Zahnoperationen: Zement

Heilkundelexikon

Zahnoperationen: Zement


2. Die Cemente. Wir unterscheiden drei Gruppen von zur Füllung cariöser Zähne verwendeten Cementen: 1. Die Zinkchlorid-, 2. die Zinksulfat-, 3. die Zinkphosphatcemente. Im Handel bekommen wir alle drei Sorten in kleinen Cartons, die ein Fläschchen Pulver und ein Fläschchen Flüssigkeit enthalten. a) Die Zinkchlorid- (Chlorzink-) Cemente wurden früher sehr viel verwendet. Es existiren einige verschieden benannte Präparate, die aber alle die gleiche Zusammensetzung haben: Das Pulver besteht aus weissem oder gelblich-weissem Zinkoxyd, die Flüssigkeit aus einer Lösung von Chlorzink; mischt man ein Quantum von beiden, so erhält man eine plastische, bald härtende Masse. Man verwendete diese Masse früher für alle Fälle, wo wir jetzt die Phosphatcemente benutzen; dann auch vor allem zum Ueberkappen freigelegter Pulpen, wozu es aber seiner ätzenden Eigenschaften wegen absolut ungeeignet ist.

Heute wird das Material überhaupt wenig mehr, höchstens zur Ausfüllung der Wurzelcanäle und eventuell als temporäre Füllung in weichen Zähnen, namentlich Milchzähnen verwendet; bei letzteren zuweilen auch bei freiliegenden Pulpen, wenn wir die Absicht haben, diese abzutödten. Für alle anderen Zwecke sind die Chlorzinkcemente durch die Zinkphosphate ersetzt worden.

b) Die Gruppe der Zinksulfatcemente wird durch ein einziges Präparat repräsentirt, nämlich durch »Fletcher's artificial dentine« (künstliches Zahnbein, beziehungsweise seine Nachahmungen). Das Präparat besteht aus einem Pulver (calcinirtes Zinksulfat?) und einer Flüssigkeit (wahrscheinlich eine wässerige Lösung von Gummi arabicum mit etwas Glycerin, Borax, einer Spur Laudanum und etwas Carbol); die Flüssigkeit schmeckt schwach nach Carbol und ist nicht ätzend. Mischt man ein wenig Flüssigkeit und Pulver zusammen, so erhält man eine Masse, die ziemlich rasch erhärtet, so dass man sich mit dem Einführen derselben in die Cavität beeilen muss. Das Präparat verdirbt leicht an der Luft, wenn man es nicht gut verkorkt aufbewahrt; im letzteren Falle behält es seine guten Eigenschaften jahrelang bei. Ein verdorbenes oder durch Schmutz verunreinigtes Präparat härtet sehr langsam oder auch gar nicht. Der Pulpa gegenüber verhält sich Fletcher's artificial dentine absolut indifferent, so dass wir freigelegte Pulpen damit überkappen können; der Gehalt an Carbol verleiht ihm vielleicht eine ganz schwache antiseptische Wirkung, die sich eventuell durch Zusatz von Spuren anderer Antiseptica (Nelkenöl etc.) beim Mischen erhöhen lässt.

Wir verwenden Fletcher's artificial dentine (Fletcher's Cement) zu verschiedenen Zwecken: erstens zum Ueberkappen der freigelegten Pulpa. Wie wir später noch sehen werden, sind zu diesem Zwecke eine ganze Reihe von Mitteln vorgeschlagen und angewendet worden; keines eignet sich jodoch in dem gleichen Masse hierfür, als Fletcher's artificial dentine, da dies fast allen Anforderungen entspricht, welche wir an ein Mittel zur Ueberkappung freigelegter Pulpen stellen können. Es lässt sich so einlegen, dass es sich vollkommen adaptirt, ohne dass man dabei den geringsten Druck auszuüben brauchte, und es hat, wie wir vorher schon sahen, keine ätzenden Eigenschaften, wird also die Pulpa nicht reizen.

