Zahnoperationen: Wurzelkanäle

Heilkundelexikon

Zahnoperationen: Wurzelkanäle


Das Füllen der Wurzelcanäle.

So ziemlich alle Füllungsmaterialien, die uns für cariöse Höhlen zu-gebote stehen, wurden und werden auch zur Füllung der Wurzelcanäle empfohlen und noch einige andere dazu; die Wahl wird deshalb anscheinend ein bisschen schwer.

Wir können auch hier wieder einige allgemein zu beachtende Punkte aufstellen, welche für Wurzelcanalfüllungsmaterialien in Betracht kommen. Die erwünschten Eigenschaften sind:

das Material darf nicht fäulnissfähig sein, denn ein Material, welches selbst faulen kann, ist ja natürlich nicht besser als die Pulpa; das Material muss antiseptisch sein und diese Eigenschaft möglichst lange behalten; es muss leicht einführbar sein und sich auch leicht wieder entfernen lassen, wenn die Behandlung nicht gelingt und eine auftretende Pericementitis eine Entfernung der Füllung nöthig macht. Von den vielen empfohlenen Materialien, welche diese Eigenschaften ganz oder theilweise besitzen, mag in erster Linie die
Watte Erwähnung finden. Watte wird schon seit jeher für diesen Zweck gebraucht, rein oder mit einem Antisepticum getränkt, und zwar gewöhnlich mit einem Anti-septicum, welches nachhaltiger wirkt wie Carbol; die ätherischen Oele finden hier vor allem Verwendung. Das Einführen der Watte kann so geschehen, dass man einige Fasern zu einem dünnen losen Faden zusammendreht, diesen mit der Pincette an den Wurzelcanal heranbringt und nun mit einer feinen Sonde des andere Ende des Fadens fasst und denselben bis zur Wurzelspitze stopft. Das ist nicht immer leicht, namentlich nicht, wenn der betreffende Canal eng und gewunden ist; jedenfalls thut man gut, erst zu versuchen, ob man mit der Sonde auch überall hinkommt. Besser und schneller kommt man meist zum Ziel, wenn man die Wattefasern auf eine Miller'sche Nadel wickelt, die aber ganz glatt sein muss (ohne Rostflecken!) und nicht geknickt und verbogen sein darf; durch leichtes Hin- und Herschieben auf derselben macht man dann die Watte leicht beweglich, führt sie so nach Eintauchen in die antiseptische Flüssigkeit mitsammt der Nadel in den Wurzelcanal ein, gleich bis zur Spitze vorgehend, zieht man die Nadel langsam zurück, so bleibt die Watte im Canal stecken und kann leicht durch einige stopfende Bewegungen, die man während des langsamen Herausziehens mit der Nadel macht, leicht und gut bis zur. Wurzelspitze vorgeschoben und gedichtet werden, soweit dies erforderlich. Es gehört allerdings etwas Uebung dazu, in dieser Weise schnell zum Ziel zu kommen; die Watte darf nicht zu fest auf der Nadel sitzen, sonst kommt sie beim Herausziehen derselben auch wieder heraus; sie darf aber auch nicht zu lose aufgerollt sein, sonst sticht man sie beim Versuch, sie in den Canal einzuführen, leicht durch und kommt nur mit der Nadel in den Canal, während die Watte draussen bleibt. Um das letztere zu vermeiden, ist es gut, die Watte an der Spitze etwas fester zu drehen. Verkehrt ist es, Nadel und Watte einzuführen und erstere herauszuziehen, während man durch Vorhalten der Pincette oder irgend eines anderen Instrumentes verhindert, dass auch die Watte herausrutscht. Ein solches Vorgehen ist nur dann nöthig, wenn man die Watte nicht lose genug aufgelegt hat, und ist zu verwerfen deshalb, weil die Watte hierbei doch aus der Wurzelspitze wieder herausgezogen wird und im Ein gange des Canales sich zusammenballt. Eingehende Uebung der kleinen Manipulation an extrahirten Zähnen kann nicht dringend genug empfohlen werden. Vor allem darf man nicht zu viel Watte auf einmal einführen; versucht man mit einer dicken Lage gleich den ganzen Canal auszustopfen, so wird dies wohl immer misslingen. Man füllt erst einen ganz dünnen Faden in die Spitze, dann einen zweiten, dritten etc., die allmählich dicker gehalten werden, bis der Canal zu etwa zwei Drittel ausgefüllt ist; das letzte Drittel und der Raum der eigentlichen Pulpenkammer wird dann zweckmässig (nach vorherigem Austrocknen) mit Guttapercha gefüllt. Dieses Beenden mit Guttapercha hat den Zweck, den Canal ein- für allemal dicht abzuschliessen, so dass, wenn etwa die in die Cavität eingebrachte Füllung einmal schadhaft werden oder herausfallen sollte und der Patient vielleicht nicht gleich Gelegenheit hat, sie erneuern zu lassen, doch die Canäle immer noch wasserdicht verschlossen sind und es nicht zur Zersetzung durch eindringende Flüssigkeit etc. kommen kann. In die Pulpenkammer soll aus diesem Grunde die Watte nie hineinragen, um nicht einen wirklich dichten Abschluss durch Guttapercha zu verhindern.

