Wirbelverletzungen: Luxationen

Heilkundelexikon

Wirbelverletzungen: Luxationen


Die Luxationen an der Wirbelsäule sind sehr selten, trotzdem aber recht mannigfaltig. Man unterscheidet doppelseitige und einseitige; die doppelseitigen erfolgen wiederum entweder so, dass der Gelenkverkehr beiderseits in derselben Richtung verlassen wird, indem der eine Wirbel über den anderen sich verschiebt, ? oder so, dass der eine Wirbel sich dem anderen gegenüber um die Verticalaxe dreht, so dass der eine Gelenkfort-satz sich nach hinten, der andere nach vorn bewegt und der luxirte Wirbel seinen Gespan gewissermassen kreuzt. Ferner sind die Luxationen entweder vollständig oder unvollständig. Am häufigsten treten die Luxationen an den Halswirbeln auf und hier überdies nimmt die Häufigkeit mit der Ziffer des Wirbels zu, so dass die unteren am häufigsten luxiren. Am Brustsegment treten reine Luxationen ausserordentlich selten, aber unzweifelhaft auf; ebenso an dem Lendensegment. Bei weitem häufiger sind an diesen Seg-menten Verrenkungsbrüche beobachtet worden. Im Besonderen wäre hervor-zuheben: Luxatio capitis; der Kopf verlässt die Articulatio atlanto-occipitalis; in zwei Fällen bis jetzt beobachtet.

Luxation des Atlas. Es sind nur Luxationen nach vorn beobachtet
Fig. 10 und 11.
Fig. 10 und 11.

worden, also Verschiebungen, zu denen die fast horizontale Stellung der Gelenksebene zwischen 1. und 2. Halswirbel disponirt. Allerdings muss ent-weder der ganze Apparat von Bandmassen, der den Zahnfortsatz hält, zer-sprengt werden, oder es muss der Zahnfortsatz an seiner Basis abbrechen. Dies geschieht am ehesten bei übernormaler Beugung des Kopfes nach vorn (Auffallen einer schweren, den Kopf nach vorn umknickenden Last); augen-blicklicher Tod ist die Folge.
Fig. 12 und 13.
Fig. 12 und 13.

3. Luxation der übrigen Halswirbel. Durch Verschiebung treten Luxa-tionen nach vorn und nach hinten auf; durch Drehung entweder bilaterale oder unilaterale. Die unilateralen sind vollständig oder unvollständig. Fig. 10 stellt das normale Verhalten zweier Wirbel in der Seitenansicht dar; Fig. 11 zeigt den oberen Wirbel nach vorn, Fig. 12 den oberen Winkel nach hinten verrenkt; Fig. 13 eine bilaterale Drehungsluxation, der verrenkte (obere) Wirbel weicht links nach hinten, rechts nach vorn aus; Fig. 14 versinnlicht eine einseitige vollständige, Fig. 15 eine einseitige unvollständige Luxation.

Einzelne dieser Luxationen sind sehr selten, so dass eine genauere Symptomatologie mangelt. Es wird aber bei den vollständigen Luxationen durch Verschiebung die Betastung der Wirbelsäule genauen Aufschluss geben. Es muss ja das Halssegment an einem bestimmten Punkte geknickt er-scheinen; es muss, namentlich wenn man die Folge der Querfortsätze unter-sucht, an einer Stelle ein stufenförmiger Vorsprung gefühlt werden und selbst vom Rachen an wird man die Stufe an der Körperreihe wahrnehmen können. Nur darf man sich durch eine seitliche Neigung des Kopfes, die beobachtet wurde, nicht beirren lassen.

Bei den Drehungsluxationen wird vor allem der verrenkte Wirbel mit einem Stachelfortsatz aus der Mittellinie abgewichen sein, mit ihm die nächst oberen in einem geringeren Grade. Der Querfortsatz desselben wird an der verrenkten Seite auch nach vorn abgewichen sein. Das gilt sowohl für die bilaterale wie für die unilaterale Luxation. Die erstere wird man nur dann diagnosticiren können, wenn sich an dem Querfortsatze der anderen Seite eine entgegengesetzte Abweichung nach hinten nachweisen lässt. Der Kopf wird nach jener Seite geneigt sein, auf welcher der Querfortsatz nach vorn gegangen war; denn nachdem der Querfortsatz den höchsten Punkt seines unteren Gespans erreicht hatte, überschreitet er ihn und sinkt in die vor
Fig. 14 und 15.
Fig. 14 und 15.

dem letzteren befindliche Incisur. Aus demselben Grunde wird auch diese Seite der Halswirbelsäule concav sein. Dabei sind die Muskeln dieser ver-kürzten Seite schlaff, ein Symptom, welches gegenüber der oft plötzlich auf-tretenden rheumatischen Contractur von Wichtigkeit ist, da bei dieser die Muskeln an der verkürzten Seite gespannt sein müssen. Ist die unilaterale Luxation nicht complet, d. h. bleibt der sich ver-renkende Wirbel mit seinem Querfortsatze auf dem höchsten Punkte seines unteren Gespans gespiesst stecken, so wird die Wirbelsäule dieser Seite convex sein und der Kopf sich nach der anderen Seite neigen; der rheu-matischen Affection gegenüber werden nun die Muskeln der concaven (passiv verkürzten) gesunden Seite schlaff sein.
Dass bei jeder Drehungsluxation der Kopf auch gedreht sein muss, ist selbstverständlich.
Dass man die Reposition bei jeder frischen Luxation vornehmen soll, darin dürften die Chirurgen heute übereinstimmen. Bei den Luxationen durch Verschiebung wird man extendiren und dann zurückschieben. Bei den Drehungs-luxationen wird man die der Verrenkungsrichtung entgegengesetzte Drehung vornehmen; zudem muss aber bei der completen Luxation der verrenkte Quer-fortsatz aus seiner Einsinkung in die Incisur befreit werden und das geschieht durch eine der Verrenkungsstellung des Kopfes entgegengesetzte Neigung; diese muss also vorausgeschickt werden.


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