Vibrio

Heilkundelexikon

Vibrio

Mit dem Ausdrucke Vibrio bezeichnete man früher wohl bewegliche Bakterien arten überhaupt. Heute ist der genannte Name in der bakteriologischen Wissenschaft für die zu der Gruppe der Spirillen gehörigen Gebilde reservirt, welche man auch als Kommabacillen bezeichnet (vergl. Bd. II, pag. 641). Es handelt sich um Bakterienarten, bei denen die Einzel zellen eigenbewegliche, kurze, leicht gekrümmte Stäbchen darstellen. Die Krümmung macht gewöhnlich die Hälfte einer Wellenlänge oder weniger aus. Ausser der Eigenschaft der Eigenbeweglichkeit kommt sämmtlichen Vibrionenarten noch zu das Unvermögen, Sporen zu bilden. Ihre Eigenbe wegung verdankt die Vibrionenzelle gewöhnlich einem einzigen Geisselfädchen, welches an dem einen Ende der Zelle angebracht ist.

Der wichtigste und bekannteste Vibrio ist der von R. Koch im Jahre 1883 entdeckte Choleravibrio, Vibrio cholerae asiaticae, der Komma- bacillus par excellence. (S. hierüber den Artikel Cholera.)

Ausser dem Choleravibrio giebt es eine Reihe weiterer, in ihren Eigen schaften mehr oder weniger gut studirter Vibrionenarten, deren Auffindung einestheils den Bemühungen zu verdanken ist, die man darauf gerichtet hat, in Epidemiezeiten den Choleravibrio im Wasser nachzuweisen, die andererseits-bei den verschiedensten Gelegenheiten und aus dem verschie densten Material durch das Culturvrerfahren isolirt worden sind. Wir wollen die bekanntesten derselben nachstehend kurz aufführen.

Finkler's Kommabacillus. Von Finkler und Prior1) in Bonn wurde im Jahre 1884 eine Vibrionenart (in der Folge auch als Vibrio Proteus bezeichnet) aufgefunden, und zwar in nicht mehr ganz frischen Dejectionen eines an Brechdurchfall Erkrankten. Die genannten Autoren hielten diese Art zunächst mit dem KocH'schen Choleravibrio für identisch. Eine ge nauere Prüfung hat jedoch ergeben, dass dieselbe von dem Choleravibrio total verschieden ist. Später ist der FiNKLER'sche Kommabacillus nie wieder einwandsfrei aufgefunden worden, weder bei Brechdurchfall (Cholera nostras), noch sonst irgendwo. Mit der Aetiologie irgend einer bekannten Krankheit hat der genannte Mikroorganismus nichts zu thun. Er wird seit, jener ersten und einzigen Auffindung in den bakteriologischen Laboratorien in künstlichen Culturen fortgezüchtet. Seine Einzelzellen sind morphologisch dem Cholera vibrio ausserordentlich ähnlich; die künstliche Cultur unterscheidet sich von der des Choleravibrio erstens durch das viel schnellere Wachsthum bei Zimmertemperatur und zweitens durch das viel stärkere Verflüssigungs- vermögen der Gelatine gegenüber. Der Ausfall der Indolprobe (Rothfärbung von Culturen in eiweisshaltigen Flüssigkeiten, Zusatz von Schwefelsäure) ist ein wechselnder.

Denekes Kommabacillus. Aus altem Käse züchtete Deneke2) 1885 eine Vibrionenart, welche morphologisch sowohl wie in dem Aussehen der Culturen dem Choleravibrio ähnlich ist. In Bezug auf die Schnelligkeit des. Wachsthums bei Zimmertemperatur steht der DENEKE'sche Vibrio zwischen dem Choleravibrio und dem Vibrio von Finkler. Er verflüssigt die Gelatine. Seine Culturen zeigen eine leicht gelbliche Färbung. Der Ausfall der Indol- probe ist auch bei diesem Vibrio ein wechselnder.

Vibrio Metschnikoff. Dieser Mikroorganismus wurde 1888 von Gamaleia3) in Odessa als Erreger einer (der Hühnercholera ähnlichen) Ge flügelseuche nachgewiesen. Der Vibrio Metschnikoff ist dem Cholera vibrio in allen seinen Eigenschaften äusserst ähnlich, unterscheidet sich von demselben wesentlich nur durch das Verhalten gegen Versuchsthiere: Tauben, die der Cholerainfection kaum zugängig sind, bilden geradezu ein Reagens auf den Vibrio Metschnikoff. Subcutan oder intramusculär geimpft gehen die Thiere innerhalb von 20 Stunden zugrunde. Auch Meerschweinchen sind sehr empfänglich für die Infection. Die bei den Thieren auftretende Krank heit ist von R. Pfeiffer4) in Anbetracht der Vertheilung der Vibrionen im Thierkörper als »Vibrionenseptikämie« bezeichnet worden.

