Xerophtalmus

Heilkundelexikon

Xerophtalmus

Xerophtalmus - Literatur

Xerophthalmus, Xerosis conjunctivae et corneae, Dürrsucht, ist der Zustand der Bindehaut, beziehungsweise Hornhaut, bei welchem ihre Oberfläche eine trockene Beschaffenheit angenommen hat.

Er umfasst jedoch zwei vollkommen verschiedene Processe, welche einer getrennten Besprechung bedürfen, die parenchymatöse und die superficielle Xerose.

Die parenchymatöse Xerose ist kein selbständiges Leiden, sondern der Ausgang solcher entzündlicher Vorgänge in der Bindehaut, welche zu Narbenbildung und Schrumpfung führten, vor allem des Trachoms und der Diphthe-ritis, oder die Folge von Zerstörungen durch ätzende Substanzen (besonders Kalk und Mineralsäuren) oder durch Verbrennung, also durch Processe, welche ebenfalls narbige Degeneration der zerstörten Membran verursachten.

Der Conjunctivalsack ist in allen solchen Fällen bedeutend verkürzt, beim Abziehen des Lides vom Bulbus spannen sich mehr oder minder straffe Querbrücken, der Uebergangstheii existirt nicht mehr (Symblepharon posterius) und in hochgradigen Fällen geht vom Lidrande direct eine Narbenmembran zum Bulbus hinüber und überzieht in Form einer vascularisirten verschiebbaren Haut die ganze Cornea. Die Conjunctiva bulbi, so weit sie vorhanden ist, lässt sich in zahlreiche, feine, meist dem Hornhautrande parallel verlaufende Fältchen verschieben. Die gesammte Oberfläche der Bindehaut ist glanzlos, matt, mit weisslichen, stellenweise angehäuften Epithel-schüppchen bedeckt, trocken und nicht benetzbar.

Die Thränenpunkte sind häufig obliterirt; der Thränensack ist atrophisch, die Thränendrüse oft im Schwunde begriffen. Die Membran secernirt nicht, auch nicht auf angewandte Reizmittel. Der geschilderte Process kann entweder die ganze Bindehaut betreffen oder partiell sein (Xerosis squamosa und glabra v. Stellwag's).

Ganz ähnliche Zustände treten auf, wenn die Cornea oder die Bindehaut des Tarsus oder des Bulbus constant der Luft ausgesetzt wird, so bei Staphylomen der Hornhaut, bei Lagophthalmus, Ektropium ? an der Cornea auch bei Trichiasis und Distichiasis.

Die Zustände sind unheilbar und nur im geringen Grade einer Behandlung und Besserung zugänglich. Um das lästige Gefühl von Trockenheit zu benehmen, empfiehlt es sich, die Bindehaut durch Einträufelungen von Flüssigkeiten künstlich zu befeuchten. Dazu werden Glycerin, Lösungen von Chlornatrium, Natrium bicarbonicum, vor allem aber von Milch empfohlen; von der letzteren rühmt Sämisch, dass mit ihr bisweilen in hohem Grade überraschende Erfolge bezüglich der Aufhellung der Hornhaut erzielt werden und führt einen Fall an, wo das Sehvermögen in der Zeit von S1/^ Monaten von nicht deutlicher quantitativer Lichtempfindung auf Fingerzählen in vier Fuss gebracht wurde. Auch die Einpflanzung von normaler Schleimhaut (Kaninchenbindehaut) wurde empfohlen (siehe den Artikel Symblepharon), namentlich zum Zwecke des Einlegens künstlicher Augen.

Die Xerosis superficialis, epithelialis, oder wie sie Cohn nannte, triangularis besteht in dem Auftreten meist dreieckiger, der Configuration
der offenen Lidspalte entsprechender Flecken in der Augapfelbindehaut, zunächst der Hornhaut, meist nach innen und aussen, nur ausnahmsweise an nicht der Luft ausgesetzten Theilen (Bitot, Blessig, Cohn). Die Bindehaut ist an diesen Stellen mit einem weissen feinschaumigen Belage bedeckt, der sich leicht abschaben lässt und unter dem die Bindehaut trocken und fettig ist, so dass keine Thränenflüssigkeit auf derselben haftet. Der histologische Process besteht in einer Hyperplasie des Epithels mit Verhornung der obersten Schichten. Diese bilden eine gleichmässige faserige Masse mit einzelnen eingestreuten Kernen, dann kommt eine Schicht, in der sich theilweise noch Zellformen nachweisen lassen, darunter homogen werdende Zellen mit schrumpfenden Kernen, endlich folgen normale Epithelien. Man kann zwei Formen unterscheiden:

