Zwillinge

Heilkundelexikon

Zwillinge


Zwillinge sind zwei im Uterus gleichzeitig zur Entwicklung gelangende Früchte. Eine solche Schwangerschaft nennen wir eine Zwillingsschwangerschaft im Gegensatze zur einfachen Schwangerschaft, bei der sich im Uterus nur eine Frucht befindet. (Von der Zwillingsschwangerschaft, bei der die eine Frucht intra-, die andere extrauterinal gelagert ist, sowie von extrauterinaler Zwillingsschwangerschaft wird weiter unten Erwähnung gemacht.)

Aetiologie. Die Zwillingsschwangerschaft kann in verschiedener Weise zustande kommen.

Es bersten zwei Follikel und beide ausgetretenen Ovula werden befruchtet. Die zwei Follikel entstammen einem Ovarium oder berstet in jedem der beiden Ovarien ein Follikel.


Der einzige Follikel, der geborsten, enthielt nur ein Ovum, letzteres besitzt aber einen doppelten Keim (Nagel1), Döderlein2), oder nur einen einfachen, der sich aber spaltet (Ahlfeld8). Ob Zwillingsschwangerschaft auf diese Weise entstehen kann, dass sich nur ein Follikel eröffnet, der aber zwei Ovula enthält, ist eine offene Frage. Von manchen, wie z. B. von Ahlfeld4) und Moericke6), wird sie bejaht, von anderen dagegen, wie z. B. von Olsöausen e), mit dem Hinweis geleugnet, dass zwei Ovula in einem Follikel wohl bei Föten und kleinen Kindern mehrfach, wie z. B. von Kölliker7), Nagel8), Klein9) beobachtet wurden, nie aber bei dem erwachsenen Weibe. Das Verhalten der Nachgeburtstheile ist verschieden, je nach der Ursprungs- und Insertionsstätte der beiden Eier.

Die Decidua vera ist dann doppelt, wenn ein Uterus duplex oder septus da ist und jede Uterushälfte eine Frucht birgt. Abgesehen von diesen sehr seltenen Ausnahmsfällen muss die Vera immer einfach angelegt sein.

Die Reflexa ist nur dann einfach, wenn die Früchte aus einem Ovum stammen, oder wenn sich die beiden Ovagaenge aneinander in die Mucosa einpflanzen. Betten sie sich dagegen etwas weiter von einander ein, so erhält jedes für sich seine Reflexa. Wahrscheinlich geschieht dies dann, wenn das eine Ei aus dem einen und das andere aus dem anderen Ovarium stammt.

Das Chorion ist dann einfach und gemeinschaftlich, wenn beide Früchte aus einem Ovulum stammen. Stammen sie aus zwei Eiern, so ist das Chorion immer doppelt. Das Amnion, das der Frucht entstammt, muss ursprünglich immer doppelt angelegt sein. Selten findet man nur ein Amnion. Die Entstehung dieser Anomalie kann man sehr verschieden deuten. Man kann eine Zerreissung und ein späteres Verschwinden der ursprünglich doppelten amniotischen Scheidewand annehmen. Es ist aber auch denkbar, dass, wenn beide Fruchtanlagen nahe an einander liegen (was dann der Fall sein muss, wenn die Zwillinge der Spaltung des Keimes eines Eies entspringen), und die volle Ausbildung der amniotischen Zwischenwand verhindert wird. Ein wahrscheinlicher Beweis für diese Annahme liegt darin, dass bei Doppelmissbildungen nur eine Amnionhöhle da ist. Ahlfeld meint, es könne zur Bildung nur einer Amnionhöhie kommen, wenn sich die fötalen Gefässe beider Früchte dicht neben einander in das Chorion inseriren und an den zwischen den Ge-fässen liegenden Amnionfalten Entzündung und Usur eintritt, wodurch sich consecutiv beide Amnionhöhlen zu einer vereinigen. Nach Bojer10) kann die einfache Amnionhöhie dadurch zustande kommen, dass wohl jede Frucht die ihre bildet, allein bevor sich jedes Amnion schliesst, kommen beide in gegenseitigen Contact, verschmelzen mit einander und bilden durch gemeinsames Weiterwachsen eine gemeinsame Amnionhöhle.

