Zahnoperationen: Vorbereitung der Cavität

Heilkundelexikon

Zahnoperationen: Vorbereitung der Cavität


Der Grundsatz, welcher dabei in allererster Linie bei allen durch die Caries bedingten (und somit bei der weitaus grössten Anzahl aller Cavi-täten überhaupt) in Frage kommt, ist derselbe, welchen der Chirurg bei seinen Arbeiten befolgt: man muss im Gesunden operiren. Es genügt nicht, alles scheinbar cariöse Zahngewebe zu entfernen, sondern um ganz sicher zu gehen, dass nicht neben oder unter der Füllung wieder Caries auftritt, soll man lieber etwas vom gesunden Zahngewebe mit wegnehmen. Das gilt besonders von den Rändern der Cavität, während man in der Tiefe derselben (Boden der Cavität, womit die der Pulpa aufliegenden Partien verstanden sind) unter Umständen eine Ausnahme machen darf, dann, wenn die Pulpa schon sehr nahe ist und bei Fortnahme alles erweichten Zahngewebes würde freigelegt werden müssen. Hier darf man dann eine dünne Schicht erweichten (nicht zerfallenen!) Dentins als Decke der Pulpa zurücklassen, um letztere zu schützen. Bedingung ist dabei allerdings, diese Schicht auf das Gründlichste durch Carbol etc. zu sterilisiren. Grössere Massen namentlich schon zersetzten, mit Bakterien inficirten Zahnbeins über der Pulpa stehen zu lassen, ist ein schwerer Fehler, der sich meist bald dadurch rächt, dass Reizzustände, Entzündung und Vereiterung der Pulpa unter der Füllung auftreten.

Ein weiterhin zu beachtender Grundsatz ist, die Ränder der Cavität in allen Fällen glatt und fest, nicht dünn und unregelmässig zu gestalten. In ganz besonderem Grade gilt dies für Goldfüllungen, aber auch für alle anderen Materialien. Es ist danach wünschenswerth, bei der Präparation möglichst alle Schmelzpartien zu entfernen, die keine Unterlage von Zahnbein mehr haben, da solcher Schmelz sonst sehr leicht gleich beim Füllen oder kürzere oder längere Zeit nachher abbricht, woraus dann naturgemäss ein Defect zwischen Füllung und Höhlenwand resultirt. Auch müssen die Ränder immer rund gehalten werden, nicht spitzwinklig und scharf, da sie sonst beim Füllen leicht lädirt werden.

Ueber den Gang der einzelnen Operationen beim Verbreiten der Cavitäten gelten auch einige allgemeine Regeln. Das erste ist immer, die Schmelzränder wegzustossen. Jede Cavität wird von weichen, kreideartig verfärbten Schmelzrändern umgeben, welche den Zugang zu derselben erschweren, und müssen diese deshalb zunächst mit sogenannten Schmelzmessern entfernt werden. Man fasst diese Instrumente am besten mit der vollen Hand und stützt dabei mit dem Daumen auf den betreffenden
Zahn oder seinen Nachbar; so vermeidet man am sichersten ein Abrutschen des Instrumentes, wie es leicht vorkommt, wenn man dasselbe schreibfederartig hält, was aber immerhin auch erlaubt ist, wenn es sich um das Abtragen dünner Partien handelt; hierbei stützt man dann mit dem vierten und fünften Finger. Immer ist das Mass der angewendeten Kraft so zu bemessen, dass man, selbst wenn man abgleiten sollte, doch keine Verletzungen der Zahngewebe oder Nachbarorgane zu befürchten hat.

Für gewöhnlich kommt man mit den in Fig. 52 abgebildeten Formen vollständig aus. Grosse Sorgfalt ist darauf zu legen, dass die Meissel immer gehörig scharf sind, um ein zufriedenstellendes Arbeiten zu ermöglichen. Sind die Schmelzränder abgetragen, so wird die eröffnete Höhle mit einer kleinen Spritze (Fig. 53) und blutwarmem
Wasser ausgespritzt und mit einem Wattekügelchen oder weichem Wundschwamm getrocknet. Sodann geht man daran, das cariöse Zahnbein herauszuschneiden, unter Schonung zunächst der Schichten, welche der Pulpa unmittelbar aufliegen.
Fig 52: Schmelzmesser.
Fig 52: Schmelzmesser.


