Zahnoperationen: Glas und Porzellan

Heilkundelexikon

Zahnoperationen: Glas und Porzellan


4. Glas und Porzellan. Alle bis jetzt angeführten Füllungsmaterialien zeigten den Uebelstand, dass sie für manche Fälle gar nicht geeignet sind. Namentlich bei Cavitäten an den Frontzähnen, besonders bei Damen, kommen wir häufig in grosse Verlegenheit, wenn wir ein Material auswählen sollen, welches gut aussieht und dabei auch zuverlässig in Bezug auf Haltbarkeit ist. Von der Verwendung des Goldes müssen wir hier oft genug absehen, weil unsere Patienten gegen ein in Farbe so auffallendes Material protestiren; vom Cement wissen wir, dass es sich nicht hält und dass es auch meist nicht gerade elegant aussieht.
Schon vor Jahrzehnten kam man auf die Idee, in solchen Fällen, wo es ganz besonders auf gutes Aussehen der Füllung ankommt, Glas oder Porzellan als Füllungsmaterial anzuwenden, indem man Stückchen davon entsprechend zuschliff und mit Cement in den betreffenden Cavitäten befestigte. Später versuchten dann einige die Methode der Verwendung von Porzellan zu Füllungen dadurch zu verallgemeinern, dass sie die Masse für den betreffenden Fall in einem Abdruck schmolzen, beziehungsweise zum Backen brachten. Jedoch hatte die von ihnen vorgeschlagene Composition einen so hohen Schmelzpunkt, dass das Verfahren der mit seiner Ausübung verbundenen grossen technischen Schwierigkeiten halber eigentlich nie so recht in Fluss kommen wollte. Man suchte nach Materialien, die sich leichter verarbeiten Hessen, und empfahl u. a. Milchglas, welches man durch Pulveri-siren kleiner Stückchen einer zerbrochenen Lampenglocke gewinnt. Das Zerreiben muss sehr gründlich geschehen und das Pulver dann noch einigemale mit
Wasser geschlemmt werden, um ein gleichmässig feines Material zu bekommen, das getrocknet und zum Gebrauch in einer kleinen Flasche aufbewahrt wird. In gleicher Weise aus braunen, blauen und grünen Medicin-flaschen hergestelltes gefärbtes Glaspulver diente zur Mischung gewünschter Farbennuancen. Noch leichter schmelzbare Giaspuiver sind seit einer Reihe von Jahren fertig präparirt im Handel zu beziehen, meist in Cartons, welche eine Reihe von Fläschchen mit Glaspulver in verschiedenen (6?10) Farben enthalten mit Beigabe einer Farbentafel, nach welcher man einfach die gewünschte Nuance auswählt und somit nicht nothwendig hat, sie für den einzelnen Fall jedesmal erst durch besondere Mischung und Brennversuch festzustellen. Unbedingt nothwendig ist dabei nur, bei der Verarbeitung des Materials jede Verunreinigung durch organische Substanzen, und sei es auch nur in Spuren, zu vermeiden, mit anderen Worten, ausserordentlich reinlich mit dem Präparat umzugehen; eine Wattefaser, eine Spur Schmutz von einem nicht absolut reinen Instrument giebt der ganzen Masse beim Brennen unter Umständen sofort eine schwarze Farbe, deren Ursprung man sich dann meist nicht erklären kann.