Die Technik einer solchen Pulpenüberkappung ist folgende. Nachdem die Höhle sorgfältig vorbereitet und in einen aseptischen Zustand versetzt ist (über die Behandlung der freiliegenden Pulpa selbst werden wir später zu sprechen haben), sucht man sich ein Instrument aus, mit dem man recht bequem an die freiliegende Stelle herankommen kann (in den meisten Fällen entspricht ein kleiner Excavator diesem Zweck); dann mischt man eine kleine Quantität des Cements so dünn, dass es beim Aufnehmen mit der Spitze des ausgewählten Instrumentes zu einer kleinen Kugel zusammenläuft, ohne jedoch ganz herabzutropfen. Diesen kleinen Tropfen bringt man dann an die Pulpa heran, wo er von selbst auseinanderläuft und alles gleich-massig überdeckt: die freiliegende Stelle der Pulpa und das umgebende Dentin, ohne dass wir nöthig hätten, die Masse irgendwie mit dem Instrument noch anzudrücken oder die Pulpa mit demselben zu berühren. Das Cement härtet dann, selbst wenn es so dünn angerührt wurde, in kurzer Zeit (wenigen Minuten), wenn das Anrühren nur gründlich geschah, d. h. das Pulver ordentlich mit der Flüssigkeit verrieben wurde (mit Hilfe eines Spatels). War das Cement nicht ordentlich gemischt, so härtet es entweder nur sehr langsam oder gar nicht, sondern bleibt krümelig und weich. Bevor die Kappe hart geworden, darf man an dem
Zahn dann weiter nichts unternehmen.
Das Material wird dann weiterhin verwendet: Zweitens zum Verschluss der Höhle bei Einlagen von Carbol und ähnlichen Mitteln, wenn es sich darum handelt, empfindliches Zahnbein abzustumpfen, oder aber eine länger anhaltende antiseptische Wirkung zu erzielen; dann bei Einlagen von Arsenpasta, wenn man die Pulpa abätzen will. Auch für diese Zwecke giebt es wieder kein besseres Mittel als Pletcher's Cement.

Die Technik einer Carboleinlage oder eines ähnlichen Mittels mit Fletcher's Cementverschluss ist folgende: Ein kleines Wattebäuschchen wird mit dem betreffenden Mittel getränkt und in die Cavität über der Pulpa eingelegt; doch darf man das Bäuschchen nicht allzugross und allzu feucht machen, damit nicht die Ränder der Cavität mit
Watte bedeckt oder feucht sind. Dann mischt man eine entsprechende Quantität Cement zu einer halbdicken Paste, etwas dicker als zum Ueberkappen, und bringt einen Theil davon am besten mit einem nicht zu breiten spateiförmigen Instrument zunächst gegen die eine Wand der Cavität, dann eine zweite Portion an die gegenüberliegende Wand; es gelingt so leicht, das Wattebäuschchen zu fixiren, ohne es von seinem Platze wegzudrücken oder seinen Inhalt auszuquetschen, was störend wirkt und vor allem das Erhärten des Cementes beeinträchtigt. Indem man nun noch weitere Portionen des weichen Cementes einbringt, kann man damit die ganze Höhle ausfüllen; auch hierbei ist ein eigentliches Drücken zu vermeiden und darf man deshalb das Material nicht zu dick anrühren. Bei einiger Uebung gelingt es so leicht, einen vollkommenen Abschluss der Cavität zu erzielen; hat man sich erst einmal mit dem Material vertraut gemacht, so wird man sicher kein anderes mehr wünschen.

Bei dieser Gelegenheit mag auch gleich darauf aufmerksam gemacht werden, dass solche Einlagen von antiseptischen Mitteln absolut zwecklos und unwirksam sind, wenn man das Mittel nicht ganz sorgfältig in der Cavität einschliesst, sondern, wie das so häufig geübt wird, das Carbol-bäuschchen einfach mit einem grösseren Wattebäuschchen bedeckt, welches eventuell in etwas Mastixlösung getränkt ist. Solche Einlagen verlieren schon nach wenigen Stunden ihre Wirksamkeit, da durch den Speichel alles Carbol etc. sehr bald ausgesogen wird; die Watte wird dann bald von Fäulnisskeimen durchsetzt und wirkt dann natürlich nichts weniger als antiseptisch. Arseineinlagen (s. später) werden in gleicher Weise gemacht, wie die eben beschriebenen Carboleinlagen; auch hier benutzt man als Träger des Arzneimittels (der Arsenpaste) ein kleines, meist nur stecknadelkopfgrosses mit etwas Carbol angefeuchtetes Wattebäuschchen und verschliesst in derselben Weise mit Fletchercement.