Je nach Form, Grosse und Lage der Höhle richtet sich hierbei die Auswahl der dazu benöthigten »Excavatoren« (Fig. 54) für den betreffenden Fall. Bei grösseren Cavitäten, respective wenn grössere Schichten Dentin zu entfernen sind, ist es immer von Vortheil, löffeiförmig gearbeitete Instrumente zu nehmen, von denen man verschiedene Grossen und verschiedene Biegungen vorräthig halten muss. Bei kleinen Cavitäten gebraucht man mehr hakenförmig über die Fläche oder über die Kante gebogene Instrumente
Fig. 53: Zahnspritze.
Fig. 53: Zahnspritze.

strumente, unter Umständen auch solche mit stark winkliger oder mehr gestreckt verlaufender Biegung. Auch hier muss man wieder verschiedene Stärken haben.

Bezüglich des Scharfhaltens gilt das Vorhergesagte von den Excavatoren in ganz besonderem Grade. Mit scharfen Excavatoren ist es meist leicht, das cariöse Zahnbein bis auf den letzten Rest zu entfernen; Regel ist dabei, dass man immer zuerst die Ränder excavirt und dann erst die Schichten über der Pulpa langsam »abschabt«, um diese nicht anzuschneiden;
man benutzt deshalb auch hier wieder möglichst nur die löffeiförmigen Instrumente, da mit kleinen spitzen Excavatoren eine Verletzung der Pulpa naturgemäss viel leichter zustande kommt.

Auf das Excaviren folgt das Präpariren (Formiren) der Cavität, d. h. man giebt der Höhle eine solche Form, dass ein eingeführtes Füllungsmaterial darin auch Halt zu finden imstande ist. Wie dies zweckmässig zu geschehen hat, werden wird später noch sehen; hier sei nur hervorgehoben, dass man vor allem die Oeffnung (den Eingang) der Höhle nicht zu klein im Verhältniss zu ihrem inneren Raum gestalten darf. Es ist das ein Fehler, der namentlich häufig von Anfängern, aber auch von Vorgeschrittenen gemacht wird, indem sie von der üeberzeugung ausgehen, dass, je enger die Oeffnung, um so schwieriger es für das Füllungsmaterial sein
Fig. 54: Verschiedene Formen von Excavatoren.
Fig. 54: Verschiedene Formen von Excavatoren.

müsse, herauszufallen. Dem ist durchaus nicht so; es wird vielmehr eine Cavität, die cylinderförmig gestaltet ist, bei der also die Wände senkrecht zum Boden stehen, oder die vielleicht an der Basis ein ganz klein wenig weiter ist als am Eingange, in genau derselben Weise eine Füllung zurück zuhalten imstande sein wie eine mehr kugelige Cavität, bei welcher der Eingang gewissermassen ein Loch in der Kugelwandung bildet (Fig. 55). Andererseits wird aber letztere immer den grossen Nachtheil haben, dass es bei ihr meist fast unmöglich ist, das Füllungsmaterial überall ordentlich
Fig. 55.
Fig. 55.

Fig. 56.
Fig. 56.

an die Wände anzupressen, da die Stopfinstrumente die Wände der Höhle zu erreichen nicht überall gut imstande sind, was natürlich eine mangelhafte Condensirung des eingeführten Füllungs-materiales nach sich zieht. Man muss deshalb in allen solchen Fällen die Ränder der Cavität unbedingt so weit abtragen, dass ein gründliches Anpressen des Füllungsmateriales an alte Wände möglich ist.

Weiterhin ist auch die Bildung spitzer Winkel beim Formiren der Höhle zu vermeiden, namentlich an den Rändern. Würde man eine Cavität präpariren, wie in Fig. 56 bei b, also in einem spitzen Winkel auslaufend, so würde es wiederum nicht möglich sein, diesen Winkel solide auszustopfen, d. h. so auszustopfen, dass nicht kleine Hohlräume, und seien sie auch nur mikroskopisch sichtbar, ungefüllt blieben. Um eine solide Füllung herzustellen, wird es vielmehr nöthig sein, den Winkel so breit aufzubohren, dass er eine Form etwa wie bei a annimmt.

