Zahnoperationen: Pulpaentfernung

Heilkundelexikon

Zahnoperationen: Pulpaentfernung


Die Zerstörung der nicht mehr zu erhaltenden Pulpa.
In den letztgenannten Fällen werden wir deshalb zur Zerstörung des nicht mehr zu erhaltenden Organes schreiten müssen, wobei es in erster Linie darauf ankommt, dasselbe unempfindlich zu machen (abzutödten), um es dann entfernen zu können.

Wir benutzen hierzu, wie schon früher erwähnt, die arsenige Säure in Gestalt einer durch Creosotzusatz etc. erzielten Pasta (Arsenpasta, Aetz-pasta). Man hat mehrfach den Versuch gemacht, andere Mittel dafür zu substituiren, ohne jedoch, dass eines davon imstande gewesen wäre, die arsenige Säure zu verdrängen. So wurden namentlich Chlorzink, Argentum nitricum,
Carboisäure, Kobalt und viele andere Mittel empfohlen. Von ihnen machen wir heutzutage höchstens ausnahmsweise einmal Gebrauch, da nämlich, wo wir Arsen nicht gerne verwenden, vor allem bei Kinderzähnen; denn keines dieser Mittel wirkt so prompt und sicher, als gerade die arsenige Säure.

Wie die Wirkung der letzteren zustande kommt, ist allerdings immer noch ziemlich unklar. Jedenfalls ist die Vorstellung falsch, welcher man zuweilen begegnet, dass das Mittel direct »ätzt«, d. h. also das Gewebe unter Schorfbildung zerstört. Davon ist keine Rede und also der Ausdruck Aetzpasta eigentlich ein ganz unzutreffender. Wir haben uns vielmehr die Wirkung des Arsens so vorzustellen, dass es als starkes Reizmittel eine hochgradige Ueberfüllung der Gefässe der Pulpa herbeiführt, bei welcher es dann (ähnlich wie bei einer Pulpitis acuta totalis) zu einer Abquetschung der Blutgefässe und Nerven im engen Foramen apicale kommt, was natürlich den Tod und damit das Unempfindlichwerden des Organs zur Folge hat. Er erhellt daraus auch, dass ein Absterben (Abquetschen der Blutgefässe) eigentlich nur bei engem Foramen zustande kommen kann, was das Mittel von vornherein ungeeignet erscheinen lässt zur Verwendung bei Zähnen mit weitem Foramen (theilweise resorbirten Zähnen).

Einige allgemeine Regeln müssen bei Verwendung des Arsens beachtet werden; man soll nicht zuviel, sondern nur wenig von der Pasta einbringen; eine stecknadelkopfgrosse Quantität reicht selbst zur Abtödtung einer grossen Molarenpulpa aus; soll man das Mittel nicht bei bestehender hochgradiger Entzündung auflegen, weil die Resultate hier meist mangelhafte sind und nach der Appli-cation starke Schmerzen aufzutreten pflegen; soll man versuchen, die Pasta auch möglichst in directe Berührung mit der Pulpa zu bringen. Manche gehen sogar so weit, dass sie vorschreiben, man müsse zu diesem Zweck die Pulpa in allen Fällen erst ganz gründlich freilegen; das ist nun wohl nicht so absolut nothwendig, namentlich nicht, wenn der
Zahn sehr empfindlich ist und das Freilegen grosse Schmerzen machen würde. Man kann sehr wohl eine Pulpa auch abätzen, wenn sie noch von einer dünnen Schicht Dentin bedeckt ist; allerdings ist die Wirkung dann keine so prompte und zuverlässige, als wenn es gelingt, die Pasta direct auf die Pulpa aufzubringen. Man soll die Einlage stets sehr gründlich verschliessen, damit nichts von der Pasta auf das Zahnfleisch oder die Wurzelhaut gelangen kann; denn wir müssen immer berücksichtigen, dass das Arsen kein ungefährliches Mittel ist. Es ist deshalb auch immer nothwendig, bei der Application den Coffer-dam in Anwendung zu bringen, wobei dann eine Gefahr der Verätzung der Nachbargewebe so gut wie ausgeschlossen ist. Ist Zahnfleisch in die cariöse Höhle hineingewuchert, so muss es natürlich erst entfernt (weggeschnitten oder herausgedrängt) werden.

