Wasser und Wasserversorgung: Bakteriologische Untersuchung

Heilkundelexikon

Wasser und Wasserversorgung: Bakteriologische Untersuchung


Bakteriologische Untersuchung des Wassers. Handelt es sich darum, ein bestimmtes Wasser bakteriologisch zu untersuchen, so muss zunächst die einwandsfreie Entnahme einer Probe des Wassers stattfinden. Ist das Wasser einem Zapfhahn der Wasserleitung zu entnehmen, so ist es zunächst nothwendig, das Wasser stundenlang aus dem Hahn ablaufen zu lassen, bevor man es zur Untersuchung entnimmt. Es muss unter allen Umständen bei solcher Gelegenheit vermieden werden, dass Wasser zur Untersuchung gelangt, welches längere Zeit in dem Rohrsystem stagnirt hat; denn bei der Stagnirung des Wassers findet stets eine Vermehrung vorhandener Keime statt. Die (in sterilem Glasgefäss) entnommene Probe soll möglichst sofort, jedenfalls nicht später als zwei bis höchstens drei Stunden nach der Entnahme, in Untersuchung genommen werden, damit nicht wesentliche Veränderungen des Wassers in bakteriologischer Beziehung vor sich gehen, bevor die Untersuchung beginnt. Was die Probe entnahme betrifft, so liegen die Verhältnisse nicht immer so einfach wie bei dem Zapfhahn der Wasserleitung. Mit grösseren Schwierigkeiten hat man z. B. zu rechnen, wenn man das Wasser aus einem Brunnenkessel zu entnehmen hat, in welchen man nicht bis zur Oberfläche des Wassers hinuntersteigen kann, oder wenn gar die Aufgabe vorliegt, das Wasser aus einer bestimmten Tiefe eines Flusses etc. heraufzuholen. In solchen Fällen muss man dann in besonderer, dem speciellen Falle angepasster Weise verfahren, um die Entnahme einwandsfrei zu bewirken. Ist das Wasser aus der Tiefe des Bodens, z. B. aus einem frisch erbohrten Röhrenbrunnen zu entnehmen, so ist es nothwendig, eine ?möglichst kräftig wirkende ?Pumpe aufzustellen und den Brunnen längere Zeit ?mindestens stundenlang ?abzupumpen, um alle bakteriellen Verunreinigungen, die aus dem Brunnenrohr u. s. w., also nicht aus dem Boden stammen, sicher zu entfernen und schliesslich originales Grundwasser zu erhalten. Sehr häufig kommt man aber auch hiermit noch nicht zu ein wandsfreien Ergebnissen. M. Neisser3) hält es nach experimenteller Prüfung der Frage durchaus für nothwendig, das gesammte Brunnenrohr zunächst (durch Dampf) zu sterilisiren; daran würde man dann das Abpumpen grösserer Wassermengen schliessen, um dann erst die Probe entnahme zu bewerkstelligen.

Behufs der eigentlichen Untersuchung des Wassers geht man nach Koch4) so vor, dass man eine bestimmte Quantität des Wassers (gewöhnlich Y2 ?1 Ccm.) in geschmolzene Nährgelatine einträgt, damit vermischt und das Gemisch zur Platte ausgiesst (vergl. Artikel Cultivirung, Bd. V, pag. 220). Die Gelatine soll eine bestimmte chemische Reaction besitzen, sie soll schwach alkalisch sein. Verschiedene Wässer verhalten sich bezüglich dieser Anforderung verschieden (vergl. z. B. Reinsch5). B. Fischer6) hält zur Cultivirung von Meeresbakterien eine mit Seewasser und dem Fleisch frischer Seefische hergestellte Gelatine für geeigneter als die gewöhnliche Nährgelatine.

Haben sich auf den angelegten Culturplatten die Colonien der eingesäeten Bakterien entwickelt, so wird die Zahl dieser Colonien und damit auch die Zahl der in der untersuchten Wasserquantität vorhanden gewesenen entwicklungsfähigen Bakterienkeime festgestellt. Es geschieht dies gewöhnlich unter Benutzung des Wolffhügel'schen Colonienzählapparates, welcher übrigens in neuerer Zeit durch Mie7) erheblich verbessert worden ist. Bei den genannten Apparaten findet die Zählung mit Hilfe der Loupe statt. Ist die Anzahl der zur Entwicklung gekommenen Colonien sehr gross, so gelangt man mit der Loupenzählung nicht zum Ziele, und man muss dann die Zählung der Colonien mit Hilfe des Mikroskops vornehmen. 8) Die absolute Grosse des Gesichtsfeldes muss man in solchen Fällen ?für eine bestimmte optische Disposition des Mikroskops ?ein-für allemale vorher (durch Ausmessung mit Hilfe eines Objectmikrometers) festgestellt haben. Man zählt dann bei der Plattenzählung eine grössere Anzahl Gesichtsfelder bezüglich der Colonienanzahl aus und rechnet das erhaltene Mittel auf die festzustellende Ausdehnung der ganzen Plattencultur um. Dass ?namentlich bei dicht besäeten Platten ?die mikroskopische Zählung im allgemeinen richtigere Werthe giebt als die Loupenzählung, hat M. Neisser9) nachgewiesen. Eventuell muss man übrigens (nämlich bei ausserordentlich dicht besäeten Platten) bei der mikroskopischen Zählung das Gesichtsfeld des Mikroskops durch Einlegung der (von Carl Zeiss in Jena zu beziehenden) EHRLTCH'schen Blenden in das Ocular einschränken.

