Zwerchfellphänomen

Heilkundelexikon

Zwerchfellphänomen

Zwerchfellphänomen und seine Bedeutung vom physiologischen und klinischen Standpunkte aus. Im Jahre 1887 demon-strirte ich auf dem Congress für innere Medicin in Wiesbaden, dass man unter normalen Verhältnissen sehr häufig (bei Frauen auf der rechten Seite sogar in circa drei Viertel der Fälle) die Nieren durch bimanuelle Untersuchung nicht nur palpiren, sondern auch deren respiratorische Beweglichkeit aufs schönste nachweisen könne. Wenn man die rechte Hand unter den vorderen, die linke unter den hinteren Rippenbogen legt, und die zu Untersuchenden (am besten Frauen) in der Rücken- und Seitenlage tief respiriren lässt, so fühlt man bei jeder Inspiration die entsprechende Niere um ein bedeutendes Stück ihres Längsdurchmessers nach abwärts treten, so dass man das Organ zum grössten Theil, oder selbst ganz, zwischen die untersuchenden Finger bekommt und aufs genaueste abtasten kann. Bei der Exspiration findet das Umgekehrte statt, indem man die Niere aus den Fingern gleiten und wieder in die Höhe steigen fühlt.

Diese Thatsache der respiratorischen Verschieblichkeit der Nieren hat zu grossen und weitreichenden Fortschritten in der Erkenntniss der Nierenpathologie geführt und wird heute ebenso allgemein zu diagnostischen Zwecken verwendet wie das Herabtreten der Leber und Milz bei tiefen Inspirationen.

Es ist mir nun weiter gelungen, eine neue Beobachtung zu machen*, welche gewissermassen die physiologische Formel darstellt für das Ver-ständniss der respiratorischen Bewegung aller unterhalb des Zwerchfelles gelegenen abdominellen Organe, sei es, dass dieselben direct unter dem Zwerchfell liegen (wie die Milz, die Leber, die Nieren und der Magen), oder indirect durch eines dieser Organe die Bewegungen mitgetheilt erhalten (wie hauptsächlich die Darmschlingen). Die Bewegungen aller dieser Organe, welche man als »respiratorische« bezeichnet, und welche man häufig ebensowohl fühlen als deutlich sehen kann, wie z. B. den unteren Leberrand,

* Vergl. M. Litten, Deutsche med. Wochenschr. 1892, Nr. 13 und Deutsche Aerzte-zeitung, 1895, Jahrg. 1, Nr. 1.

kommen dadurch zustande, dass heim inspiratorischen Tiefertreten des Zwerchfells dieselben um soviel herabgedrängt werden, als der Excursion desselben entspricht. Wo jenes (i. e. das Tiefertreten des Zwerchfells) fehlt oder abgenommen hat, wird auch die respiratorische Beweglichkeit der ab-dominellen Organe fehlen oder entsprechend verringert sein.

Diese »physiologische Formel«, welche das Verständniss des genannten Vorganges direct wahrnehmbar vor Augen führt, wird repräsentirt durch die von mir »Zwerchfellphänomen« benannte Erscheinung. Ich verstehe darunter den sichtbaren Ausdruck der successive fortschreitenden Ablösung (oder Abhebung) des Zwerchfells von der Brust wand bei dessen Tiefertreten während der Inspiration, sowie seine successiv fortschreitende Anlegung an die Brustwand beim Höhertreten während der Exspiration.

