Zimmtsäure

Heilkundelexikon

Zimmtsäure

Zimmtsäure, Acidum cinnamylicum, wird von A. Landerer seit 1883 für die Behandlung sowohl der in Gelenken locaiisirten als auch der Lungentuberkulose auf Grund von Thierversuchen und der Krankenbehandlung empfohlen.

Die Zimmtsäure findet sich im Peru- und Tolubalsam, im Styrax und in gewissen Sorten von Benzoeharz, theils frei, theils in Form von ätherartigen Verbindungen. Sie ist nach ihrer Constitution Phenylacrylsäure, C6 H6 ? CH = CH ? CO OH und wird synthetisch durch Kochen von Benzaldehyd mit Essigsäureanhydrid und trockenem Natriumacetat erhalten. Die Zimmtsäure bildet färb- und geruchlose Krystalle von 133° Schmelzpunkt, die bei 290° unzersetzt destilliren und in kaltem
Wasser schwer löslich sind. Ferrichlorid erzeugt in der Lösung einen gelben Niederschlag von zimmtsaurem Eisenoxyd.

Zur Anwendung der Zimmtsäure gegen tuberkulöse Herde gelangte Landerer erst, nachdem er früher eine Reihe von Jahren hindurch intravenöse Injectionen von Perubalsamemulsion mit Erfolg gegen den tuberkulösen Process in Anwendung gezogen hatte. Sein Gedankengang war bei diesen Versuchen folgender: Um die nekrobiösen Verkäsungen bei der Tuberkulose zu einem günstigen Ausgang zu führen, muss die tuberkulöse Entzündung künstlich in eine solche umgewandelt werden, welche zu einer soliden Narbe führt. Versuche, in tuberkulösen Herden durch parenchyma-töse Injectionen von schwer löslichen, antiseptisch wirkenden Stoffen ? Jodoform, Bismutum subnitric, Salicylsäure ? Depots dieser Stoffe abzulagern, führten nicht zum Ziele. Durch die Ueberlegung, dass die tuberkulösen Herde auf embolischem metastatischem Wege entstehen, wurde Landerer zu dem Versuche angeregt, auch das Heilmittel auf demselben Wege an die kranken Stellen zu bringen, und er verwendete zu diesem Zwecke intravenöse Injectionen von Perubalsamemulsionen; bisherigen Erfahrungen entsprechend, sollten die in den Kreislauf gebrachten corpusculären Elemente gerade an den erkrankten Stellen des Körpers abgelagert werden. Es gelang ihm auch, mit Hilfe intravenöser Perubalsaminjectionen, die in den Lungen des Kaninchens befindlichen Tuberkelbacillen zu vernichten und künstliche Processe in den Lungen der Kaninchen zu erzeugen, welche zur Ausheilung tuberkulöser Processe führten. In zahlreichen Fällen von äusserer Tuberkulose überzeugte sich Landerer denn auch von dem Werthe des Perubalsams für die conservative Behandlung fungöser Processe, welche durch die paren-chymatösen Injectionen von Perubalsamemulsion zum Schrumpfen gebracht wurden. Auch in Fällen von innerer Tuberkulose sah Landerer günstige Erfolge von dieser Behandlung.

Weitere Versuche ergaben, dass von den Bestandtheilen des Perubalsams der geschilderte Heileffect der Zimmtsäure zukommt; die Wirkungen dieser zeigten sich intensiver und die unangenehmen Nebenerscheinungen bedeutend geringer wie beim Perubalsam. Die Vorgänge, die Landerer bei der intravenösen Injection der Zimmtsäure, ihrer Salze, Alkohole, namentlich in 5°/0igen Concentrationen beobachtete, sind folgende: Die Zimmtsäure wirkt im hohen Grade positiv chemotactisch ? die intravenöse Injection ruft eine starke Leukocytose hervor, welche l1/^?2 post inject. beginnt und bei mittleren Dosen nach 8 Stunden ihr Maximum mit einer circa 21/2fcichen Vermehrung der Leukocyten, und zwar der polynucleären, weniger "der eosinophilen erreicht; nach 24 Stunden ist die Leukocytose allmählich abgeklungen; auch bei subcutaner und intramusculärer Injection tritt Leukocytose des Blutes ein, aber viel schwächer. Die Zahl der rothen Blutkörperchen, auch der Hämoglobingehalt, wird selbst bei lang andauernder Injection nicht gemindert. Dementsprechend sah Landerer in den Lungen tuberkulöser Kaninchen vermehrte Leukocytenanhäufung in den Alveolar-septen der erkrankten Partien sowie um die nekrotischen Herde.

Im 2. bis 3. Monat sieht man dann die nekrotischen Partien sehr verkleinert, die Herde sind auch im Centrum von Leukocyten durchsetzt, am Rande ist junges Bindegewebe mit deutlicher Vascularisätion vorhanden. Vom 4. und 5. Monat an sind käsige Massen in der Lunge überhaupt nicht mehr nachzuweisen; man findet nur noch Infiltrate, bestehend aus jungem Bindegewebe, Leukocyten und Gefässen; an diesen Stellen sieht man später wirkliche Narben. Die klinischen Ergebnisse waren am günstigsten bei chronischen Lungentuberkulösen mit nicht nachweisbaren Cavernen, wenn auch sehr reichlichem Bacillengehalt und massiger abendlicher Temperatursteigerung. Die meisten Fälle sind 3 Jahre geheilt geblieben; auch Fälle mit Cavernen ohne wesentlicher Temperatursteigerung gaben noch einen ansehnlichen Procentsatz dauernder Besserung; aussichtslos sind Fälle mit großen Cavernen und hohem Fieber und Fälle von acuter Phthise.