Man verwendet das Fletchercement mit grossem Vortheil:
Drittens zur Fixation wurzelhautkranker und deshalb gegen jede Berührung ausserordentlich empfindlicher Zähne, wenn diese einer Behandlung unterzogen werden sollen.

Die Behandlung solcher Zähne (s. später) gehört, ohne Anwendung entsprechender Vorsichtsmassregeln, zu den allerschmerzhaftesten Operationen, denn jede leise Berührung mit dem Finger oder einem Instrument macht die heftigsten Beschwerden. Fixirt man aber einen solchen losen Zahn an seine Nachbarn, so dass er sich nicht mehr bewegen kann, so kann man an ihm herumarbeiten, bohren etc. so viel man will, ohne dass der Patient dabei meist eine überhaupt nennenswerthe Empfindung hätte. Man mischt zu diesem Zwecke eine grössere Quantität Fletchercement zu einem weichen Brei und bringt davon die Hälfte mit einem Spatel auf die Zungenseite des zu befestigenden Zahnes und seiner Nachbarn, die andere Hälfte auf deren labiale Flächen, wobei man Sorge trägt, dass das Material auch in die Zwischenräume zwischen den Zähnen kommt, so dass diese nun vollständig im Cement eingebettet sind. Nur die Stelle bleibt frei, von welcher aus man den Zahn behandeln will. Die Behandlung kann dann nach einigen Minuten beginnen (sobald das Cement hart geworden).

Wir verwenden das Fletchercement:

Viertens als Material zur Herstellung von Unterlagen bei Füllungen, die ziemlich nahe an die Pulpa heranreichen, ohne dass letztere freiliegt, so vor allem bei Metallfüllungen (Gold, Amalgam), die ja als gute Wärmeleiter nicht in die Nähe der Pulpa gebracht werden dürfen; dann aber auch bei Füllungen aus Phosphatcement, da dies, wie wir später sehen werden, eine verderbliche Wirkung auf die Pulpa auszuüben imstande ist, selbst wenn noch eine dünne Schicht Zahnbein über derselben liegt.

In solchen Fällen legen wir dann das Material ein in der Weise, dass wir eine entsprechend grosse Quantität ziemlich dick angerührten Fletcher-cementes auf die Zahnbeinpartien über der Pulpa aufbringen, so dass es nur diese bedeckt, die Ränder der Cavität aber frei lässt; denn da wir im Fletchercement ja kein Material für permanente Füllungen haben, dieses vielmehr nach einiger Zeit aufgelöst wird, so würde ja die über dem Fletchercement nun einzulegende Füllung an den Rändern nicht mehr schliessen, wenn hier beim Einlegen Fletchercement hinkam und später dann aufgelöst wurde. Ueber dem nach einigen Minuten hartgewordenen Cement wird dann die eigentliche Füllung bei Verwendung von Amalgam oder Phosphatcement sofort eingeführt; bei Verwendung von Gold oder Zinngold muss man aber erst noch ein härteres Material überlegen, da Fletchercement auch in gut erhärtetem Zustande doch noch zu weich ist, als dass man Gold oder Zinngold darauf condensiren könnte; man legt deshalb hier erst noch eine Schicht Phosphatcement auf. c) Die Zinkphosphatcemente bestehen sowie die Zinkchiorid- und Zinksulfatcemente auch wieder aus einem Pulver und einer Flüssigkeit, die gemischt einen Kitt geben, welcher in einigen Minuten zu einer sehr festen Masse erhärtet. Das Pulver enthält der Hauptsache nach Zinkoxyd, daneben eventuell Calcium-, Magnesium- und Alurainiumoxyd, gelegentlich vielleicht auch noch andere Metalloxyde; die Zusammensetzung variirt bei den verschiedensten Präparaten, von denen es eine ganze Legion giebt (fast jeder Apotheker oder Chemiker »erfindet« heutzutage ein »neues« Cement, wovon jedes natürlich nach den Angaben des Verfertigers das »beste« ist und alle anderen ähnlichen Präparate übertrifft). Noch weniger constant als das Pulver ist die Flüssigkeit zusammengesetzt, die der Hauptsache nach eine ziemlich concentrirte wässerige Lösung verschiedenartiger Phosphorsäuren darstellt und sich in ihrer variirenden Zusammensetzung dann entweder als eine mehr oder weniger dickflüssige Pasta oder aber eine vollkommen steife, eventuell krystallisirte Masse repräsentirt; im letzteren Falle muss dann eine entsprechende Quantität durch Erwärmen erst wieder verflüssigt werden. Durch Aufnahme oder Abgabe von Wassermolecülen können die verschiedenen Phosphorsäuren leicht Umsetzungen erleiden und sind darauf wohl zum grossen Theil die Veränderungen zurückzuführen, welche fast alle Cemente in Bezug auf Gleichmässigkeit in der Verarbeitung zu Füllungen und Haltbarkeit der letzteren zeigen.

