Zelle

Heilkundelexikon

Zelle


Zelle (lat., ital. cellula, franz. cellule, engl. cell, span. celula). Allgemeine (normale) Histologie (Histogenese, Morphologie, Histophysik, Histochemie) der Zelle.

Alle lebenden Organismen (Pflanzen und Thiere) bestehen aus einer oder mehreren, oft sehr zahlreichen Zellen. Die höheren Lebewesen bestehen aus Organen und Organsystemen, die Organe wiederum aus Zellen. Alle lebenden Organismen sind aus einer Zelle hervorgegangen, die höheren durch Verschmelzung einer Ei- mit einer Samenzelle. Der Ausdruck »Zelle« stammt aus dem 17. Jahrhundert und verdankt seine Anwendung Anschauungen, welche längst als irrthümlich erkannt sind. Trotzdem hat man den Namen Zelle, weil er schon so lange in Gebrauch ist und sich durch Kürze auszeichnet, auch in neuester Zeit nicht abschaffen wollen oder können, trotzdem andere, richtigere vorgeschlagen wurden, wie Elementar-Organismus (Brücke), Elementar-Theilchen, Elementar-Einheit, Piastiden (E. Haeckel), Energiden (Sachs, v. Koelliker). Wie es scheint, hat der Botaniker Robert Hook 1665 zuerst das Wort Zelle angewandt, als er die durch die Verbindung von Pflanzenzellen gebildeten, saugwabenartigen Gewebe als »aus Zellen und Poren« bestehend bezeichnete. Etwas später beschreibt Mar-cellus Malpighi in seiner Anatome plantarum die Zeilen als von sehr zarten Membranen umschlossene Bläschen, ähnlich Grew in der Anatomy of plants. Beide beschrieben in den Pflanzen kleine, kammerähnliche, mit festen Wandungen versehene und mit Flüssigkeit erfüllte Räume. Die Frage nach der Entstehung der Pflanzen warf wohl zuerst Caspar Friedrich Wolff (Theoria generationis, 1764) auf; er suchte die »Gefässe« und »Röhren« der Pflanzen von der Zelle als Grundform abzuleiten. 1781 wurden durch Fontana Kern nebst Kernkörperchen und der granulirte Zellinhalt als besondere Bestandtheile der Zelle nachgewiesen, 1806 und 1808 folgen dann Untersuchungen von Oken, besonders aber von Treviranus (»Vom inwendigen Bau der Gewächse«), der an jungen Pflanzentheilen den Nachweis führte, dass die »Gefässe« aus Zellen hervorgehen, dass junge Zellen sich in Reihen anordnen und durch Auflösung der Querscheidewände zu einer Röhre verschmelzen, 1830 wurde dies von H. v. Mohl bestätigt. 1833 bestätigte R. Brown die vergessene Entdeckung Fontana's vom Zellkern. Bereits 1830 hatte Meyen (Phytotomie, Berlin) den Satz ausgesprochen: »Die Pflanzenzellen treten entweder einzeln auf, so dass eine jede ein eigenes Individuum bildet, wie dieses bei Algen und Pilzen der Fall ist, oder sie sind in mehr oder weniger grossen Massen zu einer höher organisirten Pflanze vereinigt.


Auch hier bildet jede Zelle ein für sich bestehendes, abgeschlossenes Ganzes; sie ernährt sich selbst, sie bildet sich selbst und verarbeitet den aufgenommenen rohen Nahrungsstoff zu sehr verschiedenartigen Stoffen und Gebilden.«