Als Verschlussmaterial werden wieder die mannigfachsten Mittel empfohlen: in Mastixlösung getränkte Watte, Wachs, Guttapercha, Gips und vieles andere; wir verwenden jetzt hierfür ausschliesslich wieder Fletcher-cement. Wie schon früher ausgeführt, müssen wir bei allen Einlagen in Zähnen mit freiliegenden Pulpen vor allem jeden, auch noch so leisen Druck vermeiden, da dieser immer starke Schmerzen in der empfindlichen Pulpa herbeiführt. Das gelingt aber nur bei Verwendung von ganz weichen Verschlussmaterialien, wie es dünn angerührtes FJetchercement z. B. darstellt. Wenn man, wie dies so häufig geschieht, zum Abschliessen ein zuvor in Mastixlösung getauchtes Wattebäuschchen in die Cavität presst, so kann dies nie ohne einen gewissen Druck geschehen; zudem wird das Bäuschchen nachher quellen und so allmählich immer mehr drücken; auch läuft man leicht Gefahr, bei dem Einpressen etwas von der Pasta aus der Cavität herauszupressen, und endlich ist ein solcher Verschluss nie ganz wasserdicht. Fast immer können wir, wo ein Wattepfropf eingelegt wurde, am nächsten Tage feststellen, dass der Zahnfleischrand etwas geschwellt, respective entzündet und schmerzhaft ist. Auch Wachs und Guttapercha theilen diese schlechten Eigenschaften.

Punkt 2 der obigen Ausführungen verdient unsere besondere Beachtung. Kommt ein Patient, bei dem wir eine Pulpitis acuta totalis dia-gnosticiren müssen, so ist es für ihn nicht gerade angenehm, wenn wir die schon bestehenden starken Schmerzen noch durch die Wirkung der Arsenpasta steigern; ausserdem lehrt die Erfahrung, dass wir uns auf die Wirkung des Arsens nur sehr wenig verlassen können, wenn wir es bei hochgradig blutgefülltem Gewebe in Anwendung bringen. Wir werden deshalb besser nach vorsichtigem Excaviren der Höhle zunächst eine schmerzstillende Einlage machen; meist genügt hierzu die Wirkung von etwas Carbolsäure, oder aber wir verwenden eine Mischung aus Oleum Caryophyllorum 5, 0, Acidum carbolicum 5, 0, Morphinum muriaticum 0, 5 für die Dauer von 24 Stunden (auf Wattebäuschchen unter Pletchercementverschluss) und schreiten erst am nächsten Tage, wenn die Schmerzen und also auch die Entzündung nicht mehr so hochgradig sind, zur Application der Arsenpasta.

Lege artis ausgeführt, gestaltet sich diese dann folgendermassen. Mit einem entsprechend gebogenen breiten Excavator oder mit der Pincette und einem ganz kleinen Wattebäuschchen nimmt man eine kleine Quantität Arsenpasta auf und bringt sie auf die freiliegende Stelle der Pulpa, ohne jedoch dabei irgend welchen Druck auszuüben. Dann nimmt man ein zweites kleines Wattebäuschchen, tränkt es mit Carbolsäure und bringt es (wieder recht vorsichtig) über die Pasta. Das hat den Zweck, die Pasta etwas zu verdünnen und resorptionsfähiger zu machen; manche empfehlen zum gleichen Zwecke, die Pasta an und für sich recht dünn zu halten. Nunmehr wird die Höhle mit weich angerührtem Pletchercement (fast so weich wie zum Ueberkappen!) verschlossen, in der Weise, wie wir es früher kennen gelernt haben, d. h. also, man bringt nicht die ganze Quantität Cement auf einmal in die Cavität ein, sondern streicht erst etwas nach der einen, dann etwas nach der gegenüberliegenden Cavitätenwand, und nun erst den Rest vorsichtig in die Höhle selbst über das Bäuschchen, ohne hierbei auch nur den leisesten Druck auf dasselbe auszuüben. So kann man leicht einen soliden Verschluss machen, ohne die Einlage zu verschieben oder auszuquetschen; bei Approximalcavitäten ist das allerdings mitunter nicht gerade leicht und verlangt fleissige Uebung und Erfahrung.