Hesse 1o) ist dafür eingetreten, die Nährgelatine bei Wasseruntersuchungen durch das Nähr-Agar zu ersetzen. Es kann so keine Verflüssigung des Nährbodens eintreten, und die Platten können wochenlang unter Beobachtung gehalten werden, während das letztere bei Culturen, die mit Gelatine angelegt sind, wegen der eintretenden Verflüssigung nicht möglich ist. Hesse und Niedner u) haben darauf aufmerksam gemacht, dass bei 20 °C. in den ersten 3 Tagen der Cultur etwa 30%, in den ersten 5 Tagen etwa 70%, in den ersten 10 Tagen etwa 90%der in Culturplatten überhaupt (im Laufe von 3 Wochen) auswachsenden Colonien zur Erscheinung kommen. Es würde also nothwendig sein, die von dem Wasser angelegten Platten wochenlang
unter Beobachtung zu halten, was aber bei Gelatineplatten nicht möglich ist. Der geeignetste Nährboden für bakteriologische Wasseruntersuchungen besitzt nach Hesse und Niedner folgende Zusammensetzung: Agar-Agar 1, 25%, Albumose (Nährstoff Heyden) 0, 75%, destillirtes Wasser 98%. Die im Wasser vorkommenden Bakterien gehören meist zu den Bacillen, und zwar zu nicht sporenbildenden Arten. Pathogene Eigenschaften kommen den »Wasserbakterien« im allgemeinen nicht zu. Ueber die am gewöhnlichsten im Wasser gefundenen Arten siehe die Arbeiten von C. Frankland und P. F. Frankland12), von Tils13), von Lustig. 14) Ueber Meeresbakterien siehe B. Fischer. 15) Füller und Johnson16) haben genaue Anweisungen zur Bestimmung der Wasserbakterien gegeben. G. Michaelis17) hat in (Berliner) Brunnenwasser thermophile Bakterien (d. h. Bakterienarten, deren Temperaturoptimum etwa zwischen 50 und 60 °C. liegt) nachzuweisen vermocht. Er beschreibt vier Arten genauer; sämmtlich sind es mit Eigenbewegung und Sporenbildung begabte Bacillenarten.

Pathogene Bakterienarten sind relativ selten im Wasser gefunden worden. Namentlich handelt es sich hier um Cholera-und Typhusbakterien, Den ersten Befund von Cholerabakterien im Wasser machte R. Koch18) 1884 in Calcutta. Bezüglich des Nachweises von Cholerabakterien im Wasser ist zu bemerken, dass man hier der oben angegebenen Plattencultur eine Vorbehandlung des Wassers vorausschicken kann, welche den Zweck verfolgt, die in dem Wasser eventuell vorhandenen Cholerabakterien vorher zur Vermehrung zu bringen (wobei andere Bakterien sich nicht in derselben Weise vermehren würden); die Methode, die sogenannte Vorcultur, beruht darauf, dass das zu untersuchende Wasser mit einem für die Cholerabakterien geeigneten Nährstoff versetzt wird (man stellt mit Hilfe des Wassers z. B. eine Nährlösung her, die 1%Pepton und 1%Kochsalz enthält), und dass man dann das Wasser bei etwa 37 °10 ?20 Stunden aufstellt. Vorhandene Cholera bakterien vermehren sich hier gewöhnlich in Form eines oberflächlichen zusammenhängenden Häutchens, welches seinerseits dann weiter auf Cholera bakterien mit Hilfe der Plattencultur geprüft wird. Ueber die genannte Vorcultur siehe die Arbeiten von Schotteliüs19), Büchner20), Gruber21), Bujwid22), R. Koch. 23) Zur Untersuchung eines Wassers auf Typhusbakterien haben wir derartige »Anreicherungsverfahren« nicht. Levy und Brüns24) haben empfohlen, bei Wasseruntersuchungen den üblichen Methoden eine besondere »Pathogenitätsprüfung« zuzugesellen, welche darauf beruht, dass das Wasser zunächst, mit 1%Pepton und 1%Kochsalz versetzt, für 48 Stunden bei 37 °aufgestellt wird, und dass dann mit dem Wasser Thiere geimpft werden (Meerschweinchen z. B. intraperitoneal mit 1 ?2 Ccm.). Hygienisch tadellose Wässer Hessen die Thiere stets am Leben, während bei eintretendem Tode der Thiere aus den Cadavern sich entweder Bacterium coli oder der Proteusgruppe angehörende Bakterien herauszüchten Hessen.

