. Ustilago maidis rühmen Swiecicki162) und Gromsdeff163) als sehr wirksam. Hare164) empfiehlt die Kola. Bossi165) macht als erster auf die ekbolische Wirkung des Zuckers aufmerksam. Er reicht 16, 0 ?30, 0 in 250, 0 Wasser. Kos minski166) bestätigt die wehenbefördernde Wirkung des Zuckers. Payer167) findet nicht nur, dass der Zucker, während des Kreissens gereicht, die Wehenthätigkeit steigert, sondern dass auch Zuckermengen von 100, 0 ?120, 0, in der letzten Schwangerschaft genommen, den gleichen Effect haben. Keim168) rühmt dem Milchzucker die gleiche Wirkung nach. Sie stellt sich 10 bis 15 Minuten nach genommenen 20, 0 ?25, 0 ein. Dechilage169) und Abrajanoff170) behaupten, das Strychnin besitze eine die Wehen steigende Wirkung. Ersterer giebt alle 10 Minuten eine 0, 0005 Strychnin enthaltende Pille, aber nur bei bereits verstrichenem Muttermunde, und letzterer injicirt subcutan 0, 001, beobachtete aber in einem Falle einen Tetanusanfall des Neugeborenen. J. Pergusson171) reicht das Strychnin die letzten 8 ?10 Tage der Schwangerschaft und verbindet es mit heissen Vaginalirrigationen, um kräftige Wehen zu erzielen. Duff172) und Dorsett173) reichen bei schwäch lichen, herabgekommenen Schwangeren und solchen, die bei früheren Geburten Wehenschwäche zeigten, die letzten 6 ?8 Schwangerschaftswochen hindurch 3mal des Tages 1 ?3 Mgrm. Strychnin. Das Gleiche thut Olenin174) dort, wo eine Schwäche der Bauchpresse zu erwarten ist. P. Müller175) gebürt das Verdienst, darauf hingewiesen zu haben, dass das Pilocarpin keine wehenerregende und verstärkende Wirkung besitzt, trotzdem aber wird es doch von Philipps376) empfohlen.

Cowen177) will die Wehenthätigkeit dadurch steigern, dass er Glycerinsuppositorien in das Rectum einlegen lässt, ein Verfahren, das aber entschieden nicht anempfehlenswerth ist, da Glycerin die Rectummucosa zu sehr reizt. Jones178) dagegen glaubt die Wehentbätigkeit durch Auflegen heisser Breiumschläge auf den Unterleib zu steigern.

Ausser den angeführten Mitteln werden noch zahlreiche mechanische anempfohlen, um mittels ihrer die unausgiebige Wehenthätigkeit zu beheben. Garrigues179) empfiehlt, die Kreissende nicht ein und dieselbe Lage einhalten zu lassen, weil dadurch die Wehenthätigkeit abgeschwächt wird. Die Kreissende soll sitzen und herumgehen. Solange der Muttermund noch geschlossen ist, ist von einer Wehenschwäche keine Rede. Bei noch nicht weit eröffnetem Muttermunde, bei dem keine Contraindication vor liegt; die Kreissende herumgehen zu lassen, thut dasselbe, wie bereits oben erwähnt, unter Umständen recht gut und wird dadurch nicht selten die Wehenthätigkeit angeregt. Späterhin dagegen, bei weit eröffnetem Mutter munde und stehender Blase, kann man, wenn man die Kreissende herum gehen lässt, Gefahr laufen, dass bei Sprung der Blase ein böser Zwischen fall eintritt, wie ein Vorfall des Nabelstranges, ein Abweichen des vorliegen den Kopfes u. dergl. m. Den gleichen Rath wie Garrigues geben auch Kink« o) und Clarke. 1«) Rsmy*8 ») ist gleichfalls für den Lagewechsel der Kreissenden, und namentlich bei fixirtem Kopfe. Bei noch beweglichem dagegen will er diesen heben, um den Rest der Wässer abfliessen zu lassen und dadurch die Wehenthätigkeit zu steigern. Dass dadurch leicht ein Nabei strang-oder Extremitätenvorfall herbeigeführt werden kann, scheint er zu vergessen. Keilmann183) dagegen will gerade das Entgegengesetzte vor nehmen, nämlich den Kopf in das kleine Becken eindrücken, um dadurch einen Druck auf das Ganglion cervicale auszuüben. Auf dem gleichen Prin- cipe beruht das KuMPF'sche 18 ±) sogenannte Zitterdrücken des Uterus, die Verschiebung des Uterus nach hinten und den Seiten, sowie namentlich die Uterushebung, um einen Druck auf das Ganglion cervicale auszuüben und dadurch die Wehenthätigkeit zu steigern.