Schmerzen werden einer Arseneinlage, wenn dieselbe wirklich vor-schriftsmässig gemacht wurde, kaum je folgen; fast immer dagegen, wenn beim Einlegen ein Druck auf die Pulpa ausgeübt wurde. In seltenen Fällen folgen allerdings auch bei Beobachtung aller Vorsichtsmassregeln doch Schmerzen, zuweilen sehr heftiger Natur, die den Patienten stundenlang quälen; deshalb haben wir aber doch nicht nöthig, wie es früher immer empfohlen wurde, den Patienten in jedem Falle Mittheilung zu machen, dass wir ein Mittel zum »Nervtödten« eingelegt haben, und dass er sich deshalb auf 1?2 Stunden heftiger Schmerzen gefasst machen müsse (wie sie unseren älteren Patienten von früher her meist noch in unliebsamer Erinnerung sind). Die Pasta bleibt 24?48 Stunden liegen, und zwar bei jugendlichen Patienten nur einen Tag, bei solchen Personen, die über 30 Jahre alt sind, zwei, eventuell auch drei Tage, weil das Mittel, wenn die Pulpa schon zum Theil ausdentificirt ist, die Wurzeln vielleicht mit Kalksalzen und Dentikeln zum Theil erfüllt sind, nicht so leicht eindringt. Für gewöhnlich ist es nicht weiter schlimm, wenn die Pasta auch einmal etwas über die Zeit liegen bleibt; im allgemeinen empfiehlt es sich jedoch, das Mittel nach spätestens 48 Stunden wieder zu entfernen, denn eine Wirkung über die Wurzel-spitze hinaus ist schliesslich nicht ausgeschlossen, wenn das Mittel zu lange liegen bleibt.

Aus diesem Grunde ist es auch nicht gut, Arsenpasta in die Wurzel-canäle selbst einzubringen, in Fällen also, wo die Hauptmasse der Pulpa schon zerstört, die Wurzelreste derselben aber noch schmerzhaft sind. Hier ist die Gefahr dann ziemlich gross, dass die Wirkung auf die Wurzelhaut übergreift und eine unangenehme Pericementitis hervorruft. Solche Fälle behandeln wir dann besser mit anderen Mitteln (Carbol, Cblorzink etc.).

Die Abtödtung allein genügt uns nicht; wir müssen die abgetödtete Pulpa weiter auch entfernen, um sie so unschädlich zu machen und Infectionen des peri-apicalen Gewebes zu vermeiden. Wir bezeichnen dieses Vorgehen als Behandlung des Wurzelcanales (Wurzelbehandlung).

Um eine Wurzelbehandlung mit Erfolg machen zu können, ist vor allem wieder eine gründliche Kenntniss der anatomischen Verhältnisse erforderlich, d. h. also der Lage und Gestalt der Wurzeln, des Verlaufes und der Weite der Canäle bei den verschiedenen Zähnen.

Eine Anzahl allgemeiner Regeln lassen sich auch wieder für das Vorgehen bei den Wurzelbehandlungen im allgemeinen feststellen. Wir müssen in allen Fällen: 1. einen möglichst guten Zugang zum Canäle, respective zu den Canälen herzustellen suchen, d. h. einen Zugang, der in möglichst gerader Richtung darauf hinläuft. Man kann viel leichter und sicherer im Canäle selbst hantiren, wenn man mit dem Instrument direct in denselben hineinkommt, als wenn man diesem erst allerhand Biegungen etc. ertheilen muss, wie das ja eigentlich selbstverständlich ist. Wir würden also die Frontzähne am besten von der Gaumenseite aus, die Backenzähne von der Kaufläche aus eröffnen, oder aber eine schon an den Approximalflachen vorhandene Höhle nach diesen Richtungen hin erweitern.

Die cariöse Stelle vor dem Aufbohren der Pulpenkammer sehr gründlich säubern, d. h. vollkommen excaviren und ausbohren. Es macht einen sehr schlechten Eindruck, wenn der Operateur schon an die Reinigung der Canäle geht, während die Höhle selbst noch vollkommen verschmutzt ist; dann aber verstösst ein solches Vorgehen, wie wir sehen werden, gegen die ersten Grundsätze eines aseptischen Verfahrens, denn wir laufen immer Gefahr, aus einer solchen Höhle neues infections- und gährungsfähiges Material in die Canäle hineinzubringen. Vermeiden können wir das letztere am besten, wenn wir die Vorschrift befolgen, die Höhle erst vollkommen so zu präpariren, wie wir es zur Aufnahme einer Füllung bei intacter Pulpa thun würden, ehe wir überhaupt daran denken, in die Pulpenkammer einzugehen.

