Zwillinge: Diagnose

Heilkundelexikon

Zwillinge: Diagnose


Die Diagnose der Zwillingsschwangerschaft. Es giebt nur wenige diagnostische Zeichen, aus denen man mit grösster Wahrscheinlichkeit die Gegenwart von Zwillingen erkennen kann. Das wichtigste ist das Fühlen von mehreren gleich grossen, gleich geformten und gleich harten Fruchtheilen, die einer Frucht allein nicht angehören können, wie z. B. eines Kopfes im Becken und des anderen im Fundus oder dreier grosser Frucht-theile. Allerdings aber ist man in Ausnahmsfällen vor Täuschungen nicht sicher, denn es kann eine Doppelmissbildung vorliegen oder können auch grosse intraperitoneale Fibrome Anlass zu diagnostischen Irrthümern geben. Das Vorhandensein zweier auscultatorischer Centren, die dem Palpations-befunde nach nicht einer Frucht zukommen können und durch einen tonlosen Zwischenraum ziemlich weit von einander entfernt sind, ist gleichfalls ein nicht zu unterschätzendes diagnostisches Zeichen. Das Vernehmen von fötalen Pulsen ungleicher Frequenz an verschiedenen Stellen des Unterleibes ? Ahlfeld89), Tillmann90) ? kann wohl gleichfalls diagnostisch verwerthet werden, doch ist zu beachten, dass eine geringe Differenz beider Fötalpulse leicht überhört werden kann und andererseits eine gleiche Pulsfrequenz an beiden Stellen noch immer nicht die Gegenwart von Zwillingen ausschliessen muss, da beide die gleiche Frequenz zeigen können. Von mehr oder minder zweifelhaftem diagnostischem Werthe sind nachstehende diagnostische Zeichen: Das Nichtübereinstimmen der Stellen, an denen Fruchttheile liegen und an denen man die Fötalpulse vernimmt; die Fixation des vorliegenden Frucht-theiles bei Beweglichkeit der äusserlich zu fühlenden Fötaltheile und das Umgekehrte davon; der höhere Stand des unteren Uterinsegments, dadurch hervorgerufen, dass der vorliegende Fruchttheil zuweilen durch die andere Frucht verhindert wird, in das Becken einzusinken; das Vorhandensein einer deutlich ausgesprochenen Längsfurche an der vorderen Seite des Uterus; die Angaben der Schwangeren, die Frachtbewegungen an zwei verschiedenen Stellen zu fühlen etc. Ein Uterus, der stärker ausgedehnt ist, als es der Zeit der Schwangerschaft entspricht, ist wohl kein sicheres diagnostisches Zeichen, immerhin aber ein Wink, bei der Untersuchung die Möglichkeit einer Zwillingsschwangerschaft im Auge zu halten und danach die Untersuchung vorzunehmen. Nach Budin91) ist die erwähnte Längsfurche des Uterus bei Nebeneinanderliegen der Früchte zu finden und ist hierbei der Uterus auffallend breiter. Gleichzeitig soll man zuweilen vier grössere Fruchttheile fühlen und sind die Fötalpulse seitlich rechts und links zu vernehmen. Liegen die Früchte übereinander, wobei die obere die Querlage und die untere die Quer- oder Längslage einnimmt, so soll der Uterus, namentlich in seiner oberen Hälfte, stark quer ausgedehnt und die oben liegende Frucht besser abzutasten sein. Die Fötalpulse sollen da ober- und unterhalb des Nabels zu hören sein. Liegt die eine Frucht vor der anderen, so soll der Uterus nicht bedeutend verbreitert, aber stark vorgewölbt sein. Das Palpations- und Auscultationsergebniss soll hier meist ein negatives sein. Im allgemeinen lässt sich sagen, dass man bei genau vorgenommener äusserer und innerer Untersuchung, ausgenommen die Fälle, in denen die Uteruswände abnorm straff gespannt sind, die Diagnose in der Regel ohne grosse Schwierigkeiten stellen kann.

Differentialdiagnose. Um zu entscheiden, ob man eine Zwillingsschwangerschaft oder ein Hydramnion vor sich hat, empfiehlt Keilmann92) zu prüfen, ob man am Uterus zwei nicht fluctuirende Centren findet.

