Zwillinge: Schwangerschaft

Heilkundelexikon

Zwillinge: Schwangerschaft


Im Graviditätsbeginn befinden sich beide Früchte häufig in der Beckenendlage. In der späteren Zeit nimmt häufiger der eine die Beckenend- und der andere die Schädellage ein. Am Schwangerschaftsende sind Schädellagen bei den Früchten am häufigsten. Das Gewicht und die Grosse der Zwillinge bleibt meist unter dem Mittelwerthe, auch wenn sie ausgetragen werden. Namentlich gilt dies von den eineiigen und ist dies wohl in einer gewissen Primärveranlagung, sowie in einer mangelhafteren Ernährung durch die gemeinschaftliche Placenta begründet. Sehr häufig sind sie ungleich entwickelt (Klautsch34), so dass der Gewichts- und Längenunterschied zwischen beiden ein bedeutender ist. Diese Fälle geben Anlass zur Annahme der Ueberfruchtung (vergl. den Art. Superfoetatio). Bei eineiigen Zwillingen ist dieser Unterschied durchschnittlich bedeutender als bei zweieiigen, auch finden sich bei ihnen die absolut grössten zur Beobachtung kommenden Differenzen. Diese zurückbleibende Entwicklung der einen Frucht steht im geraden Verhältniss zur Grosse des Placentarabschnittes, der den dritten Kreislauf enthält. Je mehr der Placentarkreislauf des einen Zwillings in den gemeinschaftlichen dritten aufgeht, desto leichter und kleiner bleibt die entsprechende Frucht. Bei den zweieiigen Zwillingen beruht die ungleichmässige Entwicklung derselben darauf, dass sich das eine Ovum an einer Stelle der Uterusmucosa festsetzte, die ihm günstigere Bedingungen zu seiner Entwicklung bot als dem anderen.

Der Verlauf der Zwillingsschwangerschaft ist durchschnittlich von mehr Beschwerden begleitet als die einfache Schwangerschaft. Diese Beschwerden und Störungen sind auf den intensiveren Druck, den der stärker ausgedehnte Uterus ausübt und die daraus resultirenden bedeutenderen Stauungserscheinungen zurückzuführen. Der Unterleib ist stärker ausgedehnt, Oedeme und Varices stellen sich früher ein und sind bedeutender als bei einfacher Schwangerschaft. Die sogenannte Schwangerschaftsniere entwickelt sich häufiger als sonst, daher die grössere Gefahr des Ausbruches einer Eklampsie. Placenta praevia ist zwar bei Zwillingsschwangerschaft seltener, dafür aber umso gefährlicher (Curzoni35), Palchowski86). Die häufigste Störung ist aber die, dass der Uterus bereits relativ frühzeitig stark ausgedehnt wird, wodurch auch das untere Uterinsegment und die Cervix frühzeitig ausgedehnt und entfaltet wird. Damit eröffnet sich der äussere Muttermund und kommt die Geburt in Gang. Meist tritt die Geburt einige Wochen vor dem normalen Schwangerschaftsende ein.

Zu diesen durch die Zwillingsschwangerschaft veranlassten Störungen und Beschwerden können schliesslich anderweitige Complicationen, ebenso wie zu der einfachen Schwangerschaft, hinzutreten, die aber hier bedeutungsvoller werden. Einen solchen Fall beispielsweise theilt Köhler37) mit, indem die Zwillingsschwangerschaft mit einer Ovarialcyste complicirt war.

Weit bedeutenderen Gefahren sind die Früchte bei der Zwillingsschwangerschaft ausgesetzt als sonst Einlinge während der Schwangerschaft. Diese Gefahren können sich bereits in den ersten Schwangerschaftswochen einstellen und bedrohen namentlich eineiige Zwillinge. Bisweilen wuchern, ehe sich noch eine Placenta gebildet hat, zur Zeit, in der die beiden Allan-toisblasen um das Amnion her umwachsen und die Gefässe in die
Zotten hineinbringen, die Gefässe der einen Allantois auch denen der anderen AUantois entgegen in den Körper des anderen Zwillings hinein und machen ihn zu ihrem Parasiten. Da hierbei die AUantois des einen Zwillings den ganzen Zottenbezirk der Serotinafläche für sich in Anspruch nimmt und