Bei chirurgischer Tuberkulose bewährten sich die Injectionen mit Zimmtsäure in vielen, auch sehr schweren Fällen. Landerer zieht hier die Zimmtsäure dem Jodoform vor; zunächst weil die Erscheinungen bei der Injection mit Zimmtsäure viel mildere sind und dann wegen der Möglichkeit, gleichzeitig mit der localen Behandlung eine Allgemeinbehandlung der Tuberkulose durch intravenöse (Erwachsene) und glutäale Injection (Kinder) von Zimmtsäure durchzuführen, wodurch in Fällen ? multiple Fungi ? Heilung erzielt wurde, in denen Jodoform versagte; allerdings muss die Zahl der Injectionen grösser sein wie beim Jodoform, mindestens zweimal die Woche wenigstens im Anfang.

Dosirung. Die Zimmtsäure wird als Eidotteremulsion nach folgender Bereitungsweise angewendet: Rep. Acidi cinnamylici 5, 0, 01. amygdal. 10, 0, Vitelli ovi 1, Sol. natr. chlorat. (0, 7%), q. s. ut fiat Emulsio 100, 0. Nur für die Behandlung des Lupus erwies sich eine alkoholische Lösung mit Cocainzusatz zweckmässiger: Acid. cinnamylici, Cocain. muriat. aa. 1, 0, Spir. vini 20, 0. S. Zur Injection. Von dieser Lösung werden je 1?2 Tropfen in die Knötchen eingespritzt; in einer Sitzung werden je nach Bedarf bis 10 Einspritzungen gemacht, und zwar wird wöchentlich eine Sitzung abgehalten. Die Emulsion ist für den Gebrauch alkalisch zu machen, es geschieht dies mit 7, 5% Natronlauge (circa 5 Tropfen auf 1 Ccm. Emulsion), und zwar wird immer nur so viel Emulsion alkalisch gemacht, als in den nächsten Stunden gebraucht wird. Kühl aufbewahrt hält sich die saure Emulsion 6?8 Tage, sterilisiren lässt sie sich nicht, doch hat Landerer nie eine Bakterienentwicklung in ihr beobachtet. Zur Injection wird in der Regel der linke Arm, und zwar eine Vene der Ellbogenbeuge, benützt; gründliche Desinfection des Operationsfeldes und Sterilisation der Instrumente unerlässlich. Die Menge des zu Injicirenden beträgt im allgemeinen von 0, 1?0, 5 der 5%igen Zimmtsäureemulsion, die mittlere Dosis, die zumeist in Anwendung kommt, schwankt zwischen 0, 25 bis 0, 4 Ccm., bei kräftigen Patienten ausnahmsweise 0, 8?0, 0, bei vorgeschrittenen 0, 1 ? 1, 15 pro dosi. Man beginnt mit 1/2 Theilstrich der Pravaz-Spritze und steigt allmählich um V2 Strich. In der Regel wird man wöchentlich zweimal injiciren. Unmittelbare Polgen soll die Injection, wenn sie richtig gewählt ist, gar keine haben; am Abend des Injectionstages oder am nächsten Tag stellen sich bei manchen Kranken Unruhe, Abgeschlagenheit, schlechter Schlaf und leichter Kopfschmerz ein. Die Dauer der Behandlung sollte in leichten Fällen nicht unter einem Vierteljahr, in schweren Fällen i/2 bis 3/4 Janr betragen, wobei 2?4wöchentliche Pausen, nachdem der progressive Charakter der Krankheit geschwunden, namentlich bei Aufenthalt in guter Luft immerhin thunlich sind. Die eigentliche Erholung tritt erst einige Zeit nach völliger Beendigung der Injectionen ein.

Die Methode, deren Durchführung grosser Sorgfalt und Ausdauer bedarf, ist bisher mit Ausnahme Kontzky's, dessen Bericht günstig lautet, nur von Landerer geübt worden.

Literatur:
Albert Landerer, Die Behandlung der Tuberkulose mit Zimmtsäure. Leipzig, F. 0. W. Vogel, 1892.
E. Kirchhoff, Therap. Monatsh. Mai 1892.
Albert Landerer, Therap. Monatsh. Februar 1894.
Albert Landerer, Die Behandlung der Tuberkulose mit Zimmtsäure. Leipzig, F. C. W. Vogel, 1898, 308 S.
Albert Landerer, Aerztliche Praxis. 1899, Nr. 14 und Centralbl. f. d. ges. Therap. 11. Heft.
Dr. Kontzky, Einige Beobachtungen über subcutane Injectionen von Natrium cynnamylicum bei Tuberkulösen. Wratsch. 1899, Nr. 1.

Hinweis:
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem Text auf dieser Seite um einen Auszug aus einem über hundert Jahre alten Fachbuch der Medizin handelt.
So entsprechen vor allem die genannten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen nicht dem aktuellen Stand der Medizin, die Anwendung kann nicht nur die Diagnose einer Erkrankung verzögern, sondern auch direkt den Körper schädigen.

Hinweis: Der Text auf dieser Seite entstammt einem über einhundert Jahre alten Fachbuch. Daher entsprechen die gemachten Angaben nicht dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Verwenden Sie niemals die angegebenen Rezepturen und Heilmethoden, da sie gesundheitsgefährdend seien können.