Die so weit präparirte Höhle mit concentrirter Carbolsäure oder dergleichen aufs gründlichste desinficiren, ebenfalls aus dem Grunde, wirklich antiseptisch oder wenigstens aseptisch vorgehen zu können. Alle Störungen, die im Gefolge der Nekrose der Pulpa auftreten, sind durch Bakterien unmittelbar oder mittelbar (ihre Stoffwechselproducte) bedingt; unser ganzes Bestreben muss also auch darauf gerichtet sein, sie auszuschliessen, beziehungsweise unschädlich zu machen. Dass wir also vor allem auch vermeiden müssen, Bakterien in die Canäle einzuführen, die vorher nicht da waren, liegt auf der Hand, und der Einwand, der vor kurzem einmal vorgebracht wurde, in jeder gangränösen Pulpa seien solche Mengen von Bakterien, dass es gar nicht darauf ankomme, noch einige mehr hineinzubringen, steht doch wohl auf recht schwachen Füssen. Es ist absolut verkehrt, nicht mit der grössten Vorsicht vorzugehen und Bakterien und infectionsfähiges Material
unnötigerweise aus einer nicht gereinigten und nicht sterilisirten Höhle in die Wurzelcanäle hineinzubringen; ebenso wie es verkehrt wäre, unreine Instrumente zu verwenden, und mit diesen Speichel oder Schleim, Stückchen von zerfallenem Zahnbein, Detritus etc. zu übertragen.

4. Die Pulpenkammer, nachdem die cariöse Höhle gereinigt und des- inficirt worden, in ihrem grossen Umfange gründlich aufbohren. Am scheusten und besten kommt man hierbei zum Ziel unter Verwendung eines runden (kugeligen) Bohrers von der Grosse, die der Ausdehnung der Pulpenkammer gleichkommt, bei Prontzähnen also von etwa 2?3 Mm., bei Molaren bis zu 5 Mm. Durchmesser. Absolut verkehrt ist es, wie es so häufig geschieht, blos einen Theil der Pulpendecke wegzubohren und dann zu versuchen, die Kammer und die Canäle zu reinigen. Ist die Pulpenkammer, beziehungsweise der Inhalt ausgebohrt, so folgt: auch hier kräftigste Sterilisation mit concentrirter Carbolsäure bei Frontzähnen, eventuell mit 5%iger alkoholischer Sublimatlösung bei Molaren, wenn ein stärkeres Mittel eventuell wünschenswerth erscheint und eine Verfärbung nicht weiter in Betracht kommt, sonst auch hier mit Carbol, und nun erst die Erweiterung der Eingänge in die Wurzelcanäle (beziehungsweise des einen Einganges, wenn nur ein Canal da ist). Man benutzt dazu am
Fig. 77. Gleitbohrer
Fig. 77. Gleitbohrer

besten die sogenannten Wurzelcanal- oder Gleitbohrer (Fig. 77), die sehr fein und biegsam sind; 2?3 ver schiedene Grossen sind erforderlich, um den verschieden weiten Durchmessern der Canäle gerecht zu werden. Bei ihrer Verwendung ist grosse Vorsicht angezeigt, damit der Bohrerkopf nicht im Wurzelcanal abbricht und stecken bleibt, was immer unangenehm ist, da es nur selten gelingt, so einen abgebrochenen Bohrertheil wieder herauszubekommen. Es empfiehlt sich deshalb, die Maschine nicht anhaltend zu drehen, sondern immer nur eine halbe Drehung des Rades vor und zurück zu machen, so dass der Bohrer also nach einer Anzahl Drehungen, die er beim Vorwärtsdrehen des Schwungrades macht, wieder zurückgedreht wird und sich so nicht leicht festklemmen kann. Es genügt vollkommen, in dieser Weise den Eingang des Wurzelcanales etwa 2?3 Mm. hoch zu erweitern, und es ist überflüssig, den Canal selbst bis zum Foramen apicale hinaufzubohren, wie dies zuweilen empfohlen wird; zudem ist das auch meist gar nicht möglich. Ist der Eingang in den Canal weit genug, so ist es meist auch leicht, mit der Nervnadel u. s. w. in den Canal selbst hinein und eventuell bis zum Foramen apicale hinauf zu kommen. Diese sechs Punkte erheischen die gleiche Berücksichtigung in allen Fällen von Behandlung des Wurzelcanales überhaupt, ganz abgesehen davon, in welchem Zustande die Pulpa sich befindet; bis hierher ist die Behandlung immer die gleiche, und erst weiterhin treten Modificationen ein je nach der zeitweiligen Lage des Falles.