Die Placenten sind, da jede Frucht ihre eigene Allantois bildet, ursprünglich stets getrennt angelegt. Bei Früchten, die zwei Eiern entstammen, können sie weit von einander liegen oder sind sie einander so nahe gerückt, dass sie mit einander verwachsen. Die Placentarkreisläufe sind hier von einander getrennt, höchstens dass unbedeutende Anastomosen zwischen beiden bestehen. Entstammen dagegen beide Früchte nur einem Ei; d. h. haben sie nur ein Chorion, gleichgiitig ob das Amnion doppelt oder einfach ist, so findet sich nur eine grosse Placenta und die beiden fötalen Blutbahnen communiciren mit einander. Nach Schatz n) befindet sich an der Grenze der an einander stossenden Gefässbezirke eine Anzahl von Zottenbäumchen, die von dem einen placentaren Kreislaufe die arteriellen und von dem anderen die venösen Gefässchen erhalten, so dass ein dritter Placentarkreislauf da ist, der beiden Früchten angehört. Ausserdem besteht auch noch eine --page26/551> (zuweilen doppelte) oberflächliche arterielle und venöse Anastomose beider Placenten. Die tiefen von Hyrtl12) angenommenen Gefässanastomosen leugnet Schatz. Gottschalk13) beobachtete einen Fall, in dem sich die eine Hälfte der Placenta auf der Decidua basalis und die andere auf der capsularis entwickelt hatte. Da sich der ungünstigen Ernährungsverhältnisse wegen der Zwilling, der der Placentarhälfte entsprach, die der capsularis zukam, nur mangelhaft entwickeln konnte, so bestätigt diese Beobachtung, im Gegensatz zu Schatz, die Richtigkeit der Annahme Küstner's14), dass der Ort der ursprünglichen Insertion der beiden Allantoides für die Entwicklung der Zwillinge von Bedeutung ist.

Die Nabelstranginsertion ist oft beiderseits eine gleiche, d. h. beide Stränge inseriren sich central oder marginal. Viel häufiger als bei Einlingen inserirt sich der Strang velamentös und zwar auch bei beiden Placenten. Zuweilen, aber nur bei gemeinschaftlicher Amnionhöhle und Missbildung (Acardiacie) der einen Frucht, ist nur ein Nabelstrang da, der sich verschieden weit von der Placentarinsertionsstelle gabelig in zwei Stränge theilt, von denen jeder zur betreffenden Frucht streicht (Martin15).

Die Lagerung der beiden Eiblasen ist eine verschiedene. Meist liegen sie so, dass der untere Pol einer jeden Eiblase auch im unteren Abschnitt des Uterus liegt. In der Regel liegen die beiden Eiblasen nebeneinander, seltener hinter einander. Ausnahmsweise nur liegt, wie dies Budin16) zuerst beobachtete, eine Eiblase über der anderen, so dass die obere Frucht bei der Geburt durch die Eihäute der unteren hindurchgehen muss. Rosner17) beschreibt sogar Fälle, in denen die eine Eiblase die andere fast ganz umwachsen hatte, so dass die zweite Eiblase wie ein Kern in der Masse der ersteren lag, bis auf die Stelle, an der die Placenta aufsass.

Zweieiige Zwillinge, bei denen sich immer zwei Chorien finden, können des gleichen Geschlechts sein, müssen es aber nicht sein. Eineiige sogenannte homologe Zwillinge, bei denen das Chorion, eventuell auch das Amnion einfach ist, sind stets gleichen Geschlechtes. Homologe Zwillinge sind einander weit ähnlicher, als zweieiige. Frequenz. Nach G. Veit18) entfällt im Mittel eine Zwillingsgeburt auf 89 Geburten. In Gebäranstalten dagegen ist die Frequenz eine höhere, und zwar eine Zwillingsgeburt auf 74 einfache Geburten.

Nach Neefe19) sollen 31?35jährige, nach Hirigoyen20) 24?32jährige und nach Müller21) 22?23jährige Mütter am häufigsten Zwillinge gebären. Mehrgeschwängerte gebären häufiger Zwillinge, als Erstgeschwängerte. Nach Rumpe22) dagegen werden zweieiige Zwillinge vorwiegend von Müttern im mittleren Geschlechtsalter von 26?30 Jahren geboren, während eineiige in jedem Geschlechtsalter gleich oft, vielleicht aber vorwiegend im früh- und spätzeitigen Geschlechtsalter, vor 25 und nach 35 Jahren, geboren werden. Zweieiige Zwillinge entstammen nach ihm vorwiegend Mehrgebärenden, eineiige dagegen werden bei Erst- und Mehrgeschwängerten gleich häufig angetroffen. Die eineiige Zwillingsschwangerschaft ist er ebenso wie Boyer23) geneigt, für einen pathologischen Vorgang zu halten. Die hereditäre Anlage zur Zwillingsschwangerschaft kommt nach ihm und Ballantyne24) fast aus-schliesslich nur bei eineiigen Zwillingen vor. Zweieiige Zwillingsschwangerschaft ist nach ihm als ein hyperplastischer, aber sonst normaler Vorgang, nach Hellin20) und Patellani26) dagegen als atavistische Erscheinung aufzufassen. Die erbliche Disposition soll nach Rumpe, Hellin und Patellani nur auf einer gehäuften Bildung von Follikeln, nicht aber auf dem Vorkommen mehrerer Eier in einem Follikel beruhen. Die Zwillingsfertilität kann sich in den Generationen steigern, namentlich wenn Vater und Mutter aus solchen Familien stammen (Vögtli27), Wilson28), Speyer29), Crocket30), Krecker31).

Homologe Zwillinge sind seltener als zweieiige (14, 66: 85, 44%) (Strassmann32), Miller33).


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