Fig 141
Fig 141

Anmerkung. Man kann diese sichtbar fortschreitende Linie der Zwerchfellentfaltung während der Inspiration, respective die entgegengesetzte Thätigkeit während der Exspiration graphisch am besten durch beifolgende schematische Zeichnung (Fig. 141) illustriren: t bedeute die Thoraxwand und a, b, c, d den jeweiligen Stand des Diaphragma bei der Inspiration, respective Exspiration. Man stellte sich das Zwerchfell vor bestehend aus einem verticalen, der Brustwand anliegenden, von dieser nur durch einen capillären Raum getrennten, und einem horizontalen, zwischen Thorax und Abdomen gelegenen Theil. Im Beginn der Inspiration stehe das Zwerchfell bei a; nun löst sich bei fortschreitender Inspiration der verticale Theil des Zwerchfells von der Brustwand allmählich ab, während die bei b, c und d gelegenen Abschnitte noch der Thoraxwand anliegen. Gleichzeitig steigt der horizontale Theil abwärts. Bei der nächsten Phase der Inspiration liegt das Zwerchfell bei b der Brustwand mit seinem verticalen Theil an, während der horizontale Theil desselben der schraffirten Linie bei b entspricht. Während der nächsten Phase der Inspiration löst sich der verticale Theil bei c von der Brustwand ab, während der horizontale ebenfalls entsprechend tiefer tritt, und so fort, bis die Höhe der Inspiration erreicht ist. Die Summe der fortschreitenden Punkte der Zwerchfellabhebung von der Brustwand (von a bis d) bildet nun den sichtbaren Ausdruck des sogenannten »Zwerchfellphänomens«. Bei der Exspiration findet genau das Umgekehrte statt.

Dieser bei jeder Respiration sich wiederholende physiologische Vorgang giebt sich an der Brustwand deutlich zu erkennen durch das regel-mässige Auf- und Absteigen einer eigenartigen schattenhaften Linie, welche durch die Bewegung des Zwerchfells hervorgerufen wird und ein untrügliches Zeichen für den jeweiligen Stand des letzteren abgiebt. Demnach sehen wir in dieser Zwerchfellbewegung eine physiologische, ganz constante, bei jeder Respiration wiederkehrende Erscheinung am Thorax jedes Gesunden und jedes Kranken, soweit es sich nicht gerade um pathologische Processe handelt, welche die Beweglichkeit des Zwerchfells hemmen. Sie läuft ab in Form eines Schattens oder einer Wellenbewegung, welche beiderseits in der Höhe der siebenten Rippe beginnt und als gerade Linie oder seichte Furche, welche die Rippen unter spitzem Winkel schneidet, bei tiefster Inspiration mehrere Intercostalräume weit, zuweilen bis an den Rippenbogen herabsteigt, um bei der Exspiration um das gleiche Mass wieder in die Höhe zu steigen. Während bei tiefster Respiration das sichtbare Spiel des Zwerchfells 2?3 Intercostalräume und darüber, im Mittel 6?7 Cm. beträgt, schwankt es bei oberflächlicher Athmung nur um 1 bis IY2 Intercostalräume. Die sichtbare Bewegung des Zwerchfells kann horizontal um den ganzen Thorax verlaufen, so dass die sichtbare Abgangslinie
des Zwerchfells von der Wirbelsäule bis zum gleichseitigen Zwerchfellansatz an der vorderen Fläche des Thorax reicht; in der Mehrzahl der Fälle sieht man sie nicht in dieser ganzen Ausdehnung, sondern nur beschränkter zwischen Axillar- und Parasternallinie. Diese Erscheinung ist unter normalen Verhältnissen beiderseits gleich deutlich, rechts häufig ausgeprägter als links zu sehen, doch habe ich auch das Umgekehrte beobachtet. Auch auf dem Rücken kann man das Spiel des Zwerchfells sehr schön sehen, wenn der zu Untersuchende Knieellenbogenlage oder Bauchlage einnimmt.

