Vulva: Entwicklungsfehler

Heilkundelexikon

Vulva: Entwicklungsfehler


Hypertrophien.

Abnorme Grösse der Nymphen, die als Raceneigenthümlichkeit den Weibern der Hottentotten und Buschmänner (sogenannte Hottentottenschürze,
Tahlier) beobachtet wird, kommt auch in unseren Gegenden als individuelle oder als Familieneigenthümlichkeit vor. Allgemeine oder theilweise Hyper trophie der Vulva ist auch die Folge von Onanie. Durch das Zupfen an den kleinen Schamlippen werden dieselben nicht eigentlich hypertrophisch und verdickt, sondern verdünnt und langgezogen. Sie sind in der Regel von welker Beschaffenheit und überragen die Labia majora um ein Beträcht liches. In ihnen befinden sich oft massenhafte, bis linsengrosse, harte, nicht schmerzende, gelbliche, dilatirte Talgdrüsen mit verschlossenem Ausführungs gang (Fritsch). Auch die grossen Labien können durch die häufig wiederholten masturbatorischen Reizungen chronisch entzündet und verdickt werden. Symptome macht die Hypertrophie nur insofern, als die häufige Benetzung mit Urin und die Reibung der Kleidungsstücke leicht einen entzündlichen Zustand hervorrufen, der sich auch in einer Hypersecretion der drüsigen Gebilde kundgiebt. In einem von Breslau beobachteten Falle war Incontinenz des Urins vorhanden, welche nach Abtragung beider Lefzen voll kommen schwand.

In einzelnen Fällen soll die Hypertrophie Verlust des Wollustgefühls bedingen. Wahrscheinlich ist diese Unempfindlichkeit beim Coitus (Dyspareunie) eine Folge der onanistischen Ueberreizung. Die Cohabitation wird dadurch nur selten beeinträchtigt. Sind die Belästigungen bedeutend, so ist die Abtragung indicirt, am besten in Narkose mit dem Paquelin.

Hypertrophie der Clitoris.

Bedeutende Vergrösserung der Clitoris ist in der Regel acquirirt, doch kommen auch angeborene Hypertrophien, häufig in Gemeinschaft mit anderen Bildungsfehlern, vor. In einzelnen Fällen kann die Clitoris die Grosse eines Penis erreichen. Die Aetiologie der acquirirten Clitorishypertrophie ist dunkel. Nach den von Parent Duchatel in den Pariser Gefängnissen gesammelten Er fahrungen ist der habituellen Masturbation, die von vielen Autoren als veranlassendes Moment betrachtet wird, keine ätiologische Bedeutung beizumessen.

Die Abtragung der Clitoris (Clitoridektomie) mit Thermo-oder Galvanokauter ist bei Hypertrophie nur indicirt, wenn anderweitige Krank heitserscheinungen durch dieselbe hervorgerufen werden. Verwechslungen der einfachen Hypertrophie mit Elephantiasis sind mit Sicherheit auazuschliessen, wenn man berücksichtigt, dass bei einfacher Hypertrophie die natürliche Form des Organes erhalten bleibt, während Elephantiasis regelmässig eine hochgradige Verunstaltung bedingt.

Literatur: Luschka, Monatsschr. f. Geburtsh. XXXII, pag. 343. ?Mason, New York ined. Review. Mai 1868. ?Parent Duchatel, La Prostitution dans la ville de Paris. 1859, I, päg. 111. ?Scanzoni, Lehrbuch der Krankheiten der weiblichen Sexualorgane. ?Veit, Krankheiten der weibl. Geschlechtsorgane. ?West, Frauenkrankheiten. 1870. ?Schröder- Hofmeier, Handbuch der Krankheiten des weibl. Geschlechts. 12. Aufl. 1898. ?Fritsch, Krankheiten der Frauen. 9. Aufl. 1900, pag. 48.

Cysten.

Neben den Cysten der Bartholin'schen Drüse, welche nachzusehen sind, kommen Cysten in der Vulva vor, deren Genese bis jetzt noch nicht voll ständig aufgeklärt ist. Nach Klob entstehen sie zum Theil aus Blutergüssen, die nach Art apoplektischer Cysten abgekapselt werden. Die Cysten sitzen meist an den grossen und kleinen Labien und erreichen nur selten beträcht liche Grosse. Auch Dermoidcysten sind an der Vulva beobachtet worden. Käst hat an den kleinen Labien epithellose Cysten gefunden, die er als Lymphangiektasien deutet. Lindner beschreibt eine von einer Hautfalte des Mons veneris ausgehende, über die Vulva herabhängende, überkinds- kopfgrosse, congenitale Cyste mit bindegewebiger Wand und mehrschich tigem Cylinderepithel, ähnlich demjenigen der Harnwege, die er für einen Abkömmling der Allantois hält. Atheromcysten mit Atherombrei finden sich an den grossen und kleinen Labien (Palm).

Literatur: Klob, Path. Anat. der weibl. Sexualorgane. 1864. ?Kirmisson, Annal. de gynecol. II, Août 1874, pag. 148. ?Gebhard, Path. Anat. d. weibl. Sexualorgane. 1899, pag. 589. ?Käst, Ein Fall von diffus. Lymphangiektasien der äusseren Genitalien. Deutsche med. Wochenschr. 1891, Nr. 42. ?Lindner, Ueber einen seltenen Tumor der Vulva. Berliner klin. Wochenschr. 1891, Nr. 23. ?Palm, Eine Hymenalcyste und ein Atherom des Labium minus bei einer Erwachsenen. Arch. f. Gyn. LI, pag. 483. ?Ausführliche Literatur bei Veit, Handb. d. Gyn. III, pag. 159.