Die Herstellung einer Füllung aus Glas gestaltet sich darnach etwa folgendermassen. Die Höhle wird nach Anlegen des Cofferdams vorbereitet, indem man das cariöse Zahnbein sorgfältig entfernt und die Ränder sehr gut glättet, wobei namentlich die Bildung von Ecken und Winkeln zu vermeiden ist. Unterschnitte werden vorläufig noch gar nicht angelegt; das eigentliche Untersehneiden erfolgt vielmehr erst nach dem Brennen der Glasmasse. Bietet die Cavität an sich schon unter sich gehende Partien, so füllt man diese zweckmässig, wenn man sie nicht abschrägen kann, provisorisch mit etwas Fletchercement aus, damit der Abdruck nicht hängen bleibt. Im übrigen ist es einerlei, was die Höhle für eine Gestalt hat, ob sie also rund oder länglich oder sonstwie geformt ist. Man nimmt nun entweder einen Abdruck von der Höhle mit etwas Stentsmasse und giesst ein kleines Gypsmodell darnach, welches man zum Einbringen und Schmelzen der Abdruckmasse benutzt. Diese Methode ist aber nicht so gut, als wenn man den Abdruck direct mit etwas Gold- oder Platinfolie nimmt und in dieser die Glasmasse schmilzt. Man schneidet zu dem Zweck ein Stückchen Goldfolie Nr. 60 oder Platinfolie Nr. 30 zurecht, so gross, dass es die Cavität allerseits genügend überragt, legt es auf diese und drückt es zunächst mit einem Wattebäuschchen leicht in sie hinein. Man muss dabei zu vermeiden suchen, dass das Gold reisst (wenn schon ein kleiner Riss auch nicht allzuviel ausmacht). Durch sanftes Reiben mit einem kleineren, etwas fester gerollten Bäuschchen sucht man dann das Gold allseits an die Wände der Cavität anzudrücken, eventuell unter Aufsetzen eines breiten Stopfers auf das Bäuschchen und einigen leichten Hammerschlägen; liegt es der Höhle selbst überall an, so übergeht man die Randpartien mit dem Polirstahl, um namentlich von diesen einen gut schliessenden Abdruck zu erhalten. Auch auf die Aussenfläche des Zahnes muss man das Gold sorgfältig aufpoliren, um nachher sehen zu können, wie hoch die Glasmasse aufgetragen werden soll; die Höhle wird dabei zweckmässig mit einem Wattebäuschchen fest ausgestopft, um zu vermeiden, dass sich das Gold verschiebt. Liegt die Folie überall gut an, so entfernt man sie sehr vorsichtig, ohne sie (was nicht gerade immer leicht ist!) zu verbiegen oder zu zer-reissen, da sonst die Füllung nachher nicht ordentlich passt. Manche empfehlen, um ein Verbiegen des Abdruckes zu vermeiden, vorher ein Stückchen Wachs einzudrücken, das Gold mit diesem herauszuziehen und das Wachs dann auszukochen; ein Vorgehen, welches man sich leicht sparen kann. Ist der Abdruck somit zur weiteren Verwendung fertiggestellt, so mischt man etwas Glaspulver auf einer reinen Glasplatte mit etwas destil-lirtem Wasser, unter Benutzung eines absolut reinen Spatels ziemlich dünn, so dass, wenn man etwas von dem gebildeten Brei mit Hilfe des Spatels oder eines kleinen Pinsels in den Abdruck bringt, den man mit der Pincette an einem der freien Enden hält, und leicht auf die Pincette klopft, die Masse sich ordentlich in dem Abdruck ausbreitet. Man darf dabei nicht zu viel einbringen, damit nichts über die Ränder der Cavität sich ausbreitet. Um den eventuell vorhandenen Ueberschuss an Wasser zu entfernen, kann man leicht mit Fliesspapier abtupfen; dann erwärmt man langsam über der Spiritusflamme, um zunächst das Wasser zum Verdunsten zu bringen und weiterhin, unter Steigerung der Hitze, indem man schliesslich den Abdruck mit der Masse direct in die Flamme hineinhält, letztere zu backen. Das ist geschehen, wenn die Oberfläche gleichmässig glänzend aussieht, und kann man nunmehr wieder langsam erkalten lassen.

Man darf nicht zu rasch erhitzen und brennen, da die Masse sonst leicht Sprünge bekommt, auch die Hitze nicht zu sehr steigern, da die Goldfolie sonst schmilzt (Platin oder Platingold hält ziemlich jeden Hitzegrad aus). Zu schnelles Abkühlen macht Sprünge; das Brennen in einer ungeeigneten (nicht ganz farblosen) Flamme kann leicht Schwarzwerden der Masse bedingen, aus welchem Grunde sich Spirituslampen zum gedachten Zweck meist besser eignen als Gaslampen (Bunsenbrenner).