Miller's Kommabacillus. Im Jahre 1885 isolirte W. D. Miller) aus einem cariösen Zahne einen Vibrio, welcher vielleicht mit dem Finkler- schen Vibrio (s. oben) identisch ist. Vibrio heikogenes, geschwürsbildender Kommabacillus. Mit diesem Namen wurde 1892 von B. Fischer6) eine Kommabacillenart be zeichnet, welche er aus diarrhoischem Stuhl reincultivirt hatte. Bei Mäusen entstanden nach subcutan er Einverleibung des Vibrio sehr häufig ausge dehnte Hautgeschwüre.

Vibrio Romanus. Name eines Kommabacillus, welcher 1893 von Celli und Santori7) aus dem Darminhalt einer Reihe von Cholerakranken und Choleraleichen gezüchtet wurde. Der Vibrio zeichnet sich dadurch aus, dass er bei 37 °nicht wächst; die obere Temperaturgrenze für. sein
Wachs- thum liegt erheblich tiefer. Er hat deshalb auch nicht die Fähigkeit, sich innerhalb des menschlichen Körpers zu vermehren. Vibrio IvÄNOFF. ^In den Ausleerungen eines Typhuskranken fand Ivänoff8) 1893 einen Vibrio, der vielleicht mit dem Choleravibrio identisch ist. Die Art, wie der Vibrio in das Untersuchungsmaterial hineingelangt ist, ist nicht ganz aufgeklärt. Die Untersuchung wurde im KocH'schen Institut zu Berlin ausgeführt.

Lissaboner Vibrio. Durch Pestana und Bettencourt9) wurde 1894 eine Epidemie von Gastroenteritis in Lissabon beobachtet, welche etwa 15. 000 Menschen befiel, und bei der nur ein einziger Todesfall vorkam. In 50 untersuchten Fällen fand sich fast constant ein bestimmter Mikroorga nismus in den Dejectionen, der oben genannte Vibrio. Auch im Leitungs wasser der Stadt wurde er nachgewiesen. Neben der Cholera asiatica reprä- sentirt der genannte Befund von Pestana und Bettencourt bisher den ein zigen Fall, in welchem man bei einer epidemisch auftretenden Darmerkran kung des Menschen einen specifischen Mikroorganismus in den Dejectionen nachgewiesen hat.

Vibrio terrigenus. Von C. Günther10) 1894 im Berliner Erdboden aufgefundener Kommabacillus, welcher am besten bei etwa 28 °wächst, kein Indol bildet, für Versuchsthiere nicht pathogen ist. Vibrio aus Sputum. Von Brix11) 1894 aus dem Sputum eines Pneu- monikers isolirte Kommabacillenart, welche nicht pathogen ist.. Massaua-Vibrio. Dieser Vibrio wurde 1891 von Pasquale12) in Massaua (Afrika) aus den Stühlen eines choleraverdächtigen, tödlich aus gehenden Krankheitsfalles gewonnen und zunächst von dein Autor mit dem Choleravibrio für identisch gehalten. Der Vibrio ist durch eine hohe Patho- genität für Meerschweinchen ausgezeichnet. Spätere Untersuchungen haben beträchtliche Differenzen des Massaua-Vibrio von dem Vibrio der Cholera asiatica feststellen lassen. Der Massaua-Vibrio ist wahrscheinlich identisch mit einem anderen, zu derselben Zeit von Pasquale in Brunnenwasser auf gefundenen Vibrio, dem Ghinda-Vibrio.

Vibrio Danubicus. Im Jahre 1892 von Heider13) aus dem
Wasser des Wiener Donaucanals isolirter Mikroorganismus, der grosse Aehnlichkeiten mit dem KocH'schen Choleravibrio besitzt.

Vibrio aquatilis. Von C. Günther14) 1892 im Wasser der Spree bei Berlin aufgefundener saprophytischer Mikroorganismus, welcher morpho logisch dem Choleravibrio ähnlich ist, sich namentlich aber durch seine völlige Unschädlichkeit für Versuchsthiere, ferner dadurch von demselben unterscheidet, dass die Culturen einen höchst unangenehmen Geruch be sitzen, dass das Temperatur Optimum bei etwa 28 °liegt, und dass kein Indol producirt wird.

