Zeugungsfähigkeit (forensisch): Bei der Frau

Heilkundelexikon

Zeugungsfähigkeit (forensisch): Bei der Frau


B. Zeugungsfähigkeit beim Weibe.
1. Potentia coeundi. Die Beischlafsfähigkeit des Weibes erfordert Zugänglichkeit der Scheide für das erigirte Glied. Sie kann demnach beeinträchtigt oder aufgehoben sein durch angeborenes Fehlen der Scheide oder durch angeborene oder erworbene hochgradige Verengerung der Scheide oder durch Atresien des Scheideneinganges, aber auch durch anderweitige Abnormitäten des letzteren.

Am häufigsten handelt es sich um Atresien, respective Verengerungen des Scheideneinganges, die wieder angeboren oder durch Traumen, ulceröse oder anderweitige Processe (Brandwunden, Verätzungen) erworben vorkommen können. Die häufigste Form der angeborenen Atresie, respective Verengerung des Scheideneinganges ist die Atresia hymenalis, die zugleich, weil operativer Beseitigung zugänglich, nur ein temporäres Begattungshinderniss darstellt. Angeborene Verengerungen des Scheideneinganges als solche kommen in verschiedenen Graden mit und ohne Verengerung, respective Verschliessung der Scheide selbst vor, und es wird eben von dem Grade der ^lissbildung abhängen, inwiefern dieselbe ein wesentliches Begattungshinderniss darstellt und, was forensisch besonders wichtig ist, ob dasselbe durch Operation behoben werden kann oder nicht.

Grosse Labialhernien, Elephantiasis der Labien können Unzugänglichkeit der Scheide bedingen; auch starke Neigung des Beckens nach hinte% wie sie nach gewissen Verkrümmungen der
Wirbelsäule vorkommt, kann die Zugänglichkeit wenigstens von vorn erschweren, ja unmöglich machen. Geringere Grade von Prolaps der Vagina sind dem Beischlafe nicht hinderlich, bei grösserem Scheidenvorfall oder bei Vorfall des Utejrus kann der Beischlaf nur nach Reposition des Prolapses, die fast immer möglich ist, erfolgen. In diesen Fällen käme wohl mehr das oben berührte Moment des Ekels als eigentliche Beischlafsunfähigkeit in Betracht.

Während des Bestehens von sogenanntem Vaginismus ist der Coitus so schmerzhaft, dass die Ausführung desselben ganz unmöglich werden kann. Die Ursachen des Leidens liegen gewöhnlich in leicht zu beseitigenden localen Zuständen: entzündlicher Reizung des Scheideneinganges, in schmerzhaften Fissuren daselbst oder am After; die Cohabitationsunfähigkeit ist daher nur eine temporäre. In anderen Fällen scheinen psychische (hysterische) -Ursachen zugrunde zu liegen und die Beurtheilung wird eine com-plicirtere. Auch als Theilerscheinung von chronischen Bleiintoxicationen will Neftel Vaginismus beobachtet haben.

Eine gewisse Analogie mit dem Vaginismus haben die seltenen Fälle von Krampf der Mittelfleischmusculatur während des Coitus, wodurch der Penis fest umschlossen und festgehalten wird. Solche Fälle von »Penis captivus« werden von Hildebrand und Henrichsen (Arch. f. Gyn., III, 221 und XXIII, 59) mitgetheilt. Andererseits berichtet Munde (Virchow's Jahresber., 1883, II, pag. 553) über eine Frau, die jedesmal beim Coitus in einen komatösen Schlaf verfiel. Es fand sich eine Narbe am Orificium uteri, deren Berührung sofort diesen Zustand herbeiführte. Excision dieser Narbe erzielte Heilung.

Bei inneren Erkrankungen der Genitalien, insbesondere den chronischentzündlichen, kann die Empfindlichkeit derselben habituell oder vorübergehend eine so gesteigerte sein, dass die Cohabitation unmöglich oder wesentlich erschwert wird.