Mittels des Kristeller'schen185) Verfahrens, der sogenannten Entbindung durch Druck statt durch Zug, lässt sich die Wehenschwäche nie beseitigen. Es wirkt nicht anders, als Frictionen des Fundus. Ebenso unwirksam ist das Verfahren Sloan's186), das darin besteht, dass auf den Fundus ein Druck mit der Hand oder mittels einer Bandage ausgeübt wird. Das Gleiche gilt von der warmen oder heissen Vaginaldouche ?Veit187) ? und von der Tamponade der Vagina mit dem Kolpeurynter, Hoag. 188) Ab gesehen von der Gefahr, mittels dieses Geräthes krankheiterregende Keime von aussen oder von der Vagina her in den Uterus einzuführen, nützt dieses Verfahren nichts und belästigt nur die Kreissende. Die Catheterisatio uteri, das Einführen und Liegenlassen eines elastischen Katheters zwischen Uterus und Frucht, ersonnen von Valenta189), wirkt wohl, so lange die Blase noch steht, d. h. so lange noch keine Wehenschwäche da ist, nach abgeflossenen Wässern dagegen wirkt es nicht mehr sicher.

Ein Verfahren, das sich seit einigen Jahren einer grossen Beliebtheit erfreut, ist die sogenannte Metreuryse. Schon vor mehreren Jahrzehnten trachteten Tarnier190) und Barnes191) die Geburt bei Wehenschwäche da durch rascher zu Ende zu führen, dass sie leere, kolpeurynterartige Gummiblasen verschiedener Grösse bei wenig erweitertem Muttermunde in den Uterus einführten, mit mehr oder weniger
Wasser füllten und liegen liessen. Barne's Gummiballon war geigenförmig und lag die obere Hälfte desselben im Uterus, die untere in der Vagina. Der gefüllte Ballon sollte das untere Uterussegment und damit den Muttermund gehörig dilatiren und dadurch die Geburt rasch beenden. Dieses Verfahren wurde von Maurer192) insoferne modificirt, als er einen besonders grossen Gummiballon in den Uterus legt, ihn mit Wasser füllt und hierauf einen massigen constanten Zug an ihm ausübt, wodurch der Muttermund dilatirt wird und schliesslich der Ballon heraustritt. Einen sehr beredten Apostel fand dieses Verfahren an Dührssen. 193) Rationell ist dieses Verfahren entschieden nicht, denn wenn der Druck von oben her, von Seite des Fundus, auf die Frucht fehlt, ist es vollkommen irrelevant, ob die Uterusmündung mehr oder weniger künstlich erweitert wird, die Frucht tritt deshalb doch nicht hervor. Abgesehen davon, dass sich die Einführung eines wenn auch leeren kindskopfgrossen Gummiballons in den Uterus mit den Anforderungen, die bei einer möglichst aseptisch geleiteten Geburt gestellt werden, nicht vereint, läuft der Muttermund und das untere Uterinsegment bei der Füllung des Ballons und namentlich bei dem constanten Zug an letzterem Gefahr, durch die plötzliche Ueberdehnung und Zerrung eingerissen zu werden, wie es auch mehrfach geschah (Dührssen).

Ebenso irrationell und nicht minder gefährlich ist das Verfahren Bossi's194), Paoli's195) und Schwarzenbach's196), den Muttermund mittels Dilatatoren zu eröffnen, um auf diese Weise die Geburt bei Wehenschwäche rasch zu beenden. Von der Dilatation des Muttermundes mit den Fingern, die von Roper197), Philander A. Harris198) und Demelin199) geübt wird, gilt das Gleiche. Auch die Incisionen sind ebenfalls nicht nur irrationell, sondern ausserdem noch gefährlich, denn abgesehen davon, dass sie nichts nützen, wenn der Druck auf die Frucht von oben her fehlt, liegt die Gefahr nahe, dass, falls die Wehen späterhin kräftig werden und das untere Uterinsegment verdünnen, oder wenn, was häufiger geschieht, die Zange darauf angelegt und die Frucht extrahirt wird, wobei das untere Uterin segment gleichfalls bedeutend verdünnt wird, der gesetzte Schnitt weiter nach oben reisst und sich bis in die Cervix und das ganze Scheidengewölbe fortsetzt, wie dies beispielsweise Gessner200) erfuhr. Dass die gesetzten Verletzungen späterhin die Gefahr des Eintrittes einer Infection erhöhen, sei nur nebenbei erwähnt.

