Weilsche Krankheit: Ätiologie und Pathogenese

Heilkundelexikon

Weilsche Krankheit: Ätiologie und Pathogenese

Weilsche Krankheit - Klinik - Ätiologie und Pathogenese - Literatur

Wir gelangen nunmehr zu der schwer zu beantwortenden Frage, in welcher Weise die Gesammtsumme dieser Krankheitserscheinungen zu deuten ist, und wie weit man zu der Annahme berechtigt ist, dass die bisher beschriebenen Fälle in ätiologischer Beziehung eine einheitliche Erkrankung repräsentiren. Es liegt auf der Hand, dass die Lösung dieser Frage einer seits von einer sorgfältigen Eruirung der Entstehungsbedingungen durch die Anamnese, insbesondere von der Kenntnissnahme derjenigen Schädlichkeiten abhängt, welche erwiesenermassen vor Beginn der Erkrankung auf die Patienten eingewirkt haben. Andererseits müssen wir uns auch auf ein genügendes anatomisches Beobachtungsmaterial stützen können, dessen Durch forschung mit Hilfe der neueren bacteriologischen Untersuchungsmethoden bei dem jetzigen Stande der Wissenschaft in ätiologischen Fragen häufig allein den endgiltigen Ausschlag giebt. Die Anamnese und die aus ihr sich ergebenden weiteren Schlussfolgerungen liefern uns für eine Anzahl der beobachteten Fälle werthvolle Fingerzeige zur Erklärung der Pathogenese. Wir haben bereits hervorgehoben, dass die Mehrzabl der Erkran kungen auf die heisse Jahreszeit entfällt, desgleichen, dass zuweilen epidemische Anhäufung derselben (Pfuhl, Haas) beobachtet worden ist. Ein Theil der Erkrankten waren Fleischer, so von den 29 männlichen Patienten Fiedler's nicht weniger als 15. Hier ist in der That an die Einwirkung einer ganz bestimmten, vielleicht allen gemeinsamen und gleichen Schädlichkeit (in der Nahrung?) zu denken, obgleich die Patienten zu den verschiedensten Zeiten erkrankten. Bei weitem klarer ist der ätiologische Zu sammenhang bei den 9 Patienten Pfühl's, weiche insgesammt Soldaten waren, innerhalb eines Zeitraumes von wenigen Wochen erkrankten, und zwar erwiesenermassen infolge davon, dass der betreffende Truppentheil, zu welchem sie gehörten, eine in der Elbe belegene Badeanstalt benutzte, oberhalb deren die Effluvien der Städte Hamburg und Altona sich in den Fluss ergiessen. Dieselbe EntstehungsUrsache kommt bei der Mehrzahl der Patienten Jaeger's (s. unten) in Betracht. Bei dem Patienten Stirl's, einem 35jährigen Canalarbeiter, gelangte die Krankheit ganz plötzlich zum Ausbruch, nachdem derselbe unmittelbar vorher, von aufsteigenden Cloakengasen betäubt, in die Jauche gestürzt und dabei eine grosse Quantität der selben verschluckt hatte. Mit ihm erkrankte unter den gleichen Symptomen und infolge des gleichen Unfalls ein zweiter Arbeiter, bei dem die Krankheit tödlich verlief. In diesen und ähnlichen Fällen (c. f. oben, Landouzy) war demnach die Entwicklung des Symptomencomplexes an die Aufnahme in Zersetzung begriffener organischer, respective fauliger Substanzen oder der in ihnen reichlich enthaltenen organisirten Keime in den Darm geknüpft. Eigenthümlich war endlich die Art des Erkrankens bei einem von mir27) beobachteten Studenten. Derselbe hatte infolge einer Säbelmensur eine kleine Hautwunde davongetragen, in deren Umgebung eine ganz circumscripte, etwa zwei Markstück grosse erysipelatöse Röthung entstand. Nachdem dieselbe verschwunden war, entwickelte sich ohne Unterbrechung des zuvor aufgetretenen Fiebers in durchaus typischer Weise der von Weil geschilderte Symptomencomplex mit nachfolgendem Relaps. Was die Zahl der bisher bekannt gewordenen Sectionen betrifft, so ist dieselbe allerdings nicht gering, darunter 2 von Aufrecht28), 2 von Nauwerck29), 1 von Brodowski und Dünin30), 1 von Fiedler und Neelsen, 3 von Sümbera31), 3 von Münzer, 1 von Freund, 2 von Jaeger, 1 von Richter32); aber bezüglich einiger der betreffenden Fälle ist es zweifelhaft, ob sie überhaupt hierher gezählt werden dürfen. Gemeinsam scheint allen eine trübe Schwellung von Leber und Niere zu sein, welche zum Theil mit fettiger Entartung und nekrobiotischem Untergang der Zellen, sowie mit kleinzelliger, herdförmiger Infiltration des Bindegewebsgerüstes der Drüsen verknüpft war. Das sind jedoch Veränderungen, welche zu wenig charakteristisch sind, um weitergehende Schlussfolgerungen zu gestatten, und welche überdies auch bei anderen Infectionskrankheiten, wie Scarlatina, Diphtheritis, Typhus u. s. w., angetroffen werden. ?Die von Nauwerck, sowie von Brodowski und Dunin gemachten Bakterienbefunde entbehren der für derartige Untersuchungen nothwendigen Exactheit und Vollständigkeit.