Nehmen wir nun zunächst den einfachen Fall einer nicht inficirten Pulpa, einer Pulpa also, die infolge der Application der Arsenpasta oder im Verlaufe einer Pulpitis acuta totalis abgestorben ist.

Wir haben dann die Aufgabe, die Pulpa möglichst in einem Stück zu entfernen. Man versucht dies, indem man nach Erweiterung des Canalein-ganges mit einer gezahnten Nervnadel (sogenanntem Nervextractor) eingeht, durch eine leichte Umdrehung der Nadel die Pulpa aufwickelt und nunmehr herauszieht. Das sagt sich sehr einfach, ist aber nicht immer auch so leicht gethan.

Zunächst sind einige Kleinigkeiten dabei zu beachten. Die Nervextractoren sind, namentlich wenn sie recht schön zart und dünn sind, recht brauchbare, aber auch recht gefährliche Instrumente, da sie vor allem leicht abbrechen. Es empfiehlt sich deshalb, jede Nadel vor der Anwendung erst zu probiren, ob sie sich auch biegen lässt, ohne zu brechen; manche Fabrikate brechen beim geringsten Versuch, sie zu biegen, und sind dann natürlich werthlos. Für die meisten Fälle müssen die Extractoren dann weiterhin sehr dünn sein, um leicht in den Wurzelcanal neben der Pulpa eingeführt werden zu können; die meisten in den Handel gebrachten Nadeln sind viel zu grob. Für grössere Canäle (Wurzeln mittlerer Schneidezähne, Eckzähne und Gaumenwurzel der oberen Molaren) sind dickere Nadeln nothwendig, da die feinen das Pulpengewebe sonst nur zerstechen, ohne ein vollständiges Aufrollen der Pulpa zu ermöglichen.

Es empfiehlt sich, den Extractor, nachdem man ihn in Carbolsäure getaucht hat, langsam und vorsichtig an der Seite des Canales möglichst bis zum Foramen vorzuschieben (d. h. so weit, als es überhaupt geht), dann aber wieder ein klein wenig zurückziehen, um ihn nicht festzuklemmen und nun eine vorsichtige halbe oder ganze Drehung der Nadel auszuführen. Die Anwendung von Gewalt oder ein mehrmaliges Umdrehen der Nadel ist dabei unter allen Umständen von Uebel; entweder bricht die Nadel dabei ab oder sie klemmt sich fest und bricht dann beim Versuch, sie zu lockern. Aus diesem Grunde verdient auch die Methode den Vorzug, den Extractor einfach mit den Fingern zu halten und sie nicht in einen sogenannten Halter zu klemmen, da man naturgemäss viel feiner fühlen kann, wenn man nur die leichte Nadel in den Fingern hat und nicht einen im Verhältniss zu ihr sehr schweren Griff; auf feines Gefühl kommt es hier aber ganz besonders an.

Die Umdrehung der Nadel hat, wie gesagt, den Zweck, die Pulpa auf diese aufzuwickeln; hat man Glück, so gelingt dies gleich das erstemal voll und ganz und man kann dann Nadel und Pulpa herausziehen. Nicht immer geht es aber so glatt; häufig genug bekommt man beim ersten Extractions-versuch gar nichts oder nur ein paar Fasern vom Gewebe der Pulpa heraus und darf sich dann die Mühe nicht verdriessen lassen, zu wiederholten malen einzugehen, bis man zum Ziel gelangt.

Ist die Pulpa ganz entfernt, so hat man nur nöthig, den Canal mit einer glatten (nicht gezähnten) vierkantigen Nervnadel, die man mit einigen Wattefasern umwickelt hat, auszutrocknen, mit einem Antisepticum auszuwischen, und steht dem dann nichts im Wege, sogleich auch die Ausfüllung des Canales und des Zahnes folgen zu lassen. Auch zum Austrocknen und Einbringen des Antisepticums muss man wieder recht dünne Nadeln und recht wenig
Watte nehmen, um ordentlich in die Canäle zu kommen; die »Schweizer Uhrnadeln« empfehlen sich hierzu besonders: glatte, vierkantige, sehr dünne, biegsame Nadeln, die sich leicht mit Watte umwickeln lassen und von denen man die Watte auch ebenso leicht wieder herunterbringt.

