Wehen und Wehenanomalien: Nervale Versorgung des Uterus

Heilkundelexikon

Wehen und Wehenanomalien: Nervale Versorgung des Uterus




Da sämmtliche Functionen des menschlichen Körpers durch Nerven angeregt und regulirt werden, so liegt es nahe, sich umzusehen, von wo aus und in welcher Weise der Uterus, der sich während der Wehen so ungemein energisch zu contrahiren vermag, mit Nerven versorgt wird.

Die ausführlichste Auskunft darüber giebt uns immer noch das bereits vor länger als 30 Jahren erschienene ausgezeichnete Werk Frankenhäuser's1) über die Uterusnerven. Nach diesem lässt sich der Ursprung der Genital nerven bis zu den beiden Solarganglien, dem grossen Sammelpunkte sympathischer, die Abdominalorgane versorgender Nervengeflechte, verfolgen.

Von den Gangliis coeliacis gehen theils direct, theils durch die Ganglia renalia Nervenäste zu den Genitalien. Ausserdem erhalten die Ganglia renalia Nerven vom Plexus aorticus, und zwar ist dieser die Hauptquelle für die Genitalnerven. Die oberste Portio des Plexus aorticus, der Plexus mesentericus superior sendet Nervenzweige zum ersten bis zweiten und dritten Ganglion spermaticum. Die je zwei zur Seite der Arteria mesenterica inferior gelegenen Ganglien sind als Spermatical-oder Genitalganglien auf zufassen. Mit ihnen vereinigen sich zwei starke Aeste vom zweiten und dritten Lendenknoten des Sympathicus.. An der Bifurcation der Aorta liegt ein Nervengeflecht, der Plexus uterinus magnus, gebildet von den unteren Ausläufern des Plexus mesenterius superior, und der rechts-, sowie links seitigen Spermaticalganglien, der beiderseits starke Nerven aus dem vierten Grenzstrangganglion erhält. Etwa 4 Cm. unter der Bifurcation der Aorta, unmittelbar auf dem Promontorium, theilt sich dieses Nervengeflecht in zwei Züge ^die das Rectum rechts und links umgreifen und zum oberen Theil der Vagina, aowie des Uterus ziehen. Diese zwei Züge sind die Plexus hypogastrici. Sie erhalten zahlreiche Zweige von dem fünften Lumbarganglion, sowie von dem ersten, zweiten und dritten Sacralganglion des Sympathicus. An der Seite des Rectum angekommen, theilen sich die Nervi hypogastrici in zwei Züge. Der eine, und zwar der kleinere, bleibt an der inneren Seite.
der Beckengefässe und verzweigt sich direct im rückwärtigen und seitlichen Theile des Uterus. Der grössere Zug läuft unter den Gefässen und tritt theils in das grosse Cervicalganglion, theils vereinigt er sich mit den Kreuz beinnerven. Das Cervicalganglion, bei der Schwangeren bis 5 Cm. lang und bis 4 Cm. breit, liegt dem rückwärtigen Vaginalgewölbe seitlich an und wird von den beiden Plexus hypogastrici, den drei ersten Sacralganglien des Sympatbicus, sowie von dem zweiten, dritten und vierten Sacralnerv gebildet. Es versorgt den ganzen Uterus und namentlich die Cervix mit Nerven.

Nach Herlitzka2) entstammen die Uterusnerven dem Sympathicus und der Cerebrospinalachse. Ausser den zu den Gefässen gehörenden Plexus findet man im Gewebe des Uterus noch zweierlei Nervenelemente, ein Netz verzweigter Zellen und einige myelinhaltige Pasern. Ganglienzellen sind da gegen im Uterusgewebe nicht zu finden. Entsprechend den Forschungsergeb nissen Frankenhäuser's fand, nach Thierexperimenten zu schliessen, Gilio3), dass der Plexus hypogastricus und der Sacraltheil des Sympathicus das trophiscbe Centrum des Genitalapparates darstellen, da eine Exstirpation derselben eine hochgradige Atrophie und Bindegewebsumwandlung des Uterus, der Ovarien und der Vagina herbeiführt. Die Kenntniss des Verlaufes der Nerven fällt aber nicht mit der der Innervation des Uterus, mit der Kenntniss der Wege, auf denen die Uterus- contractionen hergeleitet werden, zusammen. Da sich begreiflicher Weise die Kenntniss über die Innervation des Uterus am Menschen nicht erforschen lässt, so muss zu diesem Zwecke das Thierexperiment herangezogen werden. Die Ergebnisse des letzteren lassen sich aber nicht einfach auf den Menschen übertragen, widersprechen sich auch theilweise, so dass aus ihnen allein kein vollständig klares Bild über die Innervation des schwangeren Uterus gewonnen werden kann.

Erst in jüngster Zeit angestellte Forschungen haben manche grosse Lücke unserer Kenntnisse über dieses Capitel ausgefüllt.

