Zahnwurzelhautentzündung, Periodontitis

Heilkundelexikon

Zahnwurzelhautentzündung, Periodontitis

Zahnwurzelhautentzündung, Periodontitis. Es giebt strenge genommen keine eigene Zahnwurzelhaut. Als solche wird die periostale Auskleidung der Alveole (Alveolarperiost, Alveolodental Membran nach Ch. Tomes) bezeichnet. Die häufigste Ursache der Wurzelhautentzündung ist die Erkrankung der Zahnpulpa. Der Zahn, dessen Wurzelhaut entzündet ist, ist im Gegensatze zu einem mit Pulpitis behafteten Zahne, in welchem Falle der Patient den Schmerz nicht localisiren kann, leicht herauszufinden.
Der Besitzer desselben bezeichnet ihn ganz richtig. Im Anfangsstadium hat der Patient einen dumpfen Schmerz und das Gefühl von Schwere im Zahne. Es gesellen sich hinzu Schmerzhaftigkeit bei Druck in der Richtung der Wurzelachse, ferners Spannung in den umgebenden Weichtheilen. Es kommen alle

Fig. 90: Mahlzahn des Unterkiefers mit Eitersack an der mesialen Wurzelspitze; 
<br />Fig. 91: Mahlzähne mit Granulomen der Wurzelhaut.
Fig. 90: Mahlzahn des Unterkiefers mit Eitersack an der mesialen Wurzelspitze;
Fig. 91: Mahlzähne mit Granulomen der Wurzelhaut.


bekannten Erscheinungen einer Entzündung zustande. Das Oedem der Wangen-haut wird desto bedeutender, je tiefer die Wurzel im Knochen steckt und je weiter die Maschen des Unterhautzellgewebes sind, wie zum Beispiel im Bereiche des unteren Augenlides. Der periostitische Zahn ist infolge Schwellung der Wurzelhaut aus der Alveole gehoben und schmerzt beim Schliessen der Kiefer ganz besonders. Zugleich wird er wackelig und kann so schmerzhaft werden, dass er die Berührung mit der Zunge nicht mehr verträgt. Es kommt zur Abscessbildung. Den subperiostalen Abscess auf der Pacial- oder Palatinalseite des Alveolarfortsatzes nennt man Parulis. Der Wurzelspitze anhängend finden wir häufig den »Eitersack« (Wurzelspitzenabscess, Abscessus apicalis, Arkövy1), welcher eine mit Eiter gefüllte, blind sackartige Abhebung des periostalen Ueberzuges der Wurzelspitze darstellt (Fig. 90). Auf die acute Natur des Abscessus apicalis hat auf Grund klinischer Beobachtungen bereits Arkövy (l. c.) hingewiesen und die chronischen Fälle ähnlichen Aussehens als Granulome oder als Periodontitis chronica apicalis (Fongosites radiculo-dentaires, Malassez) bezeichnet (Fig. 91). Rothmann's2) histoiogische Untersuchungen bestätigen durchwegs diese Ansicht. Gestützt auf die aus seinen Untersuchungen gewonnenen Resultate, erklärt dieser Autor den Abscessus apicalis für ein Entzündungsproduct, welches unter denselben Verhältnissen und wegen derselben Ursachen sich entwickelt, wie die auf die ganze Wurzelhaut sich erstreckende Periodontitis acuta purulenta diffusa. Warum es zu einer Abscessbildung unter dem Perioste der Wurzelspitze und nicht zu einer Infiltration des Gewebes der Wurzelhaut kommt, erklärt Rothmann (1. c.) dahin, dass an der Wurzelspitze das Periost bedeutend stärker ist als in den übrigen Theilen, infolgedessen der sich bildende Eiter nicht das Gewebe der Wurzelhaut infiltrirt, sondern dieselbe vom Zahne loslöst und auf diese Weise zur Bildung des Abscessus apicalis führt.

Chronische Wurzelhautentzündungen führen durch Vereiterung des Wurzelperiosts zu Nekrose der Wurzel, in erster Linie der Wurzelspitze (Nekrosis apicalis, Arkövy [l. c. ]) und sind die Ursache eines chronischen Alveolarabscesses. Dieser ist ein Knochenabscess und hat seinen Sitz in der Spongiosa des Processus alveolaris des Kieferknochens. Der aus der Abscess-höhle abfliessende Eiter findet seinen Weg entweder durch den Pulpacanai desjenigen Zahnes, welcher durch seine Wurzelhauterkrankung die Abscess-bildung verursacht hat oder der Eiter fliesst durch die Alveole entlang der Wurzel ab oder, was am häufigsten der Fall ist, es kommt zur Fistelbildung.

Therapie. Die Conservirung der Wurzel ist bei Wurzelhautentzündung, die im Anschlüsse an Pulpitis totalis entstanden ist, durch die Behandlung der Pulpitis (XIX, pag. 676) möglich. Am schwersten zu behandeln sind die Fälle, in denen die Pulpa zu einem übelriechenden, schmierigen Brei zerfallen ist. Miller's3) bakteriologische Untersuchungen haben ergeben, dass bei diesem Zustande grosse Mengen von lebenden Bakterien durchaus nicht immer vorhanden sind und darum die Intensität der Infection durch eine putride Pulpa nicht lediglich ihrem Gehalte an Bakterien zuzuschreiben ist. vielmehr in hohem Grade von den vorhandenen Fäulnissproducten (Ptomai'nen) abhängig ist. Die operative Behandlung des Zahnes ist die Hauptsache. Daneben verwenden wir zur Unterstützung der Behandlung weitere Hilfsmittel. Der periostkranke
Zahn oder seine Antagonisten werden kürzer geschliffen. Man erhöht den Biss durch Aufsetzen einer Gummikappe auf einen gesunden Zahn. Zur Linderung des Schmerzes legt man Eisstückchen auf die entzündete Alveolarpartie, oder man scarificirt das Zahnfleisch, oder man pinselt auf dasselbe Jodvasogen. Dieses letztere Mittel hat vor der Jodtinctur voraus, dass die Schleimhaut auch nach wiederholten Einpinselungen unbeschädigt bleibt. Dem Patienten kann man ein heisses Fussbad, Abführmittel und Ruhe empfehlen.

Literatur:
1) J. Arkövy, Diagnostik der Zahnkrankheiten. Stuttgart 1885.
2) A. Rothmann, Patho-Histologie der Zahnpulpa und Wurzelhaut. Stuttgart 1889.
3) W. D. Miller, Lehrbuch der conservirenden Zahnheilkunde. Leipzig 1898.

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