Was nun die in den verschiedenen Wässern vorkommende Anzahl der entwicklungsfähigen Keime angeht, so macht Flügge25) folgende Angaben: »In der Regel beobachtet man in reinem Leitungs-und Quellwasser 2 bis 50 Bakterien in 1 Ccm., in reinem Pumpbrunnen 100 ?200 ?500, in filtrirtem Flusswasser 50 ?200, in unfiltrirtem Wasser rein gehaltener Flüsse 6000 bis 20. 000, in verunreinigten Brunnen bis zu 100. 000, ebensoviel bei Störung des Filterbetriebes in Flusswasserleitungen; im Canalwasser oder in stark verunreinigten Flussläufen 2 ?40 Mülionen Bakterien in 1 Ccm.«

Selbstverständlich ist aber die Frage, wie gross die Anzahl der Keime in einem Wasser ist, ganz nebensächlich gegenüber der Frage, ob patho gene Arten in dem Wasser vorhanden sind. Wir können also nicht etwa durch Bestimmung der Keimzahl in einer uns vorliegenden Wasserprobe irgend einen Schluss auf die Frage der hygienischen Zulässigkeit des
betreffenden Wassers ziehen. Aber auch mit der Suche nach pathogenen Arten kommen wir nicht weit. Es ist erstens z. B. gelegentlich ganz ausser- ordentlich schwierig, eine auf der Plattencultur als »choleraverdächtig« aufgefundene Colonie wirklich mit Sicherheit als dem Choleravibrio zugehörig zu diagnosticiren (ähnlich steht es auch mit dem Typhusbacillus); und zweitens liegt es auf der Hand, dass man stets nur eine relativ kleine Menge Wassers in die Untersuchung einbeziehen kann, ein negatives Ergebniss bezüglich der Anwesenheit pathogener Bakterien also unter allen Umständen wenig bedeuten würde. Der bakteriologische Befund, den man an einer bestimmten Wasserprobe erhebt, kann also als solcher, ohne Zuhilfenahme anderer Kriterien, nie zur Begutachtung der in Frage kommenden Wasserversorgungsanlage benutzt werden. Und dass auch aus der chemischen Untersuchung der Brunnenwässer ganz im allgemeinen kein Schluss auf ihre hygienische Beschaffenheit abgeleitet werden kann, hat neuerdings Flügge26) (bei umfassenden Untersuchungen der Breslauer Gesundwasser brunnen) in überzeugender Weise dargethan.

Das Allerwesentlichste für die hygienische Begutachtung einer bestimmten Wasserversorgungsanlage ist die locale Inspection, die Besichtigung und sachverständige Untersuchung derselben. Es kann hierbei ohne weiteres er mittelt werden, ob der in Betracht kommende Brunnen etc. verunreinigenden Einlaufen von der Bodenoberfläche her ausgesetzt ist, oder ob die Art und Weise der Anlage solche Verunreinigungen unmöglich macht. Hierdurch ist dann der wichtigste Schritt bezüglich der hygienischen Beurtheilung gethan. 27) Wenn man nun nach der eigentlichen Bedeutung der bakteriologischen Untersuchung des Wassers fragt, so liegt dieselbe, wie auseinander gesetzt, nicht darin, dass man aus dem Ausfall der an einer bestimmten Probe angestellten Prüfung hygienische Schlüsse ziehen könnte, sondern sie liegt auf anderen Gebieten.

Wenn es sich um die Neuanlage einer Grundwasserversorgung handelt, so giebt die sorgfältig ausgeführte bakteriologische Untersuchung des mittels eines Versuchsbrunnens zutage geförderten Wassers sofort die Antwort darauf, ob es sich an der angebohrten Stelle um Grundwasser handelt, welches in dem wesentlichsten Punkte den hygienischen Anforderungen entspricht, nämlich bezüglich der Frage, ob dieses Wasser bei seinem Durchgange durch den Boden eine genügende Filtration erfahren hat, ob es also damit auch mit absoluter Sicherheit frei ist von Infectionskeimen. Von einwandsfreien derartigen Anlagen muss unter allen Umständen in erster Linie verlangt werden, dass das Wasser keimfrei oder nahezu keimfrei ist. Noch bei einer anderen Gelegenheit ist die bakteriologische Wasseruntersuchung unentbehrlich, nämlich zur Controle der Functionirung der Sandfilter bei Filtrationsanlagen für Oberflächenwasser.

Man muss zu diesem Zwecke das Wasser vor und nach der Passage durch das Filter untersuchen. (S. weiter unten.) Anhangsweise soll hier erwähnt werden, dass man in Trinkwässern häufig Protozoen mikroskopisch nachweisen kann. M. Neisser28), weicher die Frage der hygienischen Bedeutung derartiger Befunde zum Gegenstande einer Untersuchung gemacht hat, ist zu dem Schlüsse gelangt, dass der Protozoenbefund kein Kriterium darstellt, welches ein auf andere Weise ge wonnenes hygienisches Urtheil zu modificiren geeignet ist; ebensowenig ist es angängig, in dem Protozoenbefunde ein Symptom zu sehen, welches die Anwendung anderer hygienischer Untersuchungsmethoden überflüssig macht.


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