Wenngleich das Phänomen für ein geübtes Auge bei den verschiedensten Körperstellungen, auch beim Stehen und Sitzen, zu sehen ist, so tritt es doch am allerdeutlichsten zutage, wenn man den zu Untersuchenden so lagert, dass diejenige Stelle der Brustwand, wo das Phänomen auftritt und abläuft, also zwischen siebenter Rippe und unterem Rippenbogen, intensiv, aber nicht grell beleuchtet ist. Zu diesem Zweck lagere man den zu Untersuchenden horizontal in Rückenlage, den Kopf möglichst wenig unterstützt, mit den Fassen gegen das Fenster, das Gesicht diesem zugekehrt, während der Beobachter, dem Kranken zugewendet, aus 3?4 Schritte Entfernung unter einem Winkel von circa 45° den unteren Thoraxabschnitt betrachtet. Alsdann sieht man, wie gesagt, wenn der zu Untersuchende möglichst tief athmet, synchron mit jeder In- und Exspiration einen breiten Schatten herab und aufwärts gleiten, den Jeder, welcher die Erscheinung nur ein einziges Mal deutlich gesehen hat, immer wieder aufs Leichteste erkennen wird. Ich muss hier, um Voreingenommenheiten zu begegnen, nachdrücklichst betonen, dass es sich hierbei nicht etwa um eine klinische Spitzfindigkeit handelt, sondern um ein leicht sichtbares Bewegungsphänomen, welches Jeder sehen muss, der es sehen will. Die einzigen Bedingungen, die in Frage kommen, sind: horizontale Lage des zu Beobachtenden bei geeigneter, am besten schräger Beleuchtung und tiefe ausgiebige Athemzüge. Es muss Jedem überlassen bleiben, wie er das Phänomen auffassen will, ob er in demselben die Bewegung des Zwerchfells oder das Herabtreten des unteren Lungenrandes in den bei tiefster Respiration eröffneten Complementärraum erblicken will; so viel steht indess fest, dass der sichtbare Schatten die Lungengrenze bei dem jeweiligen Zwerchfellstande bezeichnet. Es bleibt dabei die Möglichkeit ganz ausgeschlossen, einen im Thorax selbst ablaufenden Vorgang durch die äusseren Bedeckungen hindurch mit dem blossen Auge zu erkennen. Vielmehr erscheint mir die folgende Erklärung für den Vorgang als die wahrscheinlichste: das Zwerchfell ist in Form einer Kuppel zwischen Thorax und Abdominalhöhle ausgespannt, bestehend aus einem verticalen und einem horizontalen Theile. Der verticale Theil liegt, nur durch einen capillären Raum getrennt, fest der Brustwand an. Bei der Inspiration steigt der horizontale Theil nach abwärts, sich parallel mit seiner ursprünglichen Lage verschiebend, während der entsprechende Theil des verticalen Abschnittes sich in gleichem Verhältniss von der Thoraxwand abhebt. Steigt das Zwerchfell nun nach abwärts, so wird die Luft im Thorax verdünnt und dementsprechend der intrathora-cische Druck geringer werden, als der der äusseren Luft; es werden daher die Weichtheile des Thorax oberhalb des Zwerchfellansatzes nach innen eingedrückt werden (inspiratorische Einziehung der Intercostalräume), so dass das Profil der Thoraxwand im Moment der Inspiration nicht mehr eine gerade Linie bildet, sondern eine gebogene, wie Fig. 142 zeigt. Diese Einziehung, respective Niveaudifferenz wird dadurch noch grösser, dass während der Inspiration unterhalb des Zwerchfells der intraabdominelle Druck ver-grössert wird (daher die inspiratorische Erweiterung der unteren Thoraxapertur). Fällt nun ein Lichtstrahl unter spitzem Winkel in der Richtung von den Füssen des zu Untersuchenden her auf die Thoraxwand, so bleibt die Einsenkung bei & unbeleuchtet und wird dem Beobachter als Schatten erscheinen. Da nun bei fortschreitender Inspiration die oberhalb des Zwerchfells befindliche Einziehung der Thoraxwand immer weiter nach abwärts fortschreitet, aber stets unbeleuchtet bleibt, so wird das Fortschreiten dieser unbeleuchteten Stellen den Eindruck einer sich bewegenden Schattenlinie hervorrufen. *

Wir haben uns davon überzeugt, dass in einem dunklen Zimmer das Phänomen nur dann sichtbar wird, wenn man die Lichtquelle so anbringt, dass die Lichtstrahlen unter spitzem Winkel von unten her auf den Thorax einfallen, wobei es auf die Intensität des Lichtes absolut nicht ankommt; es genügt dazu eine Kerze oder eine einfache Petroleumlampe ohne Glocke. Bringt man die Lichtquelle an irgend einer anderen Stelle an, so kann man das Phänomen nicht mehr wahrnehmbar machen. Ich möchte hier noch ausdrücklich bemerken, dass zur Demonstration am Tage ein von allen Seiten einfallendes diffuses Licht für die Sichtbar machung des Phänomens keineswegs günstig ist, daher es auch in klinischen Hörsälen mit dicht aneinanderliegenden, grossen Fenstern häufig nicht gelingt, dasselbe zu demonstriren.