Neelsen33) züchtete aus Blutproben, welche einem Kranken vier Tage vor dem Tode entnommen waren, sowie aus den Organen der betreffenden Leiche kleine bewegliche Stäbchen. Sie waren nur bei Brutofentemperatur auf Serum, Agar und in Bouillon cultivirbar und wuchsen auf diesen Nähr böden zu längeren verschlungenen Scheinfäden aus. Da sie bei der Ueberimpfung auf Thiere keine pathogene Wirkungen ausübten und in den Organen des betreffenden Falles mikroskopisch auch nur in sehr geringer Zahl nachweisbar waren, so wagte Neelsen selbst nicht, sie mit Bestimmt heit als die Krankheitserreger anzusprechen. Von grösserer Bedeutung scheinen die Befunde Jaeger's, welcher in zwei tödlich verlaufenen Fällen, theils in den Gefässen, theils im Gewebe von Milz, Leber und Nieren die Anwesenheit von Stäbchen constatirte, die nach dem Ergebniss der Cultur
sich als eine Proteusart erwiesen. Auch aus dem Harn von vier anderen Kranken konnten sie isolirt werden. Wegen der grünlichen Pluorescenz, welche die Nährböden, auf denen die Bacillen gezüchtet wurden, annahmen, bezeichnet Jaeger diese Proteusart als Bacillus Proteus fluorescens. Bemerkenswerther Weise fanden sich dieselben Mikroorganismen in dem Donauwasser, in dem von den neun Patienten Jaeger's ?sämmtlich Soldaten ?acht gebadet hatten. In der Nähe der Militärschwimmanstalt ergiesst sich ein Hauptcanal der die Stadt Ulm durchfliessenden Blau. Es stellte sich nun heraus, dass in dem oberhalb von Ulm an der Blau belogenen Dorfe Söflingen seit mehreren Jahren eine Geflügelseuche herrschte, welche vorwiegend im Frühjahre, wenn das Geflügel die Bäche wieder auf suchte, begann, den Sommer über andauerte und im Winter erlosch. Untersuchungen des erkrankten Geflügels ergaben bei demselben das Bestehen von Icterus und Enteritis, und aus den Organen konnte dieselbe Proteusart wie aus dem Wasser der Donau und der Blau gezüchtet werden, welche, wie bemerkt, wiederum mit den bei den Kranken isolirten Bacillen identisch war. Obwohl nach Jaeger nicht eine einzelne specifisch pathogene Proteusart anzunehmen ist, so glaubt er doch, dass der Erreger der WEiL'schen Krankheit in den Bakterien der pleomorphen Proteusgruppe zu suchen sei, die unter besonders günstigen, theils in der Passage durch den Thierkörper, theils in der Aussenwelt gelegenen Bedingungen, aus ihrer sonst saprophytischen Rolle heraustreten und vorübergehend zu pathogenen Parasiten werden können. Auch den von Banti u) in einem Falle von infectiösem Icterus aus der Milz gezüchteten Bacillus spricht Jaeger vermuthungsweise als eine Proteusart an.