Bei kleinen Füllungen reicht ein einmaliges Backen meist aus, bei grösseren entstehen fast immer grössere oder kleinere Risse und die Masse sintert beträchtlich zusammen, so dass man nach dem Erkalten noch einmal frische Masse auftragen und ein zweitesmal backen muss; zweckmässig befeuchtet man dabei vor dem Auftragen der neuen die schon gebackene Masse etwas. Eventuell ist auch eine nochmalige Wiederholung dieses Vorgehens nöthig.

Ist alles gut, so zieht man das Gold herunter, streicht die Cavität mit dünn angerührtem Phosphatcement aus und drückt das Glasstückchen ein; war der Abdruck genau, so muss es vollkommen passen. Es ist zweckmässig, die Farbe des Cements heller zu nehmen, als das Glasstückchen; dies hat zwar den Nachtheil, dass, wenn die Ränder nicht ganz genau schliessen, ein weisser Rand zu sehen ist; nimmt man jedoch ein dunkleres Cement, so bekommt leicht das ganze Stückchen eine andere Farbe, indem es dunkler erscheint. Das Cement wird dünn angerührt, so dass, wenn man etwas davon in die Cavität bringt und das Glasstückchen aufdrückt, der Ueberschuss leicht an den Rändern ausweicht. Man muss sich dabei allerdings etwas beeilen, damit das Cement nicht schon anfängt, hart zu werden, ehe man das Stückchen hineingebracht hat. Um es bequem halten zu können, klebt man es mit einem kleinen Tropfen Modellirwachs an der Spitze irgend eines passenden Instrumentes (Excavator oder dergl.) fest. Der Ueberschuss von Cement wird mit dem Spatel entfernt, doch ist es gut, wenn man nicht zuviel daran herumoperirt, bevor das Cement vollkommen hart geworden ist. Es empfiehlt sich, den Cofferdam so lange liegen zu lassen, bis das Cement einigermassen hart geworden, ihn dann abzunehmen und erst am nächsten Tage etwaigen Ueberschuss von. Cement mit Papierscheibe oder Korund stein zu entfernen; versucht man dies in derselben Sitzung, so passirt es gar nicht selten, dass sich das Glasstückchen in dem noch weichen Cement lockert. Das Glasstückchen selbst soll so passen, dass ein nachheriges Abschleifen etc. nicht nöthig, da hierbei immer die Transparenz verloren geht und die betreffenden Partien dann (lunkler aussehen.

Man erzielt mit Glas ganz schöne Resultate, die den Patienten fast immer in hohem Masse befriedigen und auch in den meisten Fällen von guter Dauer sind. Zuweilen kommt es allerdings vor, dass das Glasstückchen im Laufe der Zeit seine Farbe ändert oder das Cement sich auflöst, so dass die Füllung herausfällt. Wenn es jedoch genau passte, der Cementrand also recht dünn gehalten werden kann, so ist letzteres weniger zu befürchten und hält eine Glasfüllung jedenfalls in den weitaus meisten Fällen sehr viel besser als eine Cementfüllung.

Eigentliche Unterschnitte sind zur Befestigung des Glasstückchens selten nöthig, in kleinen Höhlen wenigstens nicht, wenn sie nicht allzu flach sind. Ist dies der Fall, zeigt also das Glasstückchen nach dem Fertigstellen eine stark abgerundete Form, so kann man am letzteren zweckmässig ringsum oder auch nur an zwei gegenüberliegenden Seiten eine leichte Rinne einschneiden (mit dünner Korund- oder Diamantscheibe) und auch die Ränder der Cavität leicht unterschneiden. Es ist allerdings nicht immer ganz leicht, in dieser Weise an dem kleinen Stückchen zu hantiren; eventuell hilft man sich dann dadurch, dass man es mit Schellack auf irgend ein Instrument aufkittet und nachher durch Erwärmen wieder entfernt.