Fehlen oder Darniederliegen der sexuellen Erregbarkeit scheint bei Frauen häufiger vorzukommen als beim Manne, nach Düncan (Lectures on sterility of woman. ßrit. med. Journ., 1883, pag. 343) besonders häufig bei sterilen Frauen. Unter 161 solchen fand Duncan 39 ohne Begierde und 62 ohne Geschlechtsgenuss. Interessante Angaben über das Verhalten der sexuellen Erregbarkeit der B^rauen bringt v. Krafft-Ebing (Ueber pollutionsähnliche Vorgänge beim Weibe. Wiener med. Presse, 1889, Nr. 14) und Hanc (Wiener med. Blätter, 1888, pag. 649).

2. Potentia concipiendi. Der Eintritt der Geschlechtsreife wird durch den Eintritt der ersten Menstruation signalisirt, was in unseren Breiten in der Regel zwischen dem 14. und 16 Jahre geschieht. Auftreten der Menstruation zwischen dem 12. bis 14. Jahre ist häufig, seltener rfoch frühzeitigeres. Francis Hogg (Med. Times, 1871, Nr. 4) constatirte unter 1948 Fällen den Eintritt der Menses lmal mit 9, 6mal mit 10, und 59mal mit 11 Jahren, und es existiren verhältnissmässig zahlreiche Beobachtungen, wo dieses noch früher geschah (Horvitz, Petersburger med. Ztg., 7. Jahrg., XIII). Auch Schwangerschaften in so frühen Perioden sind vorgekommen. So sah Kussmaul ein 8 jähriges, Rüttel ein 9jähriges Mädchen schwanger werden und Fälle von Schwangerschaft 10?12jähriger Mädchen sind mehrere bekannt. Andererseits kann die Geschlechtsreife auch früher als die Menstruation vorhanden sein. Auch kann letztere aus pathologischen Gründen (Chlorose) ausbleiben, ohne dass dadurch die Cönceptionsfähigkeit aufgehoben wäre.

Das Aufhören der Cönceptionsfähigkeit des Weibes fällt in der Regel zwischen das 40. und 50. Lebensjahr, zu welcher Zeit auch die Menstruation definitiv sistirt (Klimakterium). Ausnahmsweise dauert die Menstruation noch nach dem 50. Jahre fort. F. Hogg fand unter 57 Frauen 2, welche noch bis zum 53. Jahre menstruirten und Evers (Schmidt's Jahrb., 1873, Bd. CLX, pag. 150) unter 123 Frauen fortdauernde Menses bei je 4 bis zum 51. und 52., bei 5 bis zum 53., bei 6 bis zum 54. und bei einer bis zum 55. Lebensjahre. Doch können pathologische Blutungen die Fortdauer dfer Menstruation vortäuschen.

Dass Frauen nach dem 45. Jahre noch concipiren, ist selten, und es kommt überhaupt nicht häufig vor, dass Frauen noch nach dem 40. Jahre entbinden. Barker (Virchow's Jahrb., 1874, Bd. II, pag. 728) beobachtete drei Fälle von Geburten bei Frauen, die bereits über 50 Jahre alt waren, darunter befand sich eine Frau von 51 Jahren, welche nach 2 7jähriger Ehe zum ersten und ein Jahr darauf zum zweitenmale niedergekommen war. Es kann sogar nach eingetretener Menopause noch eine Conception erfolgen. Barker hat zu den einschlägigen Beobachtungen zwei neue eigene hinzugefügt, betreffend eine Mutter von 5 Kindern, die mit 42 Jahren aufhörte zu menstruiren, aber mit 46 Jahren wieder schwanger wurde, und eine andere Frau, die, nachdem die Menstruation bereits durch drei Jahre ausgeblieben war, im 47. Jahre concipirte.

Pathologisch kann die Conceptionsfähigkeit aufgehoben oder erschwert sein durch angeborene sowohl als durch erworbene Processe.