Auf Grund der Arbeiten Brown's, weicher (1830) nachwies, dass der Zellkern keinen gelegentlich, sondern einen in der Regel vorkommenden Bestandtheil des Zellinnern darstellt, suchte der Jenenser Botaniker M. Schleiden (1838) die Frage nach der Entstehung der Zelle zu lösen. Er fand den Kern namentlich in jugendlichen Zellen stets vorhanden und schloss daraus, dass der Kern nähere Beziehung zu der Entstehung der Zelle und überhaupt eine sehr hohe Bedeutung in deren Leben haben müsse. Durch den Gedanken Schleiden's von der allgemeinen Bedeutung des Kernes für die Zelle ist die Uebertragung der Zelltheorie auf die thierischen Gewebe angebahnt worden, welche dann von Theodor Schwann ausgeführt wurde. Angeregt durch Schleiden's Arbeit, sowie die Untersuchungen von Pürkyne, Valentin, Johannes Müller und Jacob Henle veröffentlichte Schwann 1839 sein epochemachendes Werk »Mikroskopische Untersuchungen über die Uebereinstimmung in der Structur und dem Wachsthum der Thiere und Pflanzen«, von dessen Erscheinen man gewöhnlich die Zelltheorie, wenigstens für die thierischen Gewebe, zu datiren pflegt. Schwann's Verdienst ist ein mal die durch Schleiden beeinflusste Erkenntniss von der Bedeutung des Kerns für die Zelle und vor allem ihre Entstehung, zweitens die methodisch unternommenen Untersuchungen über die Entstehung der verschiedenen thierischen Gewebe aus den Zellen, die weitere Entwicklung und Umbildung zu den verschiedenartigsten Bildungen. Schwann definirte die Zelle mit Schleiden als ein kleines Bläschen, welches in einer festen Membran einen flüssigen Inhalt einschliesst, ein Kämmerchen, eine Zelle (cellula) im eigentlichen Sinne des Wortes. Für Schwann war die Zelle ein »organischer Krystall«, wodurch eine Art von Krystallisation aus einer organischen Mutterlauge (Cytoblasten) entstehen sollte.

Das Schwann'sche Schema von den thierischen Zellen hat dann,, obwohl sehr bald von verschiedenen Seiten Einwendungen dagegen erhoben wurden, bis 1861 Giltigkeit gehabt. Schon Schleiden hatte in Pflanzenzellen ausser dem eigentlichen flüssigen Zellinhalt, dem Zellsaft, eine weiche, körnige, durchscheinende Substanz bemerkt, die er als »Pflanzenschleim« bezeichnet. 1846 nannte H. v. Mohl diese Substanz »Protoplasma« (ein schon 1840 von Pürkyne für die Bildungssubstanz jüngster Embryonen angewandtes Wort), und beschrieb dessen Lebenserscheinungen bei Pflanzen sehr genau. Vor allem wurden von Mohl die schon von Bonaventura Corti (1772) und C. L. Treviranus (1807) gesehene »kreisende Bewegung des Zellsaftes« festgestellt. 1842 wies Bischoff, 1845 Koelliker darauf hin, dass an vielen thierischen Zeilen eine Membran nicht nachweisbar sei, und es erhob sich dann der Streit, ob diese Gebilde als membranlos »Zeilen« seien oder nicht. Siebold, Koelliker, Remak, Lieberkühn u. a. beobachteten auch an thierischen Zellen Bewegungserscheinungen der Grundsubstanz (Leukocyten) und Remak übertrug deshalb 1852 den Namen Protoplasma auch auf die Grundsubstanz der thierischen Zelle. Weitere Fortschritte machte die Kenntniss von Protoplasma und der Zelle durch das Studium niederer Pflanzen und Thiere (Myxomyceten, Amoeben, Rhizopoden), deren Zellsubstanz Du-jardin »Sarcode« nannte, während bald darauf Max Schultze und de Bary nachwiesen, dass »Protoplasma« und »Sarcode« identisch seien. Ausser Max Schultze und de Bary sind als Reformatoren der alten Zelltheorie oder des Schwann-Schleiden'schen Zellschemas zu nennen die Botaniker Nägeli, Alexander Braun, Cohn, die Anatomen Franz Leydig und Albert Koelliker. M. Schultze veröffentlichte in den Jahren 1860 und 1861 mehrere Abhandlungen, von denen eine sich mit dem Vergleich von thierischem (Rhizopoden)
und Pflanzen-Protoplasma, die andere »mit dem, was man eine Zelle zu nennen habe«, befasste. Einmai aus den positiven Beobachtungen über das Verhalten des Protoplasma in pflanzlichen und thierischen Zellen, zweitens aus der negativen Thatsache, dass eine Zellmembran oft fehlt, das Protoplasma also dann nackt erscheint, zog Max Schültze den Schluss, dass die Membran unwesentlich, das Protoplasma nebst dem Kern dagegen die wesentlichen Bestandteile der »Zelle« seien. Während er den schon damals allgemein eingebürgerten Namen Zelle beibehält, definirt er diese als ein mit den Eigenschaften des Lebens begabtes Klümpchen von Protoplasma. Damit trat Schültze wieder Anschauungen näher, welche bereits vor, gleichzeitig oder bald nach Schwann's Werk von PurkySe und Friedrich Arnold (von ersterem 1837?1840, von letzterem1845) geäussert worden waren (»Körnchen-« und »Klümpchen-Theorie«). Uebrigens waren Max Schültze und der Physiologe Ernst Brücke, der in demselben Jahre (1861) die Zellen als »Elementarorganismen« beschrieb und benannte, von Anfang an der Ansicht, dass das Protoplasma etwas sehr complicirtes sei. Entsprechend den verwickelten Lebenseigenschaften schrieb Brücke ihm einen »höchst kunstvollen Bau« zu und gab der Zelle den ihr eigentlich zukommenden Namen eines »Organismus«.