Die bei hochgradig herabgekommenen Individuen gleichzeitig mit tiefgreifenden Verschwärungen der Hornhaut und Necrosirung derselben verbundene Form. Man findet sie vor allem bei der sogenannten Keratomalacie der Kinder, aber auch bei alten, im höchsten Grad marantischen Personen; sie kommt auch bei besonders schlecht genährten Individuen mittleren Alters vor, z. B. bei solchen, die an der Krankheit leiden, die Gama Lobo als Ophthalmia braziliana beschrieben und später Gouvea ausführlich abgehandelt hat und die gleichzeitig mit Hemeralopie bei Negersclaven auftritt, welche unter sehr schlechten Verhältnissen fast ununterbrochen grellem Sonnenlichte ausgesetzt sind. Sie ist natürlich nebensächlich bei der Schwere der Hornhautaffectionen, welche nur durch eine rasche eingreifende Besserung der ErnährungsVerhältnisse aufgehalten werden kann. Bei Kindern ist eine solche in der Regel nicht durchführbar. Neben typischer erworbener Hemeralopie, die ja ebenfalls vorzugsweise herabgekommene Individuen befällt. Sie ist ein ungefährliches Leiden, dessen Zusammenhang mit der Hemeralopie noch nicht aufgeklärt ist.

Es kommen zwar Fälle von Hemeralopie ohne Xerose, ebenso von Xerose ohne Hemeralopie vor; das gleichzeitige Vorkommen beider ist jedoch ein auffallend häufiges und es mag für beide eine gemeinsame Ursache bestehen. Ernährungsstörungen spielen vielleicht auch hier eine Rolle. Ich habe im Jahre 1870 endemisches Auftreten von Hemeralopie in einem Waisenhause beobachtet; von 100 Knaben war etwa die Hälfte daran erkrankt, der grössere Theil litt gleichzeitig an Xerose, dagegen fand ich die Xerose auch an solchen, welche keinen Nachtnebel hatten. Bei vielen -war neben der Xerose leichter Katarrh vorhanden, bei Einzelnen fehlte er jedoch. Affec-tion der Cornea habe ich bei dieser Form nie gesehen.

Eine erhöhte Bedeutung auch ausserhalb augenärztlicher Kreise erlangte die Xerose durch die Entdeckung von Kuschbert utid Neisser, dass die schaumigen Auflagerungen neben einer fettigen Grundsubstanz mit spärlichen Epithelzellen zum grossen Theile aus Bacillen von beträchtlicher Grosse bestehen, die eine wechselnde Länge besitzen, aber stets wenigstens doppelt so lang als breit sind.

Die »Xerosebacillen« besitzen bereits eine grosse Literatur. Anfänglich für die Erreger der Hemeralopie gehalten, wurden sie später als identisch mit den sogenannten »Luftstäbchen« erkannt und ausser bei Xerose bei vielen anderen Conjunctivalerkrankungen aber auch bei Episkleritis, in Hornhautgeschwüren, nach Staaroperationen und ziemlich regelmässig im normalen Bindehautsacke gefunden. Ausserdem constatirte man ihre Anwesenheit in der gesunden Rachenschleimhaut, in Fussgeschwüren, im Trippereiter, in den Nierenkelchen u. s. w. In den letzten Jahren erklärte man sie für identisch mit den ungiftigen Löffler'sehen Bacillen, mit den Pseudodiphtheriebacillen, doch ist dies noch nicht als ganz ausgemacht zu betrachten. Es möge in dieser Beziehung besonders auf das am Schlüsse des Literaturverzeichnisses
angeführte Sammelreferat von BACH und NEUMANN verwiesen werden. Dass die Xerosebacillen in so grossen Mengen gerade auf den xerotischen Stellen bei der epithelischen Xerose vorkommen, rührt vielleicht daher, dass infolge des selteneren Lidschlages bei Hemeralopen die im Bindehautsacke befindlichen Bacillen auf den mit verhorntem Epithel bedeckten rauhen Stellen haften bleiben, sich ansammeln und vermehren.


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