So leicht dieses Aufwickeln von Watte bei einiger Uebung ist, so ungeschickt benimmt sich mancher dabei, namentlich wenn nur recht wenig aufgewickelt werden soll. Wenige Fasern sind aber nur erforderlich, ein Zuviel ist in den meisten Fällen direct vom Uebel, namentlich, wie wir später sehen werden, bei der Behandlung von Canälen, die mit putriden Stoffen angefüllt sind, da eine mit viel Watte umwickelte Nadel hier als gut schliessender Spritzen Stempel wirkt und das infectiöse Material durch das Foramen apicale treibt.

Die Behandlung ist, wie bemerkt, im vorliegenden Falle mit der Extraction der Pulpa, Reinigen und Sterilisiren des Canales beendet; es liegt bei derartigen einfachen, nichtcomplicirten Fällen gar kein Grund vor, etwa noch eine weitere Behandlung des Canales mit antiseptischen Mitteln in zweiter und dritter Sitzung folgen zu lassen, wie es zuweilen als erforderlich hingestellt wird; fäulnissfähiges Material und Fäulnisskeime sind nicht mehr im Canai vorhanden, es kann eine nachträgliche Fäulniss also auch nicht auftreten.

Um die Pulpa leichter entfernen zu können, hat man empfohlen, der Arsenapplication eine Tannineinlage folgen zu lassen, dergestalt, dass man nach Herausnahme der Arsenpasta ein Wattebäuschchen, mit Glycerin oder
Wasser befeuchtet und in Tanninpulver getaucht, einbringt und vielleicht eine Woche lang liegen lässt. Die Pulpa wird dadurch »gegerbt«, d. h. in eine zusammenhängendere, derbere Masse verwandelt, die dann leicht in einem Stück extrahirt werden kann. Ueberhaupt gelingt die Extraction der Pulpa meist leichter, wenn man sie nicht gleich am folgenden Tage nach der Arseneinlage versucht, sondern erst einige Tage später; man muss dann aber natürlich durch Einlage eines Antisepticums Sorge tragen, dass sie nicht inzwischen in Fäulniss übergeht. Der Grund ist der, dass bei einer frisch abgetödteten Pulpa die Dentinfortsätze der Odontoblasten noch innig mit dem Dentin (beziehungsweise den Zahnfasern) zusammenhängen, nach mehreren Tagen aber nicht mehr, weil das nekrotische Gewebe inzwischen seine Festigkeit verloren hat.

Man hat auch in verschiedener Richtung versucht, die Entfernung der Pulpa überhaupt zu umgehen, weil dieselbe in vielen Fällen so ausserordent-lich schwierig oder geradezu unmöglich ist, so namentlich bei den Molaren. Es gelingt dies auch thatsächlich bei Befolgung einer Methode, die zurückgelassene Pulpa gegen Fäulniss zu schützen, wie wir sie seit einigen Jahren anwenden. Nachdem die Arseneinlage entfernt und die Cavität mit einem Antisepticum (Carbol etc.) ausgewischt ist, wird der Inhalt der eigentlichen Pulpenkammer (die sogenannte Kronenpulpa) ausgebohrt, nun auf die Wurzelstümpfe der Pulpa eine kleine Sublimatpastille aufgelegt und darüber der Zahn dann in der gewohnten Weise (mit Amalgam etc.) gefüllt. Damit das Füllungsmaterial hierbei nicht in die Canaieingänge gepresst wird und so eventuell verhindern könnte, dass das Sublimat ordentlich zur Wirkung gelangt, legt man zweckmässig eine dickere Lage Zinn- oder Goldfolie über die Pastille und füllt erst dann.

Das Sublimat wirkt in den meisten Fällen durchaus zuverlässig und die Methode hat nur die eine Schattenseite, dass mitunter eine Verfärbung des Zahnes durch das Sublimat auftritt. In Frontzähnen und Bicuspidaten werden wir also von der Verwendung desselben besser absehen; hier können wir ja aber auch in allen Fällen die Pulpa extrahiren.