Wenn man eine Portion Cement frisch bezieht, so ist dasselbe meist in jeder Beziehung zufriedenstellend und zeigt die eben gerügten schlechten Eigenschaften erst dann, wenn die Flaschen häufiger geöffnet worden sind. Es empfiehlt sich deshalb, dieselben immer möglichst gut verschlossen aufzubewahren, damit nicht Luft, Staub etc. Zutritt haben, und weiterhin natürlich auch gegen directe Verunreinigung durch Eingehen mit feuchten schmutzigen Spateln zu schützen. Namentlich darf man nicht mit dem Spatel erst in die Pulverflasche und dann gleich, ohne ihn abgewischt zu haben, in die Flüssigkeit gehen oder umgekehrt. Zuweilen trennt sich die Flüssigkeit in verschiedene Schichten; es ist dann nothwendig, den ganzen Inhalt durch Eintauchen in heisses Wasser umzuschmelzen und sorgfältig durchzuschütteln. Zum jedesmaligen Gebrauch vermischt man dann eine entsprechende Quantität Pulver und Flüssigkeit mit Hilfe eines festen (nicht federnden) Spatels, am besten aus reinem Nickel auf einer Glasplatte in der Weise, dass man das Pulver allmählich in die Flüssigkeit hineinknetet, respective mit dieser auf das gründlichste verreibt; und zwar soll so viel Pulver zugesetzt werden, bis die Masse anfängt, sich vom Glase abzuschälen, also fast krümelig erscheint. Streicht man diese krümelige Masse dann zusammen und knetet sie sorgfältig in der Hand (zwischen den Spitzen von Daumen und Zeigefinger), so wird sie dann durch die Wärme der Hand sehr schön plastisch und lässt sich nun bequem verarbeiten, ohne am Instrument zu kleben, wie das der Fall ist, wenn man das Cement unvollkommen und zu dünn anrührt (zu wenig Pulver zusetzt).

Es hängt allerdings auch etwas von der Natur des Cementes ab, wie es zu mischen ist. Die verschiedenen Präparate verlangen eine etwas verschiedene Behandlung, für welche die entsprechende Vorschrift mitgegeben wird. Die Phosphatcemente haben alle den grossen Vortheil, dass sie sehr leicht einzuführen sind; dabei werden sie härter als die Chlorzinkcemente und bieten so dem Masticationsdruck mehr Widerstand. Auch lässt sich die Farbe des Materials durch Zusatz geeigneter Farbstoffe (Eisenoxyd, Braunstein, Ocker etc.) zu dem Pulver so modificiren, dass sie den verschiedensten Zahnfarben ausserordentlich nahe kommt, wenngleich eine fertige Füllung doch immer etwas von der Zahnmasse absticht, weil ihr die Transparenz fehlt.

Als weiterer Vortheil kommt dann noch hinzu, dass die Phosphatcemente schlechte Wärmeleiter sind. Diesen Vortheilen gegenüber hat aber das Material auch recht schwerwiegende Nachtheile; nämlich: 1. eine sehr ausgesprochene Empfindlichkeit gegen Feuchtigkeit; 2. eine nur sehr geringe Widerstandsfähigkeit den auflösenden Eigenschaften der Mundflüssigkeiten gegenüber. Diese Uebelstände kommen gerade dort zur Geltung, wo wir die Cemente besonders gut gebrauchen könnten; in kleinen Höhlen mit festen Wänden hält sich Phosphatcement meist sehr gut; bei grossen, tiefgehenden Cavitäten namentlich an den Approximalflachen hinterer Zähne, wo es sehr schwer oder unmöglich ist, mit Gold ordentlich anzukommen und wo wir deshalb gern zu einem leichter einfuhrbaren Material greifen würden, ist dagegen seine Verwendung absolut unzuverlässig. Meist ist die Halspartie solcher Füllungen schon in wenigen Wochen aufgelöst; und auch an anderen Stellen kann man eine solche Auflösung beobachten, namentlich wenn es nicht möglich war, das Material absolut trocken einzuführen. Eine Cementfüllung, ohne Cofferdam gelegt, hat in der grossen Mehrzahl der Fälle überhaupt keinen Zweck, da sie kaum einige Monate hält; die Höhle muss unter allen Umständen trocken gehalten werden, da bei Zutritt von Feuchtigkeit (am Zahnhalse, bei feuchten Dentinwänden) das Material spröde, respective krümelig wird, nicht ordentlich erhärtet und sich sehr rasch in den Mundflüssigkeiten löst.

