Zahnoperationen: Gaisfuß

Heilkundelexikon

Zahnoperationen: Gaisfuß


Besondere Eigentümlichkeiten bieten die Milchzähne und solche Wurzeln, von denen noch eine Spitze aus dem Zahnfleisch herausragt und die bereits etwas gelockert sind. Für diese eignet sich am besten ein anderes hebelartiges Instrument, der sogenannte Gaissfuss.
Fig. 47: Gaisfuss.
Fig. 47: Gaisfuss.

Es besteht aus einem birnförmigen Griff, welcher bequem in der Vola manus liegen muss, und aus einer Stange, deren Ende stiefeiförmig umge bogen ist. Dieses Ende, das an manchen Instrumenten einen ausgeschweiften Rand besitzt und an der dem Zahne zugewendeten Seite ausgehöhlt ist, um dadurch besser unter das Zahnfleisch zu gelangen, wird dicht an den Zahnhals angelegt, möglichst tief in den Spalt zwischen Wurzel und Alveole gedrückt und dann die betreffende Wurzel nach innen (lingualwärts) herausgestossen (Fig. 48). Die Stellung des Operateurs ist aus Fig. 49 und 50 ohneweiters verständlich. Im Oberkiefer ist die Verwendung des Gaisfusses meist etwas unbequemer; das Instrument wird hier wie ein Petschaft gefasst und die Wurzel damit nach innen und unten herausgestossen (Fig. 51). Stehen Milchzähne noch sehr fest im Kiefer, d. h. ist deren Wurzel noch nicht zum Theil resorbirt, so ist auch hier eine bedeutendere Kraft
Fig. 48: Luxationsbewegungen mit dem Gaisfuss.
Fig. 48: Luxationsbewegungen mit dem Gaisfuss.

erforderlich. Aber derartige festsitzende Milchzähne werden selten extrahirt. Für instrumentescheue Patienten hat der Gaisfuss sammt den oben beschriebenen Hebeln den Vortheil, dass er sich bequem in der Hand verbergen lässt, Uebrigens existiren auch für Milchzähne besondere Zangen. Sie sind von derselben Form wie die für die bleibenden, aber in allen Verhältnissen kleiner. Meist kommt man ganz gut ohne sie aus, nur für die kindlichen unteren Molarzähne ist eine kleinere
Zange stets von grossem Nutzen. Die bisherige Beschreibung der Zahnextraction beschränkte sich nur auf ganz normale Fälle. Zuweilen jedoch entstehen infolge abnormer Entwicklung der Wurzeln bedeutende Schwierigkeiten. Dieselben können entweder stark distalwärts gekrümmt oder so auseinandergespreizt sein (untere Molarzähne), dass die gewöhnliche Kraft nicht ausreicht. Zuweilen stehen die Wurzelenden der unteren Molares so gegeneinander gerichtet, dass sie das Septum der Alveolen einschliessen, so dass dieses mit herausgebrochen werden muss, und zuweilen ist die Wurzel, wie bei den ersten oberen Bicuspidaten, bereits vom Halse anfangend so stark gespalten, dass es un- möglich ist, diese beiden Wurzeln durch die enge Alveolaröffnung hindurchzuführen. Ist der Zahn durch die ersten Lösungsversuche gelockert und ist es nicht möglich, ihn durch einen leichten Zug der Zange herauszubefördern,
Fig. 49: Anwendung des Gaisfusses in der rechten Unterkieferhälfte.
Fig. 49: Anwendung des Gaisfusses in der rechten Unterkieferhälfte.

so ist stets an eine anomale Form der Wurzeln zu denken, welche den Widerstand hervorruft. Derselbe muss jedoch so behutsam als möglich über-
Fig. 50: Anwendung des Gaisfusses in der linken Unterkieferhälfte.
Fig. 50: Anwendung des Gaisfusses in der linken Unterkieferhälfte.

wunden werden und stets ist es am vortheilhaftesten, den Zahn nach der Richtung herauszuheben, nach welcher hin die Wurzeln gekrümmt sind. Trotz aller Vorsicht wird aber doch zuweilen eine Wurzel oder ein Theil derselben in der Alveole zurückbleiben. Meist jedoch ist das abgebrochene Stück so gelockert, dass es sich mit dem Hebel leicht entfernen lässt. Ein kleines Stückchen von der Wurzelspitze, dessen Entfernung dem Operateur grosse Schwierigkeiten und dem Patienten grosse Schmerzen hervorrufen würde, kann ohneweiters in der Alveole zurückbleiben. Es wird dies allmählich bei der Narbenbildung in der Alveole durch die aus der Tiefe und von der Seite her wuchernden Knochengranulationen hinausgedrängt und Schmerzen werden durch ein kleines zurückgebliebenes Theilchen fast niemals erzeugt. Sitzt jedoch ein abgebrochenes Wurzelende sehr fest und werden durch dasselbe heftige Schmerzen erzeugt, so greift man, falls der Hebel nicht wirksam ist, zu Meissel und Hammer. Ohne das Zahnfleisch vorher einzuschneiden, wird der scharfe Meissel direct auf dasselbe gesetzt, und indem man mesial- und distalwärts die Alveole durchschlägt, fällt die Wurzel mit dem durchgeschlagenen Knochen heraus. Nach jeder Extraction ist es stets vortheilhaft, die Extractionswunde mit sauber gereinigten Fingern zusammenzudrücken, denn es wird stets der
Fig. 51: Anwendung des Gaisfusses im Oberkiefer.
Fig. 51: Anwendung des Gaisfusses im Oberkiefer.

labiale Theil der Alveole etwas ausgespreizt, respective partiell abgebrochen. Die Heilung verläuft weit günstiger, wenn die getrennten Theile so nahe als möglich aneinander gebracht werden. Etwaige lose in der Wunde liegende oder am Zahnfleische fest haftende Knochentheile oder Zahnsplitterchen müssen ebenfalls entfernt werden. Dagegen ist jede andere Nachbehandlung von Uebel und man braucht keine antiseptischen Mundausspülungen anzuwenden, höchstens solche, welche den üblen Geruch der sich im Munde zersetzenden Gewebsfetzen beseitigen, wie z. B. Lösungen von Kali hyperman-ganicum oder
Wasserstoffsuperoxyd. Der nach jeder Verwundung im Munde heftiger fliessende Speichel reinigt die Wunde zur Genüge.
Dahingegen ist es von grösster Wichtigkeit ? und es scheint fast überflüssig, dies in unserer, im Zeichen der Asepsis stehenden Zeit noch besonders zu betonen ?, die Instrumente so sauber als möglich zu halten und sie nach jeder Anwendung wie jedes andere Instrument zu sterilisiren. Ebenso ist das Operationsgebiet vor der Extraction entsprechend zu säubern, also vorhandener Zahnstein zu entfernen und den Zahnfleischrand mit einem in Carbolwasser getränkten Wattebäuschchen gründlich abzureiben.


Hinweis:
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem Text auf dieser Seite um einen Auszug aus einem über hundert Jahre alten Fachbuch der Medizin handelt.
So entsprechen vor allem die genannten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen nicht dem aktuellen Stand der Medizin, die Anwendung kann nicht nur die Diagnose einer Erkrankung verzögern, sondern auch direkt den Körper schädigen.

Hinweis: Der Text auf dieser Seite entstammt einem über einhundert Jahre alten Fachbuch. Daher entsprechen die gemachten Angaben nicht dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Verwenden Sie niemals die angegebenen Rezepturen und Heilmethoden, da sie gesundheitsgefährdend seien können.