Zange: Zeitpunkt

Heilkundelexikon

Zange: Zeitpunkt


Sehr wichtig ist die Frage nach dem Zeitpunkte der Operation; es bestehen darüber sehr verschiedene Ansichten, die ihrerseits wieder auf die Frequenz der Zangenoperation einen wesentlichen Einfluss üben. Manche Autoren legen die Zange erst an, wenn eine Gefahr für Mutter oder Kind bereits eingetreten ist. Zweckmässiger erscheint es, bei bevorstehender Gefahr die Zange anzulegen; freilich ist die Indicationsstellung unter diesem Gesichtspunkte viel schwieriger. Die he vorstehende Gefahr ergiebt sich aus der langen Dauer der Geburt, aus der Zeit des Fruchtwasserabflusses, aus der vorhandenen und vorhanden gewesenen Intensität der Wehen.

Sehr leicht ist es, den Zeitpunkt der Operation zu bestimmen in allen jenen Fällen, in denen irgend ein plötzlich auftretendes, gefahrdrohendes Ereigniss von Seite der Mutter oder des Kindes dann eintritt, wenn die Bedingungen der Zangenoperation bereits erfüllt sind, wenn also der Muttermund verstrichen und der Kopf fixirt erscheint. Es kann aber auch vorkommen, dass die Indication früher eintritt und die Bedingungen noch nicht erfüllt sind. In diesem Falle muss man entweder abwarten, bis die für die Zangenoperation nothwendigen Bedingungen erfüllt sind oder eine andere Entbindungsmethode wählen.

Handelt es sich aber nicht um eine bereits eingetretene Gefahr, sondern um Verzögerung der Geburt ?- sei es durch Wehenschwäche, sei es durch mechanische Hindernisse ?, dann ist es weit schwieriger, den Zeitpunkt der Operation zu bestimmen. Wir werden dann am besten thun, den natürlichen, physiologischen Verlauf der Geburt und die dazu nothwendige Zeit als Basis für unsere Entscheidung zu betrachten. Man kann im allgemeinen annehmen, dass, wenn nach dem Verstrichen sein des Muttermundes ein Zeitraum von 2?3 Stunden vergangen ist, ohne dass die Geburt spontan vollendet wurde, die Indication zur Zangenoperation gegeben sei. Doch auch hier gilt es zu individualisiren; ist nach Ablauf von 2?3 Stunden die Wehenthätigkeit sehr kräftig, wird bei jeder Wehe ein kleiner, aber doch deutlicher Fortschritt der Geburt beobachtet und ist im Augenblick noch keine Gefahr vorhanden, so kann man auch dann noch zuwarten. Sind die mechanischen Hindernisse der Geburt abnorm gross, so wird man ebenfalls
den Wehen einen grösseren Zeitraum zu ihrer Einwirkung gönnen müssen. Es ist gewiss schädlich, die Zange allzu häufig anzuwenden, umsomehr als man weiss, dass die sogenannte »unschädliche Geburtszange«, wie man sie früher bezeichnete, durchaus kein so unschuldiges Instrument ist, als man gemeinhin glaubte.

Sorgfältige Beobachtungen an klinischem Materiale lassen vielmehr den Ausspruch gerechtfertigt erscheinen, dass die Zangenoperation die blutigste aller geburtshilflichen Operationen sei; es wird dies aus der Thatsache klar, dass in etwa 50% aller Zangenoperationen Verletzungen als Scheidenrisse oder Dammrisse zustande kommen. Wenn nun auch diese Thatsache uns zur Vorsicht in der Indicationsstellung mahnen muss, so darf sie uns doch auf der anderen Seite nicht zu einem für Mutter und Kind gleich gefährlichen Zögern verleiten. Die Wahrheit liegt auch hier wie überall in der Mitte. Es mag von diesem Gesichtspunkte aus interessant sein, sich die Statistik grösserer moderner Kliniken bezüglich der Zangenoperation vor Augen zu halten.

Zangenoperationen.
NameJahrgangZahl der Geburten überhauptZahl der ZangenProzent verhältnisSterblichkeit Mutter in Prozent allgemeinan SepsisSterblichkeit Kinder in Prozent lebend entbundengestorbenVerletzungen der Mutter in Prozenten
Ahlfeld1881-18861248433, 52, 3----
Kézmárszky1874-18824491631, 2 2) 9, 67 1) 3, 17 1) 62, 929, 5 1) 49, 2
Winckel (Dresden) 1879-1883500018435, 93, 8 1) ---
Winckel (München) 1883-18883500872, 491, 15 2) --15-
Gusserow1882-188661851652, 666, 21, 890, 29, 7-
Schauta (Insbruck) 1881-188721832009, 16 1) 1, 5 2) 0, 5 2) -4, 6 2) 43, 4
Leopold1883-188873222062, 83, 4-831285
Sutugin-445724169, 9 1) --18, 8-
Hecker1859-1879172204462, 69, 4-7326-
Kehrer1884-18891150524, 61, 9--14-
1) Höchste Ziffern. 2) Niederste Ziffern

Wie die obenstehende Tabelle zeigt, schwankt die Frequenz der Zangenoperationen an den verschiedenen Kliniken innerhalb sehr weiter Grenzen, und zwar zwischen 1 und 9%- Von dem Standpunkte der Gefährlichkeit der Zange überhaupt müsste die Zangenoperation immer mehr eingeschränkt werden. Berücksichtigt man aber die Resultate für die Mütter und Kinder, so lehrt auch wieder ein Blick auf die obige Tabelle, dass diejenigen Operateure, welche die geringste Frequenz der Zangen Operation aufzuweisen haben, sehr schlechte Resultate für die Kinder erzielt haben und umgekehrt. Ganz ähnlich verhält es sich auch mit der Mortalität der Mütter. Es ergiebt also auch die Statistik, dass man wohl dem zu häufigen Anlegen der Zange nicht das Wort reden darf, dass ein zu ängstliches Zögern jedoch mindestens ebenso schädlich ist, als ein zu freigebiger Gebrauch der Zange.


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