Das Material scheint namentlich gegen die Gährungsproducte, die sich an den Zahnhälsen ansammeln, in hohem Grade empfindlich zu sein, wie aus dem Umstände zu entnehmen ist, dass die meisten Phosphatcementfüllungen an solchen Stellen sehr leicht gelöst werden, wo sich erfahrungsgemäss lebhafte Gährungsvorgänge abspielen, so dass dann schon nach wenigen Wochen oder Monaten secundäre Caries eintritt. Sehr häufig können wir Fälle beobachten, wo der Patient über Schmerzen in einem Zahn klagt, der vor nicht langer Zeit mit Phosphatcement gefüllt wurde. Auf den ersten Blick scheint die Füllung vollkommen intact zu sein, untersuchen wir aber genauer, so ist der Cervicaltheii meist aufgelöst und gestattet der untersuchenden Sonde ein unbehindertes Eindringen, oft bis fast zur Pulpa. Füllungen auf Kauflächen halten dagegen oft viele Jahre lang ausserordentlich schön und gut.

Neuerdings wurde darauf hingewiesen, dass manche Cementsorten sich auch contrahiren.

Bei aller Ueberlegenheit den Chlorzinkcementen gegenüber zeigen also die Zinkphosphate doch eine solche Anzahl schlechter Eigenschaften, dass wir nur möglichst wenig Gebrauch von ihnen machen sollten; wenn es die Umstände sonst zulassen, werden wir Cement deshalb nur verwenden in Frontzähnen, wo Gold aus irgend einem Grunde contraindicirt ist, da wir hier ja auch Amalgam seiner ungeeigneten Farbe wegen nicht anwenden dürfen. Doch zwingen uns die Umstände mitunter, es auch in anderen Fällen zu verwenden, so bei grossen Höhlen mit dünnen Wänden und bei schwer erreichbaren Cavitäten, wo wir Unterschnitte zur Befestigung einer Goldfüllung anzubringen nicht imstande sind. Da das Cement an der trockenen Zahnbeinwand leicht und gut adhärirt, brauchen wir bei seiner Verwendung die Cavität überhaupt nicht zu unterschneiden.

Andererseits dürfen wir uns aber auf die adhärirenden Eigenschaften des Cementes nicht zu sehr verlassen und nicht etwa versuchen, dünne Wände damit vor dem Abspringen bewahren zu wollen, dass wir sie mit einer Cementfüllung festhalten.

Das Material wurde dann auch zur Ueberkappung freigelegter Pulpen empfohlen, allerdings nur von wenigen. Es kann davon nur ganz entschieden abgerathen werden; einmal hat es vor dem zu diesem Zwecke so vorzüglich geeigneten Fletchercement nicht nur nichts voraus, sondern steht ihm in Bezug auf leichte Verarbeitung und Adaptionsvermögen noch ganz bedeutend nach; dann aber geben alle Phosphatcemente bei Berührung mit feuchten Körpern (Pulpa, poröses feuchtes Zahnbein) leicht etwas freie Phosphorsäure an diese ab, da wir ja beim Anreiben der Cemente keine Rücksicht auf die chemischen Verhältnisse nehmen, in welchen sich Flüssigkeit und Pulver des Cementes wirklich binden, sondern einfach nach Gutdünken mischen, wobei selten alle Säure gesättigt wird. So sind die Phosphatcemente, wie wir später noch sehen werden, imstande, eine Aetzwirkung auszuüben, die häufig genug so stark ist, dass die Pulpa unter der Füllung abstirbt, beziehungsweise dass eine totale Entzündung derselben mit Ausgang in Gangrän eintritt. Bei Besprechung des Fletchercementes wurde schon auf diesen Umstand hingewiesen und empfohlen, in solchen Fällen, wo die Cavität bis in die Nähe der Pulpa geht, eine Unterlage von Fletchercement zu machen und darüber erst Phosphatcement zu füllen.