Infolge der gewaltigen Fortschritte, welche die Zellen- und Gewebelehre in den Sechziger- und Siebzigerjahren des 19. Jahrhunderts machte, musste etwa 20 Jahre nach Max Schultzens und Brücke's Reform dör Zellentheorie die Definition der Zelle von Flemming in seinem berühmten grossen Werke von 1882 etwas erweitert und verändert werden, hauptsächlich in Betreff des Kerns, über den sich, besonders durch die Entdeckung der Karyokinese im Anfang der Siebzigerjahre (s. u.), die Anschauungen sehr geklärt und vertieft hatten. Flemming's Begriffsbestimmung der Zelle lautet (1882, pag. 72):

»1. Ein abgegrenztes (oder räumlich centrirtes) Klümpchen lebender Substanz, ohne besonders beschaffene Membran, oder mit solcher.«
»2. Im Inneren einen Zellkern enthaltend, d. i. ein abgegrenzter, chemisch besonders beschaffener (nucleinhaltiger) Körper.«
»3. Mit demVermögen, aufgenommene Verbindungen in andere umzusetzen, also mit einem eigenen Stoffwechsel.«
»4. Zur Vermehrung durch Theilung befähigt, oder doch, wenn dies nicht mehr der Fall ist, hervorgegangen durch Theilung aus einem Wesen gleicher Art, welches diese Befähigung hatte.« (»Omnis cellula e cellula« [Virchow]; dieser Satz ist hypothetisch; eine Generatio aequi-voca wird weder primär, noch auch für heute geleugnet.)
»5. Mit besonderen Bauverhältnissen in seiner Substanz und in der des Kerns, derart, dass die Substanzen beider im wesentlichen aus Fäden und Zwischensubstanz zusammengesetzt sind.«
»Dass die letztere Anordnung allen Zellen oder allen Lebenszuständen von Zellen zukommt, ist bis jetzt nicht erwiesen und nur nach Analogie wahrscheinlich zu nennen.«

Heute (1900), nach 18 Jahren, können wir zwar diese Definition im allgemeinen, abgesehen von ganz unwesentlichen Aenderungen, aufrechterhalten, nur würde Verfasser vorschlagen, im ersten Satze statt »Klümpchen« das Wort »Theilchen« zu setzen, sodann Zellprotoplasma und Kern zu trennen, d. h. entsprechend dem heutigen Stande der Lehre vom Aufbau des Protoplasma in Satz 5 vor »Fäden« hinzuzusetzen: »miteinander im Zellkörper meist, im Kern stets netzförmig verbundenen«, hinter dem Worte Fäden: »Körnchen«.


Satz 5 würde also lauten: Mit besonderen Structurverhältnissen in seiner Substanz und in der des Kerns, derart, dass die Substanz des Zellleibes (Cytoplasma) im wesentlichen aus miteinander (meist netzähnlich) verbundenen Fäden, ferner Körnchen und Zwischensubstanz, der Kern aus Netzstructuren, Membran und einem oder mehreren Kernkörnchen besteht. Als sechster Satz wäre schliesslich hinzuzufügen: Mit einem oder zwei im Zellleib nahe dem Kern oder im Kern selbst befindlichen Centrosomen.

Fig. 101 zeigt einige Pflanzenzellen, zur ersten Orientirung und zur Erklärung des Namens Zelle.
Fig. 101 zeigt einige Pflanzenzellen, zur ersten Orientirung und zur Erklärung des Namens Zelle.


Parenchymzellen aus der mittleren Schicht der Wurzelrinde von Fritilloria imperialis. Vergr. 550. (Nach Sachs, Vorlesungen über Pflanzenphysiologie, Fig. 75. Aus Hertwig, Zelle.) ? A sehr junge Zelle, noch ohne Zellsaft. B etwas ältere Zelle, der Zellsaft s bildet im Protoplasma p einzelne Tropfen, zwischen denen Protoplasmawände liegen. C noch ältere Zellen, die Zelle rechts oben durch den Schnitt geöffnet, Zellkern gequollen; k Kern; klc Kernkörperchen; h Membran.


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