Fig 142: Schamtischer Frontalschnitt durch die rechte Thoraxwand mit Zwerchfell. Die schraffierte Linie bezeichnet die Lage der Thoraxwand in Ruhe, die ausgezeichnete bei der Inspiration. Der Pfeil bedeutet den auffallenden Lichtstrahl.
Fig 142: Schamtischer Frontalschnitt durch die rechte Thoraxwand mit Zwerchfell. Die schraffierte Linie bezeichnet die Lage der Thoraxwand in Ruhe, die ausgezeichnete bei der Inspiration. Der Pfeil bedeutet den auffallenden Lichtstrahl.


Hat es nun vom rein wissenschaftlichen Standpunkt aus schon ein hohes Interesse, das Spiel des auf- und niedergleitenden Zwerchfelles mit äusserster Exactheit mühelos zu beobachten, wobei man ferner noch die interessante und wichtige Thatsache beobachten kann, dass die Sichtbare Verschiebung des Schematischer Frontalschnitt durch die Zwerchfelles nicht unmittelbar mit dem Beginne der Inspiration einsetzt, Sondern dieser häufig eine messbare Zeit nachfolgt, das heisst erst dann beginnt, wenn bei tiefer Athmung der Complementärraum eröffnet ist, so zeigt sich die praktische Bedeutung des Phänomens nicht nur für den physiologischen Unterricht, wo es dem Studenten die geheimnissvolle Thätigkeit des Zwerchfelles bei der Athmung, die er bisher nur am Thier bei geöffnetem Thorax oder Abdomen, das heisst: unter wesentlich veränderten Bedingungen hat beobachten können, beim lebenden Menschen enthüllt, sondern auch gleich beim ersten klinischen Unterricht. Dem Anfänger steht ein unfehlbares Mittel zur Verfügung, die Richtigkeit seines Percussionsergebnisses selbst zu prüfen und zu con-troliren; er braucht etwaige Correcturen des Lehrers nicht blos auf dessen Autorität hin zu glauben.

Wenn man mit einem Blaustift die Grenzen der sichtbaren Excursionen des Zwerchfells auf der Brustwand bezeichnet, so wird der obere Strich (etwa in der Höhe der 6. Rippe) die Exspirationsstellung, der untere (in der Höhe der 8. ?9. Rippe) die Inspirationsstellung des Zwerchfells bei tiefer Respiration anzeigen. Beide entsprechen dem jeweiligen Stande des unteren Lungenrandes, respective der oberen Lebergrenze bei In- und Exspiration. Die Differenz zwischen beiden Strichen bedeutet die Amplitude, das heisst den Ausschlag des Zwerchfells zwischen tiefer In- und Exspiration. Alle diese Verhältnisse, welche man früher nur durch die Percussion nachweisen

* Wenn auch dieser Schatten als eine ununterbrochene Linie erscheint, so darf doch nicht übersehen werden, dass an denjenigen Stellen, wo die Rippen liegen, dieselbe in Wirklichkeit unterbrochen ist, da die Rippen durch den äusseren Luftdruck nicht in demselben Masse nach innen vorgewölbt werden können, als die Weichtheile.


konnte, übersieht man jetzt mit einem Blick; da ich festgestellt habe' dass diese Amplitude des Zwerchfells (d. h. der sichtbare Wechsel zwischen In- und Exspirationsstellung) im Durchschnitt 5?6 Cm. beträgt, so sieht man auf einen Blick, ob sich die Lungen normal ausdehnen, ob der Complementärraum frei ist, und ob die Lungenränder sich in der richtigen Höhe befinden.