Auf Grund der Gesammtheit dieser Thatsachen, sowie. der klinischen Verlaufsweise der bisher mitgetheilten Fälle ist zu schliessen, dass die von letzteren dargebotenen Erscheinungen ihre Entstehung einer Infection oder Intoxication des Organismus verdanken, für welche in Zersetzung gerathende organische Substanzen das Substrat liefern. Wenn gleich nicht bewiesen ist, dass die Eingangspforte für das schädliche Agens immer die nämliche ist, so erfolgt doch in der Mehrzahl der Fälle die Auf nahme durch den Darm. Ueber die specielle Natur dieses Agens kann man sich trotz der das allgemeine Interesse beanspruchenden Unter suchungen Jaeger's vor der Hand nur mit Vorbehalt äussern. Es muss noch durch weitere Nachforschung entschieden werden, ob es sich um die erst im Körper zur Entfaltung gelangende Wirkung organisirter Krankheitskeime (pathogener Organismen) oder um die Folgen der directen Aufnahme chemischer Giftsubstanzen (Fäulnissproducte, Ptomaine) handelt. Die von Cramer 3b) gemachte Beobachtung, dass auch gelegentlich eine Santoninvergiftung ähnliche Erscheinungen zu produciren vermag, legt die zweite Möglichkeit besonders nahe, ohne dass natürlich damit die erste ausgeschlossen wäre. Wir können ferner mit ziemlicher Bestimmtheit aussagen, dass der Symptomencomplex nicht, wie einige Autoren anzunehmen geneigt sind, als eine abortive Form des Ileotyphus zu deuten ist; ebenso wenig hat derselbe mit der biliösen Form der Febris recurrens, an welche in Anbetracht des öfter zu beobachtenden Relapses gedacht werden könnte, etwas gemein. In den letzten anderthalb Decennien ist von verschiedenen Seiten (Chauffard24), Kelsch86), Heitler37) und unabhängig von der Publication Weil's die Ansicht ausgesprochen worden, dass ein grosser Theil derjenigen Fälle, welche man früher als einfachen Icterus catarrhalis aufzufassen gewohnt war, eine Allgemeinerkrankung darstelle, in deren Bilde die Gelbsucht nur die Rolle einer Theilerscheinung spiele. Man stützt sich zum Beweise hierfür unter anderem auf die Thatsache des Vorkommens von Icteriisepidemien38), welche namentlich bei Soldaten, in Kasernen, ferner in Gefängnissen, unter Umständen aber auch anderweitig als ausgesprochene Hausepidemien beobachtet werden. In einzelnen dieser Epidemien Hessen sich bestimmte Schädlichkeiten, wie schlechte Beschaffenheit des Trinkwassers, Imprägnation des Bodens mit Abfallstoffen, Lage der Wohnhäuser in der Nähe von Abzugscanälen u. dergl. mehr nachweisen. Was die Entstehungsweise des Icterus bei diesen Formen der Allgemeinerkrankung betrifft, so kann man sich dieselbe auf Grund gewisser experimentell-pathologischer Ergebnisse so vorstellen, dass im Blute, beziehungsweise der Lymphe circulirende Giftsubstanzen, mögen dieselben als solche von aussen in den Körper aufgenommen oder in ihm erst durch Bakterien gebildet worden sein, einen unmittelbaren Reiz auf die Drüsenzellen der Leber ausüben. Dieselben schwellen an und comprimiren die Gallencapillaren, infolge dessen der Secretabfluss nach dem Darm zu gehemmt wird. Unterstützt wird diese mechanische Wirkung durch die (bei den Sectionen nachgewiesene) kleinzellige Infiltration des Bindegewebsgerüstes in der Umgebung der Acini. Höchstwahrscheinlich erfährt aber auch