Manche benutzen auch zur Präparation der Cavität nur die Excavatoren; schneller und leichter lässt sich aber das harte Zahnbein mit kleinen,
durch die bekannte Bohrmaschine in Rotation versetzen Bohrern von verschiedenster Form und Grosse (Fig. 57) bearbeiten. Sie dienen nur dazu. Zahnbein zu entfernen; will man Schmelzpartien wegbohren, respective nach beendetem Formiren der Cavität die Schmelzränder glätten (finiren), so geschieht dies mit Hilfe der sogenannten Finirer, d. h. besonders fein gehauener Bohrer oder bei grösseren Cavitäten auch mit Hilfe der später noch zu besprechenden kleinen Corundsteine. Runde und birnförmige Finirer eignen sind am besten für die meisten Fälle.

' Bei Cavitäten an den Approximalf lachen kommt man mit Finirern oft nicht gut an; dann leisten dünne Streifen aus Sandpapier oder Schmirgelleinwand (sogenannte Strips) mitunter recht gute Dienste zum Glätten der Ränder. Den Schluss der Vorbereitung der Höhle für die Aufnahme der Füllung macht die gründliche Sterilisation derselben durch ein eingelegtes Antisepti-cum. Concentration des letzteren und Dauer der Einlage richten sich darnach, ob cariöses Zahnbein in der Höhle zurückgelassen wurde oder nicht, ob die Pulpa freigelegt wurde oder noch von einer Schicht Zahnbein bedeckt blieb. Für solche Cavitäten, in denen erweichtes Zahnbein nicht zurückgelassen wurde, genügt das Einlegen eines mit concentrirter Carbolsäure etc. getränkten Wattebäuschchens für die Dauer von 2?5 Minuten; sind Schichten weichen Dentins zurückgeblieben, so ist längeres Einwirken dieser Mittel, am besten für 24 Stunden unter Verschluss mit einem weichen Cement, wie
Fig. 57: Bohrer.
Fig. 57: Bohrer.

Fletcher's artificial dentine (s. später) oder eventuell die Anwendung noch stärkerer Antiseptica am Platze (5%ige alkoholische Lösung von Sublimat). Bei freiliegender Pulpa müssen ätzende Mittel vermieden werden; es finden dann schwächere Mittel (3?5%iges Carbol, Listerine, Zimmtöl etc.) Anwendung, am besten wieder für die Dauer von 1?2 Tagen unter gutem Verschluss der Höhle.

Es genügt durchaus nicht, wie viele glauben, die Höhe nach der Präparation einfach mit etwas 5%iger Carbollösung auszuwaschen, in der Voraussetzung, dass dies genüge, alle zurückgelassenen Bakterien unschädlich zu machen. Selbst concentrirte Carbolsäure braucht Stunden dazu, dickere Schichten cariösen Zahnbeines mit einiger Sicherheit zu sterilisiren. Bei Verwendung 50/oiger alkoholischer Sublimatlösung tritt diese Sterilisation allerdings schon nach einigen Minuten ein; leider müssen wir aber die Anwendung dieses Mittels sehr einschränken, weil mit Sublimat ausgewaschene Zähne sich nachträglich fast immer verfärben, so dass das Mittel nur in hinteren Zähnen, wo eine Verfärbung nicht so auffallend ist, angebracht sein wird. War der kranke
Zahn schon gegen Temperaturwechsel empfindlich. liegt also die Pulpa schon sehr nahe und ist voraussichtlich in irgendwelcher Weise (entzündlich etc.) verändert, so wird es immer gut sein, ein Anti-septicum auf 1?2 Tage unter Verschluss mit Fletcher's artificial dentine einzulegen. Nur so geht man sicher, das infectiöse Dentin genügend unschädlich gemacht zu haben. Erst dann soll die Füllung hergestellt werden.
Man hat auch empfohlen, das cariöse Zahnbein stark auszutrocknen) wLfSS* T f^8^011
Fig. 58: Luftbläser.
Fig. 58: Luftbläser.

complicirter Apparate (mit Wärmekugel, elektrisch erhitzbarer Spirale etc) erscheint damit überflüssig.


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