Die Versuchung ist meist gross, Phosphatcement auch da anzuwenden, wo es eigentlich nicht am Platze ist; so bei grossen Cavitäten an Bicuspidaten und Molaren, wo Amalgam oder Zinngold sich immer eher eignen, natürlich aber eine etwas sorgsamere Präparation der Höhle verlangen. In Frontzähnen müssen wir häufig auf Wunsch der Patienten Cement an Stelle von Gold nehmen, da ihnen die Farbe und der Preis des letzteren oft nicht conveniren. Phosphatcement findet mit Vortheil Verwendung zu Füllungen mehr provisorischer Natur, also in Milchzähnen und bleibenden Zähnen, bei denen wir den Wurzelcanal behandelt haben; " hier wird es immer gut sein, mit der Einführung einer dauerhaften (Gold-) Füllung einige Monate lang zu warten, um zu sehen, ob die Wurzelhaut auch gesund bleibt.

Aus zur Befestigung von Stiftzähnen wird das Material viel verwendet, obwohl es sich bei dieser Verwendung nur ziemlich bewährt, jedenfalls nicht so gut wie die zum gleichen Zwecke verwendete Guttapercha. Ein Mittel zur Befestigung der Stiftzähne soll so beschaffen sein, dass es dem eingesetzten
Zahn nach Möglichkeit eine geringe Bewegungsfähigkeit gestattet; sonst kommt es leicht vor, dass die Porzellankrone des Stiftzahnes zersprengt, beziehungsweise weggebissen wird und nur der Stift im Canal zurückbleibt, der dann recht schwer zu entfernen ist. Ist das Befestigungsmittel etwas nachgiebig, elastisch, wie z. B. die Guttapercha, so wird ein solcher Uebelstand nicht so leicht eintreten können. Man kommt deshalb von der Benutzung der Phosphate zu diesem Zwecke mehr und mehr ab; ebenso von ihrer Verwendung zu Wurzelfüllungen, wofür immer noch einige plaidiren. Auch hierfür ist die Guttapercha oder das Chlorzinkcement entschieden viel geeigneter, wie man sich leicht durch einige Versuche überzeugen kann; während es ein Leichtes ist, die letztgenannten Materialien in den Wurzelcanal einzuführen, bietet die Einführung von dünn angerührtem Phosphatcement meist recht grosse Schwierigkeiten; das Material haftet wohl sehr gut am Instrument, um so schlechter aber dafür an den Canal-wänden, wenn diese nicht absolut trocken sind.

Zur Befestigung von Porzellan- und Glasfüllungen verwenden wir Cement mit Vortheil; auch zur Befestigung von Kronen, Brückenarbeiten und eventuell von Vorrichtungen zu Richtzwecken (Goldbändern etc.).

Dann wurde Phosphatcement empfohlen als Unterlage bei Amalgamfüllungen, beziehungsweise zur Befestigung dieser, wenn die Cavität zu flach und schwer erreichbar, so dass man nicht imstande ist, Unterschnitte anzulegen. Man füllt dann erst etwas weiches Phosphatcement ein und bringt sogleich ein Stückchen Amalgam darauf, beziehungsweise drückt es in das weiche Cement hinein; nach dem Härten des Cementes füllt man dann mit Amalgam weiter. Das Cement bewirkt dann durch Adhäsion den Halt der Fällung an der Zahnwand, das Amalgam wird im Cement gehalten. Die Erfahrung über diese Art combinirter Füllungen ist bis jetzt noch keine so grosse, um ein definitives Urtheil über ihre Brauchbarkeit zu gestatten; doch scheint die Methode empfehlenswerth und dürfte jedenfalls werth sein, weiter versucht zu werden. In ähnlicher Weise wird Phosphatcement auch als Unterlage, beziehungsweise zur Befestigung von Goldfüllungen empfohlen, in flachen Höhlen namentlich, wenn das Dentin zu schmerzhaft, um das Anlegen von Unterschnitten zu gestatten. Man bringt etwas von einem rasch hart werdenden und möglichst zähen, nicht bröckelnden Cement auf den Boden der Cavität (das Cement muss ziemlich weich angerührt werden, damit es gut an der Zahnwand klebt) und drückt dann gleich ein grösseres Stückchen cohäsives Gold in das weiche Cement hinein, jedoch vorsichtig, damit das Stückchen nicht vollkommen vom Cement eingehüllt wird. Nach Erhärten des Phosphatcementes wird dann condensirt und mit Gold weiter gefüllt.