Aus dem Gesagten ergiebt sich schon die Hauptanwendung für Glas: wir werden es vor allem da benutzen, wo eine Füllung möglichst wenig auffallend sein (wie Gold) und doch auch wenigstens einigermassen dauerhaft (etwas mehr wie Cement) sein soll.

Wir verwenden Glas darnach also hauptsächlich in grösseren Cavitäten an den labialen Flächen der Frontzähne, wo jedes andere Material sehr auffällt; dann auch beim Aufbau von Ecken, wenn alle vier Wände der Cavität stehen, und schliesslich auch bei Approximalflachen, selbst wenn etwas von
der vorderen Wand fehlt; nur ist es meist sehr schwierig, bei solchen Cavi-täten einen ordentlichen Abdruck zu erhalten, wenn nicht zufällig der Nachbarzahn fehlt. Man kann sich dann häufig in der Weise helfen, dass man die hinteren (nicht ins Auge fallenden) Partien der Cavität mit Gold etc. ausfüllt, und dann nur die direct sichtbaren Partien der Cavität durch Glas ersetzt. Eventuell lassen sich auch noch Fälle, wo ausser der vorderen Wand noch ein kleiner Theil der Schneidekante fehlt, durch Glas ersetzen. Grössere Theile der Schneidekanten, beziehungsweise Kaukanten mit Glas aufzubauen, empfiehlt sich nicht, da das Material hierfür zu spröde und zerbrechlich ist. Besonders schöne Resultate erzielt man mit Glas zuweilen bei Bi-cuspidaten, deren äusserer Höcker weggebrochen ist. Cement nutzt sich hier bald ab und sieht ausserdem schlecht aus; ein Stiftzahn wird manchmal refüsirt; Amalgam sieht gleich nach dem Anlegen ganz gut aus, so lange es matt ist, nicht mehr aber wenn es polirt ist. Man kann in einem solchen Falle nachträglich einen Kasten aus der facialen Wand der Amalgamfüllung herausschneiden und durch Glas ersetzen; das sieht sehr gut aus und hält.

Im allgemeinen empfiehlt sich, wie wir aus der vorherigen Besprechung gesehen haben, Glas, seiner Zerbrechlichkeit wegen eigentlich nur für solche Fälle, wo überall genügend Zahnwand als Stütze vorhanden ist. Ist dies nicht der Fall, so müssen wir unsere Zuflucht häufig zu einem anderen Material nehmen, welches den gerügten Uebelstand in etwas geringerem Masse zeigt, dem Porzellan (Zahnmasse). Es unterliegt keinem Zweifel, dass sich dies für manche Fälle sehr viel besser als Glas eignet; nur ist eine Porzellanfüllung meist leider nicht so leicht herzustellen, wie eine Glasfüllung.

Porzellan schmilzt, beziehungsweise backt erst bei so hoher Temperatur, dass wir vor dem Brennen in einem von der Cavität gewonnenen Abdruck Abstand nehmen müssen, da dies nicht einfach über der Flamme geschehen kann. Wir müssen vielmehr zu einer anderen Methode unsere Zuflucht nehmen, der nämlich, dass wir aus einem ausgewählten, d. h. in Farbe und Form passenden künstlichen (Porzellan-)
Zahn ein dem Defecte entsprechendes Stück zurechtschleifen. Das ist mitunter recht schwierig, zuweilen auch recht langwierig.

Handelt es sich darum, eine einfache Höhle auf der labialen Fläche auszufüllen, so ist das nicht so schwer, namentlich wenn wir die Cavität kreisrund gestalten können; nach der Bohrergrösse können wir dann leicht auch die Grosse des Porzellan Stückchens zurechtschleifen.