Vor Jahrzehnten schon an Thieren vorgenommene Experimente ergaben, dass Reizungen des Cerebellum, der Medulla oblongata und ihrer Nachbar- theile, sowie solche des Rückenmarkes Uterusbewegungen auslösen. Budge3), Valentin4), Kilian5), Spiegelberg6), Obernier7), Schlesinger8), Röhrig9), von Goltz10) u. a. Die hauptsächlichste motorische Leitung geht nach Kilian durch den Vagus, nach Spiegelberg durch das Rückenmark und den Sym pathicus (die Theilnahme des letzteren wird von Kehrer11) geleugnet), nach Obernier durch das Rückenmark und die Plexus aortici, nach Körner12) durch die spinalen Sacraläste, sowie durch die Plexus aortici und nach Schlesinger durch die Medulla oblongata und die Plexus aortici. Den eigent lichen motorischen Nerv des Uterus sucht Frankenhäuser13) im Plexus aorticus.

Cyon14) hält den Plexus aorticus für den wichtigsten motorischen Nerven und wird dessen Thätigkeit direct durch Reizung seiner peripheren Endi gungen, sowie reflectorisch durch Reizung der centralen Enden der ersten beiden Sacralnerven erregt. Die Reflexcentren im Gehirne werden nach Schlesinger und Oser16) durch verschiedene Reize zur Auslösung von Uteruscontractionen gebracht, wie z. B. durch Erstickungsblut und Mangel an Blutzufuhr. Im Gegensatz zu den oben Genannten finden Jakub16) und Jastreboff17) in der Medulla oblongata ein Hemmungscentrum für Uterus und Vagina. Wie die Leitung vom Centrum aus stattfindet, ob dies mittels vasomotorischer Bahnen, demnach durch Circulationsänderungen in den Genitalien, respective im Uterus, oder auf eigenen Bahnen vor sich geht, ist nicht ganz klar, doch scheint beides möglich zu sein; Olshausen18) stellt sich die Leitung in der Weise vor, dass die Hauptleitung der sensiblen Nerven durch das Rückenmark zur Medulla oblongata geht und dass von da aus die hauptsächliche motorische Leitung durch centrale Fasern hergestellt
wird, die in den Bahnen des Plexus aorticus verlaufen, während den eingeschobenen sympathischen Ganglien nur nebensächliche, die motorische Leitung modificirende Einflüsse zukommen. Andererseits aber muss auch angenommen werden, dass das Lendenmark selbständige Bewegungscentren für den Uterus besitzt ?Röhrig, von Goltz ?, ja, dass sich das Wehen centrum über das ganze Rückenmark erstreckt. Dafür sprechen sowohl Thier- experimente ?von Goltz, Marius19), Heidenhain20) ?, als Beobachtungen an Weibern, bei denen infolge von Verletzungen der Wirbelsäule ?Ollivier21), Nasse22), Benicke23), Scanzoni24), Paget25), Brächet26), Routh27) ?oder Erkrankungen der Wirbel ?von Renz28), Chaussier29) ?die Leitung zwischen Gehirn und Rückenmark unterbrochen war, demnach eine vollständige Lähmung der unteren Körperhälfte bestand, und dennoch die Geburt (und zwar beinahe stets rechtzeitig) eintrat und nahezu ausnahmslos normal vor sich ging. Rein's30) Thierexperimente (Empfängniss, Trächtigkeit, sowie Geburt bei einem Uterus, der zur Gänze aus seinen Verbindungen mit den cerebrospinalen Centren losgelöst wurde) bedeuteten einen grossen Schritt nach vorwärts in der Kenntniss der Innervation des Uterus. Sie deuteten an, dass es auch Innervationscentren des Uterus gäbe, die ausserhalb der Medulla oblongata und des Rückenmarkes liegen. Bestätigt wurde diese Entdeckung Rein's durch weitere einschlägige Experimente und Beobachtungen. Dembo31) fand nämlich in der Subserosa des oberen vorderen Abschnittes der Vagina, in der nächsten Umgebung des Uterus, zahlreiche Gäriglien- gruppen (ohne Zweifel dem grossen Cervicalganglion angehörend), deren elektrische Reizung starke, sowie allgemeine Contractionen des ganzen Genitalrohres auslösten, während Reizung anderer Theile der Vagina und des Uterus nur locale Contractionen hervorriefen. Kaschkaroff32), der diese Versuche nachcontrolirte, fand, dass auch blosse mechanische Reizungen dieses Vaginaläbschnittes den gleichen Effect hervorbringen. Kurz33) konnte die Dembo'sche Entdeckung an einer Kranken bestätigen, bei der die Berührung der erwähnten Stelle der Vagina Uteruscontractionen auslöste, und Cohnstein34) fand, damit übereinstimmend, dass nach Ausscheiden längsovaler Stücke der Vagina, die diese peripheren Ganglien enthalten, Stillstand der Gravidität und Aufhören aller rhythmischen Contractionen des Uterus folgt. Keilmann35) und Knüpfer36) nehmen, gestützt auf den anatomischen Befund der weiblichen Sexualorgane der Fledermaus (der merkwürdiger Weise dem des menschlichen Weibes sehr nahe steht), gleichfalls an, dass Uteruscontractionen durch Reize, die primär vom unteren Uterinsegmente oder der Cervix (respective vom grossen Cervicalganglion) ausgehen, reflectorisch ausgelöst werden. Diese Anschauung theilt auch Ahlfeld37) und Frommel38) steht derselben nicht fern, wenn er meint, dass die Uterusbewegungen nicht abhängig sind von einem ausserhalb des Uterus gelegenen Centrum.


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