Vulva: Kraurosis vulvae

Heilkundelexikon

Vulva: Kraurosis vulvae


Die so (von xpocupoco, schrumpfen, abgeleitet) bezeichnete Krankheit wurde 1885 zuerst von Breisky3) beobachtet und als eine eigentümliche Schrum pfung der Vulva mit erheblicher Verengerung des Scheideneinganges nebst Verminderung der Elasticität der Haut und häufiger Complication mit Pruritus beschrieben. Durch Untersuchungen besonders Orthmann's2), A. Martin's3) und Peter's4) wurde unsere Kenntniss der Krankheit in anatomischer und klinischer Hinsicht wesentlich erweitert und auch eine Grundlage für die Therapie geschaffen. Nach Peter's mikroskopischen Befunden ist die Erkran kung aufzufassen als chronisch entzündliche Hyperplasie des Bindegewebes mit Neigung zu narbiger Schrumpfung, entzündlichem Oedem der oberen Corium- schichten und der Epidermis, sowie Degeneration des elastischen Gewebes. Nach der sehr plausiblen, allerdings noch hypothetischen Anschauung J. Veit's5) ist Kraurosis die Verengerung und Schrumpfung der Vulva, die sich aus der Hautentzündung herausgebildet hat, die nach intensivem Jucken durch das Kratzen bedingt ist. Es steht also Pruritus in einem gewissen ursächlichen Zusammenhang mit Kraurosis vulvae, wenn auch an sich beide zu trennen sind; denn während wir unter Pruritus nur ein Symptom verstehen, welches eventuell imstande ist, durch das Kratzen auch Verände rungen der Haut der Vulva hervorzurufen, haben wir es bei der Kraurosis mit einer essentiellen Hautveränderung der Vulva (nach Entwicklung aus einem entzündlichen Vorstadium Schwund der Gewebe in allen hier vorkommenden Gebilden, Fett, Drüsen, Gefässen, Nerven, Haaren, Pigment) zu thun. Um eine progressive präsenile Atrophie (Sänger6) handelt es sich hier nicht, da oft schon jahrelang vorher Entzündungen bestanden haben. Die Symptome bestehen hauptsächlich in der Enge des Scheideneinganges als Cohabitations-und Geburtshinderniss und in der Spannung der Haut beim Gehen, sowie bei der Urin-und Stuhlentleerung; in vielen Fällen bestand oder besteht noch Gefühl von Jucken, brennendem oder fressendem Schmerz an den Geschlechtstheilen. In den früheren Stadien der Krankheit scheinen die schmerzhaften Empfindungen, im Endstadium die Stenosener scheinungen in den Vordergrund zu treten. Spontanheilung ist bis Jetzt nicht beobachtet worden, hingegen dreimal (Czempin7) bei einem 23jährigen Mädchen, (Pichevin8) und Brettauer9) eine Complication mit Carcinom. Die Aetiologie ist dunkel. Die Krankheit findet sich meist bei Frauen über 40 Jahre, sowohl bei Schwangeren (Breisky), als bei Nichtschwangeren. Janowsky10) und Orthmann sehen vorheriges Bestehen von gonorrhoischem und einfachem Fluor als ursächliches Moment an. Die Diagnose stützt sich ausser den geschilderten subjectiven Sym ptomen auf den Befund einer weisslich trockenen, mitunter mit einer dicken, etwas rauhen Epidermis versehenen, vielfach rissigen, pigmentarmen Haut, besonders zwischen Clitoris und Urethra, auf den Schwund der Nymphen, Abflachung der grossen Labien, starke Verengerung und Empfindlichkeit des Introitus. Im vorgerückteren Stadium werden Clitoris und Präputium er griffen, so dass die Clitoris hinter der Haut scheinbar verborgen liegt und beim Biossiegen sich die Haut der Vulva straff anspannt. Dabei besteht auch starke Spannung der benachbarten herangezogenen Hautpartien. Die selben sind glänzend und trocken, blassröthlichgrau, wohl auch mit ver waschenen weissen Flecken besetzt und stellenweise von ektatischen Gefässästen durchzogen, mit auffallend spärlichen Talgdrüsen (Breisky und Martin);

Die Unterscheidung von Pruritus ist oft sehr schwierig; bei letzterem sind die Kratzeffecte und Schrunden meist zahlreicher und tiefer und die Er krankung der Haut ist nicht wie bei Kraurosis rund um die ganze Vulva verbreitet. Doch sind dies nur graduelle Unterschiede, die gleichfalls für den ursächlichen Zusammenhang beider Affectionen zu sprechen scheinen (Veit). Die bis jetzt einzig wirksame Therapie besteht in der zuerst von Martin erfolgreich ausgeführten Excision der narbig gewordenen Schleim haut mit genauer Vernähung der Hautwunden der excidirten Partien. Martin empfiehlt wegen der möglichen starken Blutung aus der Clitoris und den seitlichen Partien vorherige Umstechung durch tiefgreifende Seidensuturen.

Bei Nichtschwangeren ist schon wegen der Möglichkeit einer Complication mit Carcinom die Excision sofort vorzunehmen, bei Schwangeren hat man abzuwägen, ob die Gefahr des Einreissens der stenosirten Stellen bei der Geburt oder die der Blutung und der drohenden Frühgeburt nach der Operation stärker ist.

Literatur: ') Breisky, Ueber Kraurosis vulvae, eine wenig beachtete Form von Hautatrophie am Pudendum muliebre. Zeitschr. f. Heilk. VI, pag. 69; Centralbl. f. Gyn. 1885, pag. 358. ?2) Orthmann, Ueber Kraurosis vulvae. Zeitsehr. f. Geburtsh. und Gyn. XIX, pag. 283. ?8) A. Martin, Kraurosis vulvae. Centralbl. f. Gyn. 1894, pag. 310 und Volk- mann's Samml. klin. Vortr. N. F. Nr. 102. ?*) Peter, Ueber Kraurosis vulvae. Monatsschr. !. Geburtsh. und Gyn. III, pag. 297. ?5) Veit, Handb. d. Gyn. 1898, III, pag. 150. ? 8) Sänger, Centralbl. f. Gyn. 1894, pag. 310. ?7) Czempin, Kraurosis vulvae und Juckreiz. Zeitschr. f. Geburtsh. und Gyn. XXXV, pag. 460 und Berliner klin. Wochenschr. 1896, Nr. 52. ? 8) Pichevin et Petit, Sur le Krauroais vul ^ae. Soc. obstetr. et gyn. de Paris. Seance du 11 fevr. Kef. Annal. de gyn. et d'obstetr. 1897, Mars. ?9) Brettauer, Geburtsh. Gesell schaft zu New-York. Sitzung vom 9. Mai 1899. Ref. in Monatsschr. f. Geburtsh. und Gyn. X, pag. 536. ?10) Janowsky, Monatschr. f. prakt. Dermat. 1888, pag. 951 und Centralbl. f. Gyn. 1889, pag. 367. ?Ausführliche Literaturübersichten ausserdem bei Veit, I. e. 1898, pag. 144 und v. Mars, Ein Beitrag zur Kraurosis vulvae. Monatsschr. f. Geburtsh. und Gyn. 1898, VII, pag. 616.


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