Im allgemeinen präparirt man wie für Glas, doch schaden unter sich gehende Stellen hier nicht so viel. Dann wird ein passender Zahn ausgesucht und auf demselben oberflächlich die Partie angezeichnet, die dem auszufüllenden Defect entspricht. Mit Diamantscheibe oder Corundrad wird das vorgezeichnete Stückchen herausgeschnitten, wobei man aber die Vorsicht gebraucht, es noch etwas grösser zu lassen, als es nachher werden soll. Dann giebt man ihm, unter häufigerem Einpassen in die Cavität, mit dünnen Schmirgelscheiben oder kleinen Rädern seine definitive Form, wobei man darauf achten muss, dass die Ränder überall möglichst genau anschliessen. Befestigen kann man wie bei Glas, mit dünnem Cement oder auch mit Gold; gelingt das letztere, so ist man imstande, eine ausserordentlich haltbare und dabei schön aussehende Füllung herzustellen. Man bringt in solchen Fällen erst etwas Cement auf den Boden der Cavität, um das Stückchen einigermassen festzuhalten, und stopft dann den schmalen Raum zwischen dem Rand der Cavität und dem des Porzellanstückchens mit noncohäsivem Gold aus, unter Benutzung eines recht feinen (papierdünnen) Stopfers, den man sich leicht aus einem abgebrochenen Excavator oder dergl. zurechtschleifen kann. Unterschnitte am Stückchen oder in der Cavität sind dabei nicht nöthig. Im allgemeinen gilt auch hier das für Glas Gesagte.

Man verwendet heutzutage nach allgemeiner Einführung des leichter zu verarbeitenden Glases Porzellan für solche einfachen Defecte eigentlich wenig mehr, obgleich es ja mindestens ebenso gut hält. Indicirt ist aber seine Verwendung in jenen Fällen, wo es sich darum handelt, complicirfcere Defecte, namentlich solche mit theilweiser Zerstörung der Schneide-, beziehungsweise Kaukante zu ersetzen.

Nehmen wir einen Fall, wie in Fig. 73, wo eine Ecke eines Schneidezahnes fehlt. Wir suchen einen
Zahn, der in Farbe und Form passt, und schneiden zuerst ein Stück davon ab (a), etwas grösser als die zu ersetzende Ecke. Dieses Stück wird dann weiter bearbeitet, bis es die endgiltige Form angenommen hat, d. h. wir bringen, indem wir es schmäler schleifen, einen kleinen schwalbenschwanzförmigen Fortsatz (c) an, der zur Befestigung des Stückes dienen soll. Meist handelt es sich ja in solchen Fällen um tiefgehende Cavitäten, eventuell mit Zerstörung der Pulpa, so dass wir leicht Unterschnitte zur Aufnahme eines solchen Schwalbenschwanzes anbringen können.
Fig. 73.
Fig. 73.

Es ist nothwendig, dass wenigstens an die labiale Wand der Cavität das zugeschliffene Stückchen genau passt; an der lingualen Wand schadet es nicht allzuviel, wenn hier später etwas von dem zur Befestigung dienenden Cement zu sehen ist.
Zuweilen kann man für solche Fälle auch die beiden oder einen der Platinstifte des künstlichen Zahnes zur
Fig. 74.
Fig. 74.

Befestigung verwenden, etwa wie in Fig. 74. Die überstehenden Theile werden nach der Befestigung weggeschnitten (mit Diamant- oder dünner Korundscheibe) und hält das Ganze meist sehr gut; wenn wirklich eine Lockerung eintreten sollte, kann man immer leicht wieder befestigen. Wenn die ganze Schneide fehlt, wie in Fig. 75, kann man sie ersetzen, indem man ein entsprechendes Stück mit einem schwalbenschwanzförmigen Ansatz, der in der Cavität, beziehungsweise in der Pulpenkammer seinen Halt findet, zurechtschleift. Es ist oft erstaunlich, wie fest solche Stücke sitzen. In seltenen Fällen kann man auch das abgebrochene Stück des Zahnes selbst zum Wiederaufbau des Defectes verwenden, eine Methode, die sich oft zur Herstellung eines provisorischen Ersatzes empfehlen dürfte. Man befestigt dann einen oder zwei kleine Stifte im Zahne einerseits und in dem abgebrochenen Stückchen andererseits durch Einschrauben, beziehungsweise Einkitten mit Cement in vorgebohrte kleine Löcher. Porzellan eignet sich ausser für die angeführten Fälle dann auch besonders zum Ersatz eines fehlenden äusseren Höckers bei Bicuspidaten (einen fehlenden inneren Höcker baut man meist lieber mit Gold oder Amalgam auf), wobei man dann ähnlich verfährt wie beim Ersatz der Spitze eines Eckzahnes, und endlich auch zum Ersatz der fehlenden ganzen labialen Wand der Bicuspidaten und eventuell auch der Molaren. Zur Befestigung dienen dann auch hier die Platinstifte, die in der Cavität des Zahnes Halt finden. Man muss beim Ersatz dieser Partien dann aber darauf Rücksicht nehmen, den ersetzten Höcker etwas niedriger zu halten, damit er nicht beim Kauen direct getroffen und zerbissen wird.
Die Beherrschung der Technik der Porzellanfüllungen ist heutzutage für jeden Zahnarzt unerlässlich; in jeder Praxis finden sich Patienten, die auf eine Porzellanfüllung unter Umständen grosses Gewicht legen und sehr dankbar dafür sind.