Eine grosse Zeitersparniss gewährt diese Methode allen denjenigen Aerzten, welche in kurzer Zeit eine grosse Zahl von Menschen untersuchen müssen. Mit einem einzigen Blick ist man orientirt, ob die untere Lungen-, beziehungsweise obere Lebergrenze normal, ob Volumen pulm. auctum vorliegt, und in welchem Grade; mit demselben Blick erkennt man, dass die Grenze tiefer gerückt und die vitale Capacität geringer geworden ist. Schneller und besser als durch die Messung des Brustumfanges und der Athmungsgrösse lässt sich die respiratorische Leistungsfähigkeit eines Re-cruten beurtheilen.

Da bei jedem Menschen mit gesunden Lungen, wie mich viele hunderte Bestimmungen auf Grund des sichtbaren Zwerchfellphänomens belehrt haben, der Ausschlag des Zwerchfells bei tiefer Athmung 5?7 Cm. im Mittel beträgt, so muss jeder kleinere Ausschlag eine pathologische Bedeutung haben. Dies ist auch ausnahmslos der Fall, vorausgesetzt, dass das betreffende Individuum unbehindert und tief respiriren kann. Zumeist liegt alsdann ein Lungenemphysem vor, wobei das Zwerchfell nicht am oberen Rand der 7. Rippe sichtbar ist, sondern 1?2 Intercostalräume tiefer (und zwar in der Mamillarlinie). Ebenso darf man auf Emphysem schliessen, wenn die sichtbare Zwerchfellbewegung bis zum unteren Rippenbogen reicht, was normal fast niemals der Fall ist. Eine verminderte Zwerchfellbewegung kann aber auch von allgemeiner Schwäche abhängig sein, wobei man sie allerdings an normaler Stelle sieht, oder von solchen pathologischen Processen, bei denen fast ausschliesslich Costalathmung vorhanden ist. Bei hochgradiger Fettleibigkeit ist sie meist gar nicht sichtbar.

Ungleich grössere diagnostische Triumphe feiert das Zwerchfellphänomen auf dem Gebiet einseitiger Erkrankungen, wobei die Verschiedenheit der sichtbaren Zwerchfellbewegung oder des sichtbaren Zwerchfellstandes sofort prägnant in die Augen fällt. Wenn bei der Betrachtung des Thorax auf der einen Seite das Zwerchfellphänomen vollständig vermisst wird, während es auf der anderen Seite an normaler Stelle und in normaler Ausdehnung sichtbar ist, so liegt entweder ein umfangreicherer freier Flüssigkeits- oder Lufterguss in dem einen Pleuraraum vor (Empyem, Pleuritis exsud., Hydro-, Hämato-, Pneumothorax) oder eine Pneumonie des Unterlappens. Bei letzterer und beim Empyem, respective beim Pyopneumothorax tritt wegen der serösen (oder purulenten) Durchtränkung der Zwsrchfellmusculatur überhaupt keine Andeutung des Phänomens auf der erkrankten Seite zutage; geringere Bewegungen des Zwerchfells jedoch sieht man zuweilen bei serösen Ergüssen, wobei alsdann die sichtbare Abgangsstelle des Zwerchfells tiefer, als normal liegt. Jedenfalls lehrt ein Blick auf den Thorax, ob und in welchem Umfang das Zwerchfell seine Beweglichkeit eingebüsst hat. Bei umfangreichen Verwachsungen des Zwerchfells mit den Lungen, respective mit Milz und Leber, sowie namentlich bei Schwartenbildungen und R6trecissement thoracique wird die Zwerchfellbewegung ebenfalls auf dieser Seite noch sichtbar, aber erheblich beschränkt sein. Sehr häufig beobachtet man bei Verwachsungen des Zwerchfells infolge von vorangegangenen: Pleuritiden Verzerrungen und Unregelmässigkeiten der sonst gerade verlaufenden Linie des Zwerchfellphänomens.