Angeborener Defect der Ovarien kommt nur mit anderweitigen Missbildungen der Genitalien vor, ebenso die angeborene Verkümmerung der Eierstöcke. Erworbener Mangel beider Ovarien ist heutzutage, wo die Ovario-tomie so häufig geübt wird, nicht sehr selten und würde selbstverständlich absolute Conceptionsunfähigkeit bedingen. Conceptionen bei einseitigen Ova-rialtumoren kommen häufig vor und auch bei beiderseitigen wurden sie wiederholt beobachtet.

Die Unwegsamkeit der Tuben durch Obliteration nach Salpingitis oder durch peritonitische Adhäsionen ist eine sehr gewöhnliche Ursache der Unfruchtbarkeit, aber begreiflicherweise während des Lebens nicht zu diagnosticiren.

Angeborener Defect und, was gleichbedeutend ist, angeborene Verkümmerung des Uterus ist wiederholt beobachtet worden. Besitzt dabei die blind endigende Vagina eine genügende Länge und Weite, so kann absolute Conceptionsunfähigkeit bestehen bei ganz unbehinderter Begattungsfähigkeit.

Eine grosse Reihe von Gebärmuttererkrankungen wird von den Gynäkologen mit Sterilität (s. diesen Artikel) in ursächlichen Zusammenhang gebracht, so die chronischen Catarrhe des Endometriums, die Hypertrophien und Stenosen der Cervix, Verengerungen und anderweitige krankhafte Verhältnisse des äusseren Orificiums und die Lageyeränderungen des Uterus, sowie die Neubildungen desselben. Als absolutes Conceptionshinderniss kann jedoch keiner dieser Zustände angesehen werden.

Durch Stenosen der Vagina oder anderweitig behinderte Wegsamkeit derselben, z. B. durch Pessarien oder Tumoren, kann die Conception wesentlich beeinträchtigt werden; trotzdem wird man wohl nur ganz ausnahmsweise berechtigt sein, dieselbe als ganz unmöglich zu erklären, umso weniger, als die Literatur eine sehr grosse Zahl von Fällen enthält, in welchen trotz der hochgradigsten Stenosen oder anderweitiger Conceptions- und selbst Begattungshemmnisse dennoch Conception erfolgt.

Ausser der Impotentia coeundi und concipiendi könnte man noch von einer Unfähigkeit zum Austragen der Frucht (Impotentia gestandi) und von einer Unfähigkeit zum Gebären (Impotentia parturiendi) sprechen, da that-sächlich Fälle vorkommen, in welchen bei intacten obengenannten Fähigkeiten eine der letzteren fehlt. Es unterliegt keinem Zweifel, dass, wenn man eine dieser Formen der geschlechtlichen Unfähigkeit mit genügender Bestimmtheit nachzuweisen imstande wäre, dieselbe als ein »dem Zwecke der Ehe hinderliches Gebrechen« bezeichnet werden müsste. Erlahrungsgemäss kommen jedoch diese Formen der Impotenz in civilrechtlichen Fällen gar nicht oder nur ganz ausnahmsweise in Betracht. Dass dies aber in strafrechtlichen Fällen möglich ist, beweist ein von Casper-Liman (Handb., 1881, Bd. I, pag. 351) begutachteter Fall, in welchem einem Mädchen von drei Knechten die äusseren
Genitalien theils mit den Fingern, theils durch Einstopfen von Steinen in der Weise zerrissen wurden, dass erst nach wiederholten plastischen Operationen die Verbindung zwischen Mastdarm und Scheide behoben und eine Verheilung durch ausgebreitete Vernarbungen erzielt werden konnte. Nach erfolgter Heilung erklärte Casper, dass zwar die Conceptionsfähigkeit intact geblieben und auch die Beischlafsfähigkeit einigermassen wieder hergestellt sei, dass aber die Betreffende trotzdem als der »Zeugungsfähigkeit beraubt« erachtet werden müsse, weil durch die Verletzung und ihre Folgen die Möglichkeit, dass die Person naturgemäss entbinden könne, aufgehoben und zu erwarten sei, dass durch eine Entbindung Scheide, Mastdarm und Damm wieder zerreissen und die Entbundene für ihr ganzes Leben unheilbar und elend verstümmelt bleiben werde.