Ganz neuerdings sind auch leichtflüssigere Porzellanmassen in den Handel gebracht worden, die genau so verarbeitet werden wie die Glasmasse, aber wesentlich bessere Resultate gewährleisten als diese. Zum Schmelzen dienen eigens construirte kleine Spiritus- oder Gasbrenner mit Gebläse, die einen hohen Hitzegrad geben, oder kleine elektrische Schmelzöfen.

Wir haben im Vorstehenden die allgemeinen Grundzüge kennen gelernt, unter deren Beachtung die Verarbeitung der verschiedenen Materialien zur Zahnfüllung zu erfolgen hat. Die gegebene Anleitung mag für alle jene Fälle ausreichen, wo es sich um gut erreichbare, nicht complicirte Zahndefecte handelt; sie bedarf aber noch einer Vervollständigung nach der Richtung hin, dass dies nicht der Fall ist.

Es liegt auf der Hand, dass es ceteris paribus umso sicherer gelingt, einen
Zahn durch die Füllung zu conserviren, wenn diese leicht herzustellen, als wenn dazu ein hohes technisches Können benöthigt wird. Ist es deshalb möglich, eine schwer zugängliche und damit nur schwer exact zu bearbeitende Cavität durch bestimmte Massnahmen einer bequemeren und damit sicheren Behandlung zugängig zu machen, so werden wir gut thun, dies zu bewirken, selbst wenn andere Nachtheile von mehr untergeordneter Bedeutung daraus resultiren sollten (etwas mehr Unbequemlichkeit, eventuell Schmerzhaftigkeit, grössere Sichtbarkeit der fertigen Füllung).

Die einfachste Art ist meistens, bei versteckten Cavitäten soviel als nöthig von der benachbarten gesunden Zahnsubstanz wegzunehmen (mit dem Meissel und der Bohrmaschine), um die Cavität mit den Präparations und Füllinstrumenten in allen Theilen bequem zu erreichen. Ist das nicht angängig, so müssen wir die Zähne in geeigneter Weise für die Dauer der Behandlung separiren.

Das kann auf sehr verschiedener Weise erreicht werden. Um mit Watte zu separiren, dreht man einen kleinen festen Strang aus ihr und stopft diesen dann allmählich in die Cavität, beziehungsweise zwischen die beiden Zähne mit Hilfe eines stumpfen Excavators und eventuell einiger leichter Hammerschläge. Die Watte liegt dann unter starkem Druck und drängt die Zähne bis zum nächsten Tage gut auseinander, indem sie im Speichel quillt. Eine Gummieinlage zum Separiren wird ausgeführt, indem man einen entsprechend breiten Gummistreifen von ein bis mehrere Millimeter Dicke auseinandergezogen zwischen die Zähne bringt und die überstehenden Enden dann abschneidet; dreieckig geformte Streifen, wie sie die Depots führen, eignen sich am besten hierzu, wenn man die Vorsicht gebraucht, sie nicht zu sehr nach dem Zahnhalse hin hochzuschieben, um das Zahnfleisch zu irritiren. Eine sofortige Separation erreichen wir am leichtesten durch Einschlagen eines dreieckig zugeschnittenen spitzen Holzkeils von Hickoryoder Orangeholz, welchen wir nahe dem Zahnfleische oder zuweilen noch vortheilhafter nahe den Schneideflächen zwischen die betreffenden beiden Zähne einschlagen und mit der Kneifzange abkneifen. Das Eintreiben nahe den Schneideflächen ist meist das weniger schmerzhafte, namentlich wenn man vorher mit einem dünnen spateiförmigen Instrument die Zähne schon ein klein wenig auseinandergezwängt hat; man schlägt dann den Keil ein, während der Spatel noch steckt.