Polosson93) glaubt, dass man in gewissen Fällen von Hydramnion dann auf die Gegenwart von Zwillingen schliessen kann, wenn man ein und dieselbe Frucht bei wiederholten Untersuchungen in derselben Lage und an derselbe Stelle des Uterus fixirt findet.

Die Diagnose während der Geburt ist, abgesehen von wenigen Ausnahmen, noch schwieriger als in der Schwangerschaft, da die straff gespannten Uteruswände und der meist bereits fixirte vorliegende Fruchttheil eine eingehende Untersuchung in der Regel unmöglich machen. Wichtig ist es, auf die Grosse des vorliegenden Fruchttheiles zu achten. Entspricht diese bei stark ausgedehntem Uterus und früher schon aufgestiegenem Verdacht auf Zwillinge einer kleinen oder nicht ausgetragenen Frucht, so liegt die Vermuthung nahe, dass Zwillinge vorliegen dürften. Das Gleiche gilt, wenn die Stellung des vorliegenden Fruchttheiles mit dem Ergebnisse der äus-seren Untersuchung nicht übereinstimmt und nachgewiesen werden kann, dass der äusserlich palpirte Fruchttheil einer anderen Frucht angehört als jenem, dessen Theile man als vorliegende fühlt. Ebenso wie in der Schwangerschaft wird auch intra partum die ungewöhnlich bedeutende Ausdehnung des Uterus, namentlich wenn das Ende der Schwangerschaft nicht erreicht ist, unter Umständen diagnostisch verwerthbar werden. In anderen Fällen dagegen kann die Stellung der Diagnose sehr leicht sein. Fühlt man zwei sich vorwölbende Fruchtblasen ? Auvard94), Haas95), Weber96), Resinelli97) ?, von denen vielleicht gar die eine einen Kopf und die andere ein Fusspaar enthält ? Leopold98) ?, findet man einen vorliegenden Fruchttheil und daneben eine Blase ? Gaulard99) ?, findet man in der Vagina mehrere gleiche Fruchttheile oder mehrere kleine solche, die einer Frucht nicht angehören können ? Schultze 10°) ?, wie z. B. zwei rechte Füsse oder drei untere Extremitäten, liegt ein pulsioser Nabelstrang bei gleichzeitig vernehmbaren Fötalpulsen vor, oder liegen bei letzterem solchem schlotternde, einer abgestorbenen Frucht zukommende Schädelknochen vor ? Späth101) ?, dann ist die Stellung der richtigen Diagnose wohl mit keinen Schwierigkeiten verbunden. In höchst seltenen Ausnahmsfällen kann aber auch unter solchen Verhältnissen ein Irrthum in der Diagnose unterlaufen. Büß102) theilt einen von ihm und einen von Gaulard beobachteten Fall mit, in denen bei eröffnetem Muttermund zwei Fruchtblasen zu fühlen waren, worauf auf dies hin Zwillinge diagnosticirt wurden. Es wurde aber nur eine Frucht geboren. Nach Ausstossung der Nachgeburtstheile fand sich eine schlaffe grössere Cyste zwischen Amnion und Chorion, die, weil sie neben der Fruchtblase vorlag, eine zweite Blase vortäuschte. Die Diagnose nach Geburt der ersten Frucht bietet keine Schwierigkeiten mehr, denn ein Griff auf den Unterleib genügt, um zu bestimmen, ob der Uterus noch eine zweite Frucht enthält oder nicht. Anders verhält es sich begreiflicher Weise, wenn die zweite Frucht vorzeitig abgestorben bis zur rechtzeitigen Geburt der ersten im Uterus verbleibt und erst nach Geburt dieser ausgestossen wird.


Hinweis:
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem Text auf dieser Seite um einen Auszug aus einem über hundert Jahre alten Fachbuch der Medizin handelt.
So entsprechen vor allem die genannten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen nicht dem aktuellen Stand der Medizin, die Anwendung kann nicht nur die Diagnose einer Erkrankung verzögern, sondern auch direkt den Körper schädigen.

Hinweis: Der Text auf dieser Seite entstammt einem über einhundert Jahre alten Fachbuch. Daher entsprechen die gemachten Angaben nicht dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Verwenden Sie niemals die angegebenen Rezepturen und Heilmethoden, da sie gesundheitsgefährdend seien können.