Nach dem Abfüllen der Canäle und der Pulpenkammer wird dann die eigentliche Cavität gefüllt, wie es der betreffende Fall gerade wünschens-werth erscheinen lässt.

Ueber die Vorzüge und Nachtheile der Watte als Füllungsmaterial für Wurzelcanäle hat man lange discutirt und immer noch sind die Ansichten darüber getheilt. So wie jede andere Methode hat auch die Verwendung von Watte ihre Vortheile und ihre Nachtheile; im allgemeinen Jedoch wird man mit ihr bei richtiger Anwendung durchaus und besser zufrieden sein als mit irgend einer anderen Methode. Direct behaupten zu wollen, dass Watte zweifellos das beste Material zur Ausfüllung aller Wurzelcanäle sei und man deshalb von der Verwendung anderer Materialien füglich absehen könne wäre allerdings zu weit gegangen, denn auch die Watte hat ihre grossen Schattenseiten. Ist das Poramen apicale breit und gross, so saugt die Watte leicht Secrete der vielleicht noch nicht ganz zur Norm zurückgekehrten Wurzelhaut auf, die, wenn das Antisepticum seine Wirkung eingebüsst hat in Zersetzung übergehen können. So kommt es dann, dass ein solcher Zahn nach kürzerer oder längerer Zeit, eventuell erst nach mehreren Jahren, doch wieder Ursache und Sitz einer pericementitischen Reizung werden kann und eine Nachbehandlung erfordert. Ein Material, welches die Secrete nicht auf-saugt, eignet sich dann natürlich für solche Fälle besser als Watte.

Welches Antisepticum man mit der Watte anwendet, ist ziemlich gleich-gültig, nur sollte man ein solches auswählen, welches nicht so leicht diffun-dirt und deshalb länger wirkt als Carbol. Wurzelfüllungen, aus Watte und Carbol bestehend, functioniren oft einige Jahre recht gut; allmählich ver-lieren sie aber ihre antiseptischen Eigenschaften und es kommt eventuell dann doch zu Zersetzungsvorgängen und durch diese zu leichten Peri-cementiten, mitunter allerdings erst nach Jahren. Jedes andere Antisepticum, welches nicht so leicht löslich ist, verdient für solche Fälle dann entschieden den Vorzug, sei es Zimmtöl, Eucalyptusöl, Salicylsäure, Thymol oder dergl.

Guttapercha als Material zur Wurzelfüllung wurde und wird viel gebraucht in der Weise, dass man kleine Stückchen abschneidet, erwärmt und mit einer feinen, steifen, glatt abgeschnittenen Sonde in den Canal hineinstopft. Oder man braucht das Material so, dass man eine kleine Quantität zwischen den Fingern zu einer feinen Spitze dreht; eine solche Spitze lässt sich dann leichter einführen als eckige Stückchen. Die Spitzen werden auch, um die Sache bequemer zu machen, fabriksmässig hergestellt (S. S. White's Nerve canal points) in verschiedenen Längen und Stärken, den variirenden Durchmessern der Canäle entsprechend; beim Gebrauch taucht man dann eine der Weite und Länge des Canales entsprechende Spitze auf einen Augenblick in irgend ein Material, welches Guttapercha löst (Chloro-form, Eucalyptusöl, Cajeputöl etc.), nur so lange, dass die Oberfläche eben erweicht wird; die Spitze haftet dann im Canal, wenn das Lösungsmittel eingetrocknet, beziehungsweise vom Zahngewebe aufgesogen ist. Die Verwen-dung von Guttapercha in dieser Weise empfiehlt sich sehr; man kann da-mit eine sicher ebenso gute Wurzelfüllung als mit Watte herstellen. Aller-dings ist es nicht leicht, eine solche Canalfüllung im Nothfalle wieder zu entfernen (obwohl auch Watte mitunter recht fest sitzt).