die Beschaffenheit des Secretes selbst infolge des auf die Zellen ausgeübten pathologischen Reizes Aenderungen, welche die Gallenstauung begünstigen; dasselbe wird reicher an Farbstoff und ärmer an Wasser, so dass seine Consistenz einen ungewöhnlichen Grad von Zähigkeit erreicht (Stadelmann39). Die gleiche Entstehungs weise des Icterus dürfte bei derjenigen Form der Erkrankung, welche man als WEiL'sche Krankheit bezeichnet, anzunehmen sein. Dass man dieselbe mit Rücksicht auf die Symptome und den Verlauf aus anderen Fällen der infectiösen Gelbsucht herausgehoben hat, ist zu billigen. Obwohl, wie schon erwähnt, an manchen Orten und zu manchen Zeiten die Zahl der Erkrankungen eine solche Häufung darbietet, dass man von kleinen Epidemien reden darf, sind doch die Unterschiede von den sonstigen Erscheinungsweisen des epidemischen Icterus in die Augen springend (Meinert *°). Die Gelb sucht tritt bei letzterem meist erst nach vollendetem Fieberabfall, bei ersterer erheblich früher oder mindestens im Beginn der Defervescenz auf. Während ferner dort das kräftige Mannesalter das Hauptcontingent der Erkrankten liefert und das Auftreten in der heissen Jahreszeit fast die Regel ist, werden hier vorwiegend Kinder befallen und sind Herbst und Winter die bevorzugte Jahreszeit. Albuminurie und Muskelschmerzen kommen endlich bei dem gewöhnlichen Icterus epidemicus seltener als bei der WEiL'schen Krankheit vor. Aus der eigenartigen Ausprägung gewisser klinischer Zeichen bei dem WEiL'schen Symptomencomplex darf jedoch noch keineswegs geschlossen werden, dass den betreffenden Fällen allemal die selbe Aetiologie zugrunde liegt. Ich erinnere in der Beziehung noch mals an den von mir beobachteten, oben citirten Fall, bei welchem sich die der WEiL'schen Erkrankung als charakteristisch zugeschriebenen Erscheinungen im Anschluss an eine Wunde entwickelt hatten. Man hat zwar denselben aus letzterem Grunde als gar nicht hierhergehörig bezeichnet. Aber wenn auch unzweifelhaft bei der Weil'schen Krankheit in der Mehrzahl der Fälle die Infection oder Intoxication vom Darm aus stattfindet, so weist meine Beobachtung indirect darauf hin, dass damit nicht zugleich bewiesen ist, dass das die Krankheit auf diesem Wege erzeugende Agens in sämmtlichen Fällen das gleiche sein muss. Andererseits hat gerade Jaeger41), nach welchem das Virus der Erkrankung in den Bakterien der Proteusgruppe zu suchen ist, mit Nachdruck die Ansicht verfochten, dass dieselben Mikroorganismen auch in dem Falle BantTs, von dem es mindestens zweifelhaft ist, ob er zur WEiL'schen Gruppe gehört, als Erreger fungirten.

Unter solchen Umständen erscheint mir denn auch das Bestreben ver früht, die bisher bekannt gewordenen Fälle als leichte Formen des Typhus biliosus sive icterodes hinzustellen. Die Affection, welche seit Grirsinger diesen Namen trägt, ist eine gegenwärtig noch in Smyrna und Alexandrien endemisch vorkommende Infectionskrankheit, welche nach den Mittheilungen von Diamantopulos42) und Kartulis43) allerdings nicht, wie Griesinger glaubte, eine Abart der Febris recurrens44) ist, deren Aetiologie bisher aber ebensowenig sicher festgestellt ist als die des WEiL'schen Symptomencomplexes.

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