Lipome können sich an den Labien und am Mons veneris entwickeln. Dieselben erreichen in einzelnen Fällen bedeutende Grosse.

Stiegele ex- stirpirte ein Lipom von 10 Pfund, welches vorn linken Labium ausgegangen war. Einen ähnlichen Fall operirte Koch. Die Lipome sollen sich in der Schwangerschaft vergrössern und im Puerperium wieder verkleinern;
ebenso sollen sie vor, respective bei der Menstruation anschwellen. Sie sind mit einer Ausnahme (Quénu) nur bei Erwachsenen beobachtet und stehen mit allgemeiner Adipositas nicht im ursächlichen Zusammenhang. Ihre Ex- stirpation ist einerseits wegen der durch sie verursachten Unbequemlich keiten, andererseits wegen der Möglichkeit maligner Degeneration indicirt und leicht auszuführen.

Literatur: Veit, III, pag. 220. ?Gebhard, pag. 593. ?Stiegele, Monströse Fett gesehwulst der linken grossen Schamlippe. Zeitschr. f. Chir. und Geburtsh. 1856, IX, pag. 243. ? Koch, Graefe und Walther's Journ. 1856, XXIV, pag. 308.

Fibrome werden an den grossen Schamlippen, den Nymphen, der Clitoris und dem Damme beobachtet. Die Grossen Verhältnisse sind sehr verschieden. Von kleinen erbsengrossen Tumoren, wie solche nicht sehr selten an dem Damme gefunden werden, schwanken dieselben bis zur mannskopf- grossen Geschwulst. Fibrome von diesem Umfange beobachteten Schröder und Polaillon.

Die Geschwülste haben das Bestreben, sich nach der Richtung des geringsten Widerstandes zu entwickeln und werden hierin von ihrer eigenen Schwere unterstützt. Hierdurch kommt es, namentlich wenn die Geschwulst an den Schamlippen ihren Sitz hat, zu beträchtlicher, stielartiger Auszie hung der Haut. Die Tumoren senken sich polypenartig (Orrillard, Mau- claire, Geldner, Molluscum, Fibroma vulvae pendulum) zwischen den Schen keln nach abwärts und können in extremen Fällen bis zu den Knieen herab hängen. Die verschiedenartigen Insulte, welchen die Neubildung unter diesen Verhältnissen ausgesetzt ist, führen nicht selten zu Exulceration der Oberfläche oder geben zu Jauchung Veranlassung. Die Tumoren sind von relativ fester Consistenz und zeigen im allgemeinen ein sehr langsames Wachsthum. Doch kann sich durch ödematöse Stauung und Bildung lymphan- giektatischer Hohlräume auch eine vollkommen cystische Consistenz ent wickeln. Mikroskopisch bestehen diese Tumoren aus dichtmaschigem Bindegewebe mit einzelnen Zügen glatter Muskelfasern. Durch ödematöse Durchfeuchtung und Auseinanderdrängung der Maschen des Bindegewebes entstehen Hohlräume, die grosse Mengen von Serum enthalten (Virchow; und andererseits den Eindruck von Schleimgewebe erzeugen (Myxofibrom).

Auch die Fibrome der Vulva sind von der ähnlich auftretenden, aber sich als mehr diffuse Gewebshyperplasie kennzeichnenden Elephantiasis und ferner von den Neubildungen des Ligam. rotundum uteri, das gleichfalls in die grossen Labien ausstrahlt, auseinander zu halten (Sänger). Nach Scanzoni tritt während der Gravidität regelmässig eine beträchtliche Vergrösserung ein. Auch die Menstruation bedingt eine Anschwellung der Geschwulst; nach Ablauf der Menses stellt sich jedoch das frühere Volumen wieder her. In therapeutischer Hinsicht kommt aus denselben Gründen wie bei den Lipomen nur die vollständige Ausrottung in Betracht. Breitbasige Tu moren werden am besten enucleirt, die zurückbleibende Wundhöhle drainirt und durch die Naht vereinigt. Polypöse Geschwülste sind durch die Ampu tation zu entfernen.

Literatur: Stober, Boston gyn. Journ. IV, pag. 271 etc. ?Morton, Glasgow med. Journ. 1878, pag. 146. ?M. Clintock, Diseases of wom., pag. 229. ?Klob, Pathologische Anatomie der weiblichen Sexualorgane, pag. 460. ?Schröder, Handbuch der Krankheiten der weiblichen Geschlechtsorgane. ?Scanzoni, Krankheiten der weiblichen Sexualorgane. ? Grime, Glasgow med. Journ. 1871, pag. 265. ?Veit, 1. c. III, pag. 215. ?Gebhard, 1. c. pag. 592. ?Polaillon, Gaz. med. de Pari3. 1891, Nr. 32 und Union me"d. 17. Oct. 1891. ? Orrillard, Annal. de Gyn. XXXIX, pag. 401. ?Mauclaire, Ibid. XL, pag. 409. ?Geld ner, Dissert. inaug. Greifswald 1897. ?Saenger, Arch. f. Gyn. XXI, pag. 297. Neurome sind von Simpson und Kennedy in der Umgebung der Harn röhrenmündung als schmerzhafte kleine Knötchen beschrieben worden. Weitere Beobachtungen liegen nicht vor.. Vulva. 49 Literatur: Simpson, Med. Times. October 1859. ?Kennedy, Med. Press and Cire. 7. Juni 1874.


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