Man hat weiterhin dann Guttapercha auch in Form der sogenannten Chloropercha gebraucht, d. h. als Lösung im Chloroform; ein Tropfen der ziemlich dünnen Lösung wird mit irgend einem Instrument an den Wurzel-canal herangebracht und die Lösung dann mit Hilfe einer Nadel oder dünnen Sonde in die Canäle eingepumpt. Mitunter muss man recht lange pumpen, ehe man bis zur Spitze kommt, und dabei ein bischen fix sein, sonst ver-dunstet das Chloroform, die Lösung wird immer dicker und härter und man kommt überhaupt nicht zum Ziel. Bei Zähnen im Unterkiefer ist es meist sehr leicht, auf diese Weise die Wurzelcanäle auszufüllen, weil das Material ja von selbst das Bestreben hat, in die Canäle zu fliessen; bei oberen Zähnen hat das Verfahren aber zuweilen seine recht grossen Schwierigkeiten.

Die Anhänger der Chloropercha geben diese als das beste Füllungs-mittel aus, welches man überhaupt für Wurzelfüllungen wünschen könne, des-halb, weil das Mittel das Bestreben habe, in alle feinen Vertiefungen der Canäle hineinzufliessen, namentlich wenn man vorher recht sorgfältig aus-getrocknet habe.

Chlorzinkcement wird nächst der Guttapercha viel zu demselben Zweck gebraucht, und zwar in zweierlei Weise. Nach der einen stopft oder pumpt man die ziemlich dünn angerührte Mischung in die Canäle hinein, ähnlich wie Chloropercha; das Material wirkt bei der Einführung stark anti-septisch und bildet auch nach dem Erhärten eine stark antiseptisch wirkende Füllung, die ziemlich dicht ist und sich jedenfalls lange nicht so leicht mit Secretstoffon vollsaugt als Watte. In Amerika namentlich wird Zinkoxy-chlorid zu dem vorliegenden Zwecke mehr als irgend etwas anderes ge-braucht. Man hat dabei als Regel aufgestellt, man solle das Material so lange einpumpen, bis man glaubt, dass es bis zur Spitze vorgedrungen sei, dann ein Wattebäuschchen aufdrücken, so dass von dem Material etwas durch das Poramen hindurchgepresst werde (man soll so lange drücken, bis der Patient sich über einen leichten Schmerz beklagt). Das durchgepresste Material verursache dann eine leichte Entzündung, die aber rein chemischer Natur sei und deshalb sehr bald von selbst wieder zurückgehe; immerhin mag es doch nicht so ganz harmlos sein, etwas durch das Foramen zu stopfen, sei dies nun putrider oder nur chemischer Natur.

Die andere Methode des Einfahrens von Zinkoxychlorid in den Wurzel-canal wird in der Weise ausgeführt, dass man Watte mit der sehr dünn angerührten Mischung imprägnirt und diese dann einführt, ähnlich wie man die Watte in Carbol etc. taucht und dann in den Canal stopft und nur mit dem Unterschiede, dass man die Nadel mit der aufgewickelten Watte nicht in Carbol, sondern in dünnen Chlorzinkcementbrei taucht. Das Material lässt sich auf diese Weise sehr leicht einführen und ist eine solche Füllung im Nothfall auch viel leichter wieder zu entfernen, als eine Chlorzinkcement-füllung ohne Watte. So wie Chlorzinkcement kann man auch Fletchercement verwenden und auch mit ihm eine gute Wurzelfüllung herstellen; verlangt man eine besonders kräftige antiseptische Wirkung, so lässt sich diese durch Hinzu-fügen eines geeigneten Antisepticums (Thymol etc.) zum Fletchercementbrei leicht erzielen. Auch Phosphatcement hat man als Material zu Wurzelfüllungen empfohlen, doch hat es vor den eben genannten Cementen absolut nichts voraus, während ihm aber andererseits grosse Mängel anhaften, die Chlorzink-cement und Fletchercement nicht zeigen, wie ein einfacher Versuch damit lehrt. Das Phosphatcement klebt immer sehr fest am Instrument, fast gar nicht an der Zahnwand, so dass wir es beim Versuch, es einzuführen, ge-wöhnlich immer wieder aus dem Canal herausziehen.

Auch Gold, Zinngold, Amalgam, Blei, Holz sind empfohlen worden, was hier lediglich erwähnt sein mag. Endlich hat man weichbleibende anti-septische Pasten in Vorschlag gebracht.

Sind Wurzelcanäle und Pulpenkammer eines Zahnes auf die eine oder andere Weise gefüllt, so kann dann auch die cariöse Höhle verschlossen werden, und zwar in genau derselben Weise, wie wir dies bei Vorhandensein einer intacten Pulpa ausüben würden. Wurde Guttapercha, zum Abfüllen der Pulpenkammer gebraucht, so legt man zweckmässig bei Verwendung von Gold oder Zinngold erst noch eine Schicht Phosphatcement auf, um eine feste Unterlage zum Condensiren des Materials zu haben.


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