Zuweilen verursacht eine solche Sublimateinlage eine nach 3?4 Stunden beginnende Reizung der Wurzelhaut; der Zahn bietet am nächsten Tage dann die Symptome einer anscheinend sehr heftigen Pericementitis, die aber immer rein chemischer, nicht infectiöser Natur ist und deshalb nie in Eiterung übergeht, sondern nach 24 oder längstens 48 Stunden von selbst zurückgeht. Als Ursache der Erscheinungen muss ein zu schnelles Vorwärtsdringen des Medicamentes angenommen werden, wie es vor allem zustande kommt, wenn zuviel eingebracht wurde; es empfiehlt sich deshalb, nur recht kleine Quantitäten zu verwenden (3 bis höchstens 5 Mgrm.); auch kann man, um eine allzu rasche Aufsaugung zu verhindern, schwer lösliche Mittel wie Thymol und Tannin zusetzen, etwa wie in folgender Verordnung: Rp. Sublimat, Thymol, Acid. tann. aa. 0, 0035. M. f. pastill. D. tal. dos. Nr... S. Sublimatpastillen. Jede Pastille ist somit circa 1 Cgrm. schwer und enthält 3^2 Mgrm. Sublimat, eine Menge, die vollkommen ausreicht, die Wurzelstümpfe einer Molarenpulpa dauernd vor Fäulnißs zu schützen. Der Zusatz von Thymol dürfte jedenfalls ganz gut sein, da Thymol ein schwerlösliches Mittel ist, welches also recht lange seine auch ziemlich stark antiseptische Wirkung im Zahne auszuüben imstande ist; Tannin dürfte durch seine gerbende Wirkung ebenfalls dazu beitragen, den Zerfall des Gewebes hintanzuhalten. Die Pastillen enthalten nach dieser Vorschrift nur sehr wenig Sublimat (jedoch gerade genügend zur Conservirung), und treten Reizungen wie bei Verwendung grösserer Mengen kaum mehr oder doch nur sehr selten auf. Neuerdings hat man an Stelle des Sublimats vielfach Formol zu gleichen Zwecken empfohlen (mit Thymol etc. in Pastenform).

Sollten Schmerzen oder pericementitische Erscheinungen am nächsten Tage aufgetreten sein, so empfiehlt es sich, zunächst gar nichts dagegen zu machen, sondern ruhig abzuwarten. Eventuell erst nach mehreren Tagen oder noch später auftretende Erscheinungen von Erkrankung der Wurzelhaut müssten die Annahme nahelegen, dass die Sublimatdosis nicht vermocht hat, die Pulpenreste voll und ganz zu conserviren, sondern dass nunmehr Fäulnissvorgänge im Spiele sind und eine Entfernung der Füllung und eventuell die weitere (operative) Behandlung der Canäle erforderlich machen; solche Fälle sind aber sicher nur dann zu erwarten, wenn die Einleitung einer Sublimatbehandlung eigentlich, und zwar deshalb nicht mehr indicirt war, weil die Pulpa vielleicht schon theiiweise zerfallen war und es also sich nicht mehr um wohl entzündetes, aber sonstwie noch nicht verändertes in Zersetzung übergegangenes Gewebe handelte. Wohlgemerkt soll die Sublimatbehandlung nur gemacht werden, wo eine nicht inficirte Pulpa mit Arsen abgeätzt wurde und die Canäle noch mit wirklichem Pulpengewebe, nicht mit zerfallenen Pulpenmassen (Detritus) angefüllt sind; hier ist es immer nur die operative Behandlung (mechanische Entfernung der Pulpenreste) und nachher folgende gründlichste Sterilisation (s. unten) am Platze.


Hinweis:
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem Text auf dieser Seite um einen Auszug aus einem über hundert Jahre alten Fachbuch der Medizin handelt.
So entsprechen vor allem die genannten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen nicht dem aktuellen Stand der Medizin, die Anwendung kann nicht nur die Diagnose einer Erkrankung verzögern, sondern auch direkt den Körper schädigen.

Hinweis: Der Text auf dieser Seite entstammt einem über einhundert Jahre alten Fachbuch. Daher entsprechen die gemachten Angaben nicht dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Verwenden Sie niemals die angegebenen Rezepturen und Heilmethoden, da sie gesundheitsgefährdend seien können.