Dann kann man auch versuchen, mit Hilfe von sogenannten Separatoren eine sofortige Separation zu erzielen. Es sind das kleine Apparate mit zwei keilförmigen Schneideflächen, die durch eine Schrauben Vorrichtung einander genähert werden können; setzt man diese Metallkeile zwischen die betreffenden beiden Zähne und zieht die Schrauben langsam an, so ist man dadurch imstande, die Zähne auseinander zu treiben (Fig. 76). Die Anwendung dieser Instrumente (es giebt besondere Sätze für Schneidezähne, Bicuspidaten und Molaren in verschiedener Construction) macht aber meist doch etwas mehr Schmerzen als die Separation auf anderem Wege. Wenn man also Zeit hat, d. h. nicht unbedingt in derselben Sitzung zu füllen braucht, ist von diesen schnellwirkenden Methoden abzurathen.

Endlich kann man auch noch, und das ist leider eine sehr häufig geübte Methode, durch dünne Separirfeilen den nöthigen Raum zu schaffen versuchen. Wie gesagt, leider, denn in vielen Fällen ist die Frage sehr schwer zu beantworten, ob wir auch feilen dürfen.

Wenn ziemlich die ganze Approximalflache nur noch von dünnen Rändern begrenzt wird, so können wir diese ruhig mit der Feile entfernen; haben wir aber nur eine kleine Höhle, während die Approximalfläche sonst aus festem, glattem, gesundem Schmelz besteht, so wäre es auf alle Fälle ein grosser Fehler, wenn wir einen grösseren Theil dieses Schmelzes wegnehmen wollten, bloss um Platz zu schaffen; umsomehr, da eine mit der Feile bearbeitete Fläche immer etwas rauh bleibt, wenn wir sie auch noch so sorgfältig poliren, und deshalb viel leichter cariös wird, als der unverletzte Schmelz.
Fig. 76.
Fig. 76.

Früher waren die Feilen in sehr allgemeiner Anwendung, nicht nur um Zugang zu schaffen, sondern auch, um die erkrankten Partien vollkommen zu entfernen, und sogar prophylaktisch, um dem Auftreten der Caries vorzubeugen. Erzeugt man mit Hilfe geeigneter Feilen (oder zweckmässiger mit kleinen Scheiben aus Corund unter Benutzung der Bohrmaschine) breite Zwischenräume, in welchen sich Speisereste nicht leicht ansammeln können, so wird allerdings dem Auftreten der Caries damit mehr weniger vorgebeugt: mit welchem Vortheil aber dem Umstände gegenüber, dass dabei oft ein Viertel der ganzen Zahnmasse, beziehungsweise Kaufläche geopfert wird, braucht nicht weiter erörtert zu werden. Auch werden die gefeilten Partien leicht unerträglich empfindlich.


Hinweis:
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem Text auf dieser Seite um einen Auszug aus einem über hundert Jahre alten Fachbuch der Medizin handelt.
So entsprechen vor allem die genannten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen nicht dem aktuellen Stand der Medizin, die Anwendung kann nicht nur die Diagnose einer Erkrankung verzögern, sondern auch direkt den Körper schädigen.

Hinweis: Der Text auf dieser Seite entstammt einem über einhundert Jahre alten Fachbuch. Daher entsprechen die gemachten Angaben nicht dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Verwenden Sie niemals die angegebenen Rezepturen und Heilmethoden, da sie gesundheitsgefährdend seien können.