Ein grosser Nachtheil der Cementfüllungen ist die rasche Abnützung besonders an den Approximalflächen, wenn zugleich ein Theil der Kaukante fehlt.

In der Absicht, diese schnelle Abnützung der Phosphatcemente etwas zu verhindern, hat man in verschiedener Weise versucht, das Cement mit Metall zu vereinigen und es dadurch härter zu machen. Die Hauptmethoden hierfür sind folgende:

1. Man fügt dem Cement beim Anrühren Metallspäne (Amalgamfeilung u. dergl.) bei, diese verbinden sich mit dem Cement ziemlich gut, indem sie von der Säure etwas angeätzt und rauh werden, so dass das Ganze nachher eine ziemlich homogene Masse bildet. Die Methode wird namentlich in Amerika viel geübt, während in Deutschland die folgende mehr Anhänger hat.
2. Man präparirt Amalgam in der gewöhnlichen Weise, wie man es zur Füllung verarbeitet, doch nicht mit zu viel und auch nicht mit zu wenig Quecksilber (ist ein Ueberschuss von Quecksilber vorhanden, so wird die Combination nachher nicht ordentlich hart, ist zu wenig da, so wird alles bröckelig und die verschiedenen Theile verbinden sich nachher beim Ver mischen mit Cement nicht). Dann rührt man Cement an, ebenfalls in der Weise, wie man es für eine Füllung braucht, und knetet nun das angerührte Amalgam in das angerührte Cement mit einem kräftigen Spatel hinein, etwa gleiche Theile Amalgam und Cement oder etwas mehr von letzterem. Die combinirte Masse bildet ein sehr schön homogenes Gemenge; wenn Klagen darüber laut wurden, dass die Oberfläche von daraus hergestellten Füllungen durch Auflösen des Cement es der obersten Schichten sehr bald rauh würden, so muss das auf eine ungenügende Vermischung beider Materialien bezogen werden; die Abnutzung ist eine vollkommen gleichmässige und die Ober fläche bleibt dabei immer glatt, fast so wie bei reinen Cementfüllungen. wenn die Mischung vorschriftsmässig hergestellt wird.
Dies »Cementamalgam« hat vor dem Cement den grossen Vorzug, dass es sich nicht so schnell abnutzt als dieses, vor dem Amalgam den Vorzug, dass es besser an den Cavitätenwänden haftet und dass es weiterhin nicht ein so guter Wärmeleiter ist. Wir verwenden deshalb Cementamalgam mit Vorliebe in solchen Cavitäten an Backenzähnen, wo wir eventuell geneigt wären, Cement zu verwenden, und dürfen dann erwarten, bessere Resultate zu erzielen als mit Cement allein. Allerdings ist die Erfahrung über die wirkliche Brauchbarkeit derartig combinirter Füllungsmaterialien noch keine langjährige, doch ist man im allgemeinen mit den bis jetzt gewonnenen Resultaten zufrieden. So wie Phosphatcement darf auch Amalgamcement nur in absolut trocken gehaltene Cavitäten eingebracht werden.

Ganz neuerdings wird unter dem Namen »Binolith« ein Cementpräparat in den Handel gebracht, bei welchem das Pulver mit Metallfeilung durchsetzt ist, die Pasta zugleich Quecksilber enthält, so dass sich beim Verreiben Cement und Amalgam nebeneinander bilden.


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Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem Text auf dieser Seite um einen Auszug aus einem über hundert Jahre alten Fachbuch der Medizin handelt.
So entsprechen vor allem die genannten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen nicht dem aktuellen Stand der Medizin, die Anwendung kann nicht nur die Diagnose einer Erkrankung verzögern, sondern auch direkt den Körper schädigen.

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