Besteht Dämpfung in den unteren Thoraxpartien, welche nicht von Leber und Milz herrührt, und das Phänomen ist, wenn auch in geringem Umfang, trotzdem sichtbiar, und zwar oberhalb der Dämpfung, so kann kein Zweifel an einem subphrenischen Sitz der Erkrankung bestehen, wodurch man ein absolut sicheres differentielldiagnostisches Mittel zur Erkenntniss subphrenischer Abscesse besitzt. Ist man eventuell im Unklaren über die Natur der Dämpfung, so kann man zur Sicherstellung eine Probepunction machen. Ergiebt diese die Anwesenheit von Eiter, so ist an der Richtigkeit der Diagnose nicht zu zweifeln.

Bei Anwesenheit von Tumoren im Thoraxraum wird das Zwerchfell, wenn es überhaupt sichtbar ist, abnorm tief stehen. Bei einigen Fällen von Mediastinal- und Pulmonaltumoren konnten wir es, abnorm tief stehend, deutlich erkennen, wenn auch die Bewegungen weniger ausgiebig waren, namentlich in Fällen, bei denen besonders der Unterlappen Sitz der Erkrankung war. Auch bei grossen Milz- und Lebertumoren haben wir das Phänomen in schönster Weise in vielen Fällen gesehen; nur einmal fehlte es völlig, wo die Leber kolossal melanotisch entartet war und bis zur dritten Rippe hinaufreichte. (Das Organ wog 16, 5 Kgrm.) Bei hochgradigem Ascites und diffuser Peritonitis, sowie bei Heus mit hochgradigster Tympanie des Darmes sah man die Bewegungen des Zwerchfells eben noch angedeutet, aber höher als normal. Ganz besonders möchte ich auf die Bedeutung unseres Symptomes für erworbene Zwerchfellhernien aufmerksam machen. Wenn beim Herabstürzen aus grosser Höhe (z. B. bei Dachdeckern) die Wahrscheinlichkeit einer inneren Verletzung, namentlich eines der im Thorax gelegenen Organe vorliegt, so wird vorzugsweise der Verdacht auf Pneumothorax in Frage kommen. Ist in solchen Fällen das Zwerchfellphänomen an normaler Stelle deutlich sichtbar, so ist die Möglichkeit eines Pneumothorax ausgeschlossen, weil in diesem Fall das Zwerchfell abnorm tief steht und meist gelähmt ist. Wir würden daher das Zwerchfellphänomen vermissen. Sollte es trotzdem nach Sturz aus grosser Höhe an normaler Stelle oder nur wenig tiefer deutlich sichtbar sein, während die Percussion am Thorax tympanitischen oder metallischen Schall ergiebt, so ist die Diagnose einer Zwerchfellhernie gesichert. In einem von A. Neumann beschriebenen Fall aus dem Friedrichshain-Krankenhaus (Deutsche med. Wochenschr. 1894, Nr. 33), welchem nach dieser Richtung hin eine grundlegende Bedeutung zukommt, beobachtete man während der Narkose das Zwerchfellphänomen an normaler Stelle trotz des supponirten Pneumothorax. Der Autor giebt selbst an, dass eine sorgfältige Ueberlegung zur richtigen Diagnose hätte führen können oder müssen. Kommt bei einem derartigen Kranken nur ein massiger Riss im Diaphragma zustande, durch welchen eine Darmschlinge in den Pleuraraum hindurchtritt, so werden wir das Zwerchfellphänomen an normaler Stelle oder nur wenig tiefer sehen und oberhalb desselben tympanitischen oder metallischen Percussionsschall wahrnehmen. Bei dem sicheren Ausschluss eines Pneumothorax (denn hier müsste das Zwerchfell abnorm tief stehen und eine minimale Amplitude haben) bliebe nur die Möglichkeit einer erworbenen Zwerchfellhernie übrig, deren Diagnose in zukünftigen Fällen auch sicher gestellt werden würde.

Dasselbe gilt für einseitige Phrenicuslähmung; hier würde das einseitig e Fehlen des Zwerchfellphänomens beim Ausschluss jeder sonstigen Ursache die Diagnose sichern, umso mehr, als die Percussion auf der gelähmten Seite einen Hochstand des Zwerchfells ergeben würde.