Wird bei der Untersuchung eines civil- oder strafrechtlichen Falles erkannt, dass thatsächlich eine der genannten Formen der Impotenz besteht, dann muss, insbesondere wenn es sich um Ehetrennungen wegen angeblicher Impotenz handelt (§ 60 Oesterr. bürgerl. Gesetzbuch und § 696 preuss. Landrecht), die weitere Frage beantwortet werden, ob das Unvermögen ein immerwährendes und unheilbares sei oder nicht. Beim Weibe ist die Beantwortung dieser Frage, namentlich wenn es sich, wie gewöhnlich, nur um die Begattungsfähigkeit handelt, in der Regel leicht, ebenso beim Manne, wenn locale, leicht erkennbare Defecte oder Erkrankungen vorliegen; schwierig aber, wenn es sich, wie häufig, um angebliche Erectionsunfähigkeit handelt, deren Ursache nicht in localen Verhältnissen der Geschlechtstheile, sondern nur in Innervationsstörungen gelegen sein kann. Schon die Diagnose, d. h. der Nachweis, dass solche Störungen thatsächlich bestehen, bietet häufig die grössten Schwierigkeiten und absichtlich unwahre Angaben von den betheiligten Seiten sind sehr gewöhnlich. In jenen Fällen, in welchen die angebliche Erectionsunfähigkeit sonst ganz gesunde Männer betrifft, handelt es sich, vorausgesetzt, dass nicht falsche Angaben vorliegen, in der Regel blos um eine psychische Hemmung des Reflexvorganges der Erection, und da diese durch gegenseitige Angewöhnung und fortgesetztes Zusammenleben behoben werden kann, so wird man gut thun, auf diese Möglichkeit im Gutachten hinzuweisen. Auf dieselbe hat der § 101 des Oesterr. bürgerl. Gesetzbuches ausdrücklich Rücksicht genommen, indem er bestimmt, dass, »wenn es sich nicht mit Zuverlässigkeit bestimmen lässt, ob das Unvermögen ein immerwährendes oder blos zeitliches sei, die Ehegatten verbunden sind, noch durch ein Jahr zusammen zu wohnen, und dass die Ehe erst dann für ungiltig zu erklären ist, wenn das Unvermögen diese ganze Zeit hindurch angehalten hat«.

Nach § 60 desselben Gesetzes ist auch ein immerwährendes Unvermögen v die eheliche Pflicht zu leisten, nur dann ein Ehehinderniss, wenn es schon zur Zeit des geschlossenen Ehevertrages vorhanden war. Die Beantwortung dieser Frage ist bei angeborenen Missbildungen und groben erworbenen Defecten leicht, in anderen Fällen erfordert sie sehr genaue Erwägung der concreten Verhältnisse und, wenn die Impotenz des Gatten in Frage steht, auch eine Untersuchung der Genitalien der Gattin in der Richtung, ob sich an denselben Spuren eines »Matrimonium consummatum« ergeben oder nicht, wobei jedoch hervorzuheben ist, dass gelegentlich selbst nach Geburten der Hymen nahezu verschlossen und resistent gefunden wurde.


Hinweis:
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem Text auf dieser Seite um einen Auszug aus einem über hundert Jahre alten Fachbuch der Medizin handelt.
So entsprechen vor allem die genannten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen nicht dem aktuellen Stand der Medizin, die Anwendung kann nicht nur die Diagnose einer Erkrankung verzögern, sondern auch direkt den Körper schädigen.

Hinweis: Der Text auf dieser Seite entstammt einem über einhundert Jahre alten Fachbuch. Daher entsprechen die gemachten Angaben nicht dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Verwenden Sie niemals die angegebenen Rezepturen und Heilmethoden, da sie gesundheitsgefährdend seien können.