Die ganze Lehre der sogenannten Rigidität des Muttermundes ? Coopmann201) ?, die angeblich die Incisionen des Muttermundes indicirt ? Knoch2 02), Iwanow203) ?, beruht auf einer völligen Verkennung der vorliegenden Verhältnisse. Nicht der unnachgiebige Muttermund ist es, der die Geburt verzögert oder scheinbar unmöglich macht, sondern die unausgiebige Thätigkeit des oberen Uterinsegmentes, insbesondere des Fundus ist es, der das untere nicht in den passiven, subparalytischen Zustand zu bringen vermag. Stellt sich energische Wehenthätigkeit ein, so schwindet die sogenannte Rigidität des Muttermundes von selbst und der Muttermund verstreicht, Wallich und Gaulard204), Wallich. 205).

Unbedingt zu verwerfen, als zu rohes Verfahren, ist das sogenannte Accouchement forcee, die gewaltsame Entbindung bei wenig erweitertem Muttermunde, mit dem die Dührssen1 sehen206) sogenannten tiefen Cervix-und Scheidendammincisionen bei mangelhafter Erweiterung des Muttermundes zu sammenfallen. Mag auch zugegeben werden, dass bei der heutigen asepti schen Chirurgie sehr schwere operative Eingriffe durchschnittlich sehr gut überstanden werden, so ist man doch nicht berechtigt, die Kreissende der unausgiebigen Wehentüchtigkeit wegen einem solchen zu unterziehen. Durch Geduld und Zuwarten, eventuell durch einen späteren weit milderen opera tiven Eingriff (Zangenanlegung) lässt sich dieses rohe Verfahren stets um gehen. Ein derartiges Vorgehen bezeugt die totale Unkenntniss der Wirk samkeit der Naturkräfte und bedeutet einen verhängnissvollen Rückschritt auf die berüchtigten Pfade der sogenannten Entbindungskunst, die seinerzeit der alte F. B. Osiander in Göttingen wandelte.

Nabe liegt der Gedanke, sich bei unausgiebiger Wehenthätigkeit der Elektricität zu bedienen und diese direct auf den kreissenden Uterus wirken zu lassen, um die Intensität der Contractionen möglichst kräftig kunstlich zu steigern. Die Ergebnisse der einschlägigen Versuche sind aber keine besonders aufmunternden. Nach Blackwood207) soll der faradische Strom gut wirken. Die eine Elektrode liegt auf der
Wirbelsäule und die andere auf dem Fundus uteri. Kilner208) rühmt diesem Strom nach, er beuge der Ermündung des Uterus vor und steigere die Wehen, doch dürfe er nicht zu lange wirken. Playfair209) dagegen will von demselben nichts wissen. Onimus210) dagegen empfiehlt den constanten Strom. Bumm211) erzielte nur dann eine Wirkung, wenn er einen Pol in den Uterus einführte. Bei Wehenschwäche sah er keinen Erfolg. Engelmann212) spricht sich über die Wirksamkeit der Elektricität bei Wehenanomalien sehr reservirt aus. In jüngster Zeit hat namentlich Bayer213) der Anwendung der Elektricität bei Wehenanomalien sehr warm das Wort gesprochen. Der faradische Strom ist nach seiner Ansicht unwirksam. Der constante Strom wirkt wehen verstärkend, aber nur im Geburtsbeginn. Ist dagegen die Cervix verstrichen, so ist die Wirkung eine abgeschwächte oder gar fehlende. Nach Amann214) ist die wehen verstärkende Wirkung eine unsichere. Die Therapie der Wehenschwäche bei Ausbruch acuter fieberhafter Erkrankungen während des Kreissens wird weiter unten besprochen.

Besteht eine Erschöpfung des Uterus, droht aber der Mutter keine unmittelbare Lebensgefahr, so warte man zu und trachte die Kreissende durch Analeptica zu roboriren. Gut thun auch warme protrahirte Bäder. Droht aber der Mutter eine Gefahr, so muss die Entbindung auf die schonungsvollste Weise beendigt werden. In gleicher Weise muss auch bei eingetretener Paralyse des Uterus vorgegangen werden.


Hinweis:
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem Text auf dieser Seite um einen Auszug aus einem über hundert Jahre alten Fachbuch der Medizin handelt.
So entsprechen vor allem die genannten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen nicht dem aktuellen Stand der Medizin, die Anwendung kann nicht nur die Diagnose einer Erkrankung verzögern, sondern auch direkt den Körper schädigen.

Hinweis: Der Text auf dieser Seite entstammt einem über einhundert Jahre alten Fachbuch. Daher entsprechen die gemachten Angaben nicht dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Verwenden Sie niemals die angegebenen Rezepturen und Heilmethoden, da sie gesundheitsgefährdend seien können.