Wesentliche Dienste leistet das Phänomen bei der Beurtheiiung der Lungenthätigkeit nach pleuritischen Exsudaten und anderweitigen Erkrankungen
der Pleura und des Lungenparenchyms. Bei mehr oder weniger ausgebildeten pleuritischen Schwarten ist es mehr oder weniger deutlich zu sehen und gestattet im Vergleich mit seiner Ausdehnung auf der gesunden Seite eine ziemlich sichere Abschätzung der Behinderung der Lungenthätig-keit. Andererseits konnte in streitigen Fällen Unfallsverletzter nicht selten mit Sicherheit nachgewiesen werden, dass eine Behinderung der Athmung, beziehungsweise der Ausdehnungsfähigkeil oder Verschieblichkeit der Lungen nicht bestanden. Ich habe wiederholt in solchen forensischen Fällen, in denen die Verletzten behaupteten, nicht ordentlich athmen zu können (z. B. nach Rippenfracturen, die vollständig verheilt waren), auf Grund des in normaler Weise sichtbaren Zwerchfellphänomens die Simulation nachweisen können. Auch bei der Beurtheilung therapeutischer Erfolge, namentlich bei der Pneumotherapie, bietet das Phänomen ein unfehlbares Mittel zu einer ob-jectiven Erkenntniss von verbesserter, beziehungsweise ausgiebigerer Lungen-thätigkeit. In vielen Fällen von Lungenemphysem und pleuritischen Exsudaten, welche wir mit dem STEiNHOFF'schen Apparat behandelten, bot uns das genannte Symptom ein untrügliches und werthvolles Mittel zur objec-tiven Abschätzung der erzielten Erfolge. Man muss in solchen Fällen vor der Behandlung die obere und untere Grenze des erkennbaren Zwerchfellphänomens mit dem Silberstift bezeichnen, und sieht alsdann beim Emphysem nach einigen Wochen oder Monaten die Grenzen höher rücken, oder bei inzwischen erfolgter Entfaltung der comprimirt gewesenen Lungen tiefer treten. Seitdem ich das Zwerchfellphänomen im Jahre 1891 als eine con-stante, bei jedem Menschen vorhandene physiologische Erscheinung erkannte, haben wir dasselbe bei jedem einzigen poliklinischen Patienten (jährlich 5000?6000) untersucht und, wenn auch in verschiedener Intensität, ausnahmslos gefunden, sofern nicht das eine oder das andere pathologische Moment, namentlich auch starke Fettleibigkeit, dessen Zustandekommen verhinderte.

Literatur:
1) M. Litten, Deutsche med. Wochenschrift. 1892, Nr. 13. ?
2) J. Gad, Ibidem. 1893.
3) W. Becher, Ibidem. 1893.
4) L. Israel, Die Verletzungen des Zwerchfells vom gerichtlich-ärztlichen Standpunkte. Vierteljahrschr. f. gerichtl. Med. 3. Folge, XIV, Suppl. -Heft.
5) Jaworski, Przegl. lekarski. 1895, Nr. 52.
6) Elkan, Das Litten'sche Zwerchfellphänomen und seine klinisch-diagnostische Bedeutung. Dissert. Berlin 1894. ?
7) Wolff, Das Litten'sche Zwerchfellphänomen. Inaug. -Dissert. München.
8) M. Litten, Wiener klin. Wochenschr. 1894, Nr. 5.
9) F. Martius, Wiener med. Wochenschr. 189. J Nr. 10.
10) M. Litten, Ibidem. Nr. 12.
11) F. Martius, Ibidem. Nr. 13.
12) Jendrassek, Deutsche med. Wochenschr. 1895, Nr. 30.
13) A. Neumann, Zwerchfellshernie mit Operation. Deutsche med. Wochenschr. 1894, Nr. 33.
14) M. Litten, Medical ßecord. 1895, Nr. 26.
15) M. Litten, Journal des Connaiss. m6d. 1895, Nr. 24, 25.
16) Fere, Ibidem.

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