Vibrio Berolinensis. Im Jahre 1893 von M. Neisser16) im Berliner Leitungswasser aufgefundener Vibrio, der sich durch eine grosse Aehnlich- keit mit dem KocH'schen Choleravibrio auszeichnet, von dem letzteren sich aber namentlich dadurch unterscheidet, dass er die Nährgelatine ganz ausser- ordentlich langsam verflüssigt. Die Colonien, welche er in der Nährgelatine bildet, haben infolge dessen gar keine Aehnlichkeit mit Choleracolonien; sie erscheinen von feinkörnigster Structur und sind absolut glattrandig, so dass sie den Eindruck von Fetttröpfchen machen. Für Meerschweinchen ist der Vibrio Berolinensis ebenso pathogen wie der Choleravibrio, ferner bildet er Indol wie dieser.

Vibrio Dunbar. Diese Art wurde 1893 von Oergel aus Eibwasser isolirt. Dunbar16) wies ihre grosse Verbreitung im Stromgebiet der Elbe nach. Es handelt sich um eine dem Choleravibrio sehr ähnliche Bakterien art, die aber die charakteristische Eigenschaft (die man bis jetzt an keiner weiteren Vibrionenart festgestellt hat) besitzt, dass ihre Culturen im Dunkeln leuchten. Diese Eigenschaft der Phosphorescenz wurde von Kutscher17) entdeckt.

Vibrio Rugula. Von Ferdinand Cohn18) 1872 beschriebene, in Auf güssen organischen Materials häufig vorkommende, nicht pathogene Bak terienart, welche schwach, aber deutlich gebogene Fäden bildet, die sehr dick und 8 ?16ku. lang sind. Die künstliche Cultur ist zuerst Bonhoff19) gelungen.

Vibrio serpens. Die nicht pathogene, in Aufgüssen von organischem Material vorkommende Bakterienart wurde wie die vorhergenannte zuerst von F. Cohn20) 1872 beschrieben und durch Kutscher21) 1895 zuerst in künstlicher Reincultur erhalten. Sie bildet starre, lockenähnliche Fäden, welche etwa halb so dick sind wie die von Vibrio Rugula, und die in der Regel 3 ?4 flache, regelmässige Wellenbiegungen besitzen.

Literatur:

1) Finkler und Prior, Tageblatt der 57. Versammlung deutscher Natur forscher und Aerzte. Magdeburg 1884, pag. 216 ff. Deutsche med. Wochenscbr. 1884, pag. 632, 657. Tageblatt der 58. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. Strassburg 1885,. 28 Vibrio. ?Vichy. pag. 438 ?440. Ergänzungshefte zum Centralbl. f. allg. Gesundheitspfl. 1885, I, pag. 279if. ? 2) Deneke, Deutsche med. Wochenschr. 1885, Nr. 3. ?3) Gamaleta, Annal. de l'Inst. Pasteur. 1888, Nr. 9, 18. Ebenda. 1889, Nr. 10, 11, 12. ?4) R. Pfeiffer und Nocht, Zeitschr. f. Hygiene. 1889, VII. ?5) W. D. Miller, Verein f. innere Med. 16. Februar 1885. Deutsche med. Wochenschr. 1885, pag. 138. Ferner W. D. Miller, Die Mikroorganismen der Mund höhle. Leipzig 1892, 2. Aufl., pag. 65 ff. ?6) B. Fischer, Deutsche med. Wochenschr. 1893, pag. 576 ff. ?7) Celli und Santori, Annali dell'istituto d'igiene sperimentale della E-. Uni- versitä di Roma. IV (nuova serie), pag. 233 ff. Rom 1894. ?8) Ivanoff, Zeitschr. f. Hygiene. 1893, XVibrio S. auch Issaeff und Ivanoff, Ebenda. 1894, XVII. ?9) Pestana und Betten- coürt, Centralbl. f. Bakteriol. 1894, XVI, Nr. 10 ?11. ?10) C. Günther, Hygienische Rund schau. 1894, Nr. 16, pag. 721 ff. ?") Brix, Ebenda. 1894, pag. 913. ?12) Pasquale, Giornale med. del R. Esercito e della R. Marina. Roma 1891, pag. 1009. S. ferner auch A. Paequale, Patologia di Massaua. Ricerche etiologiche ed anatomo-patologiche. Roma 1894, pag. 50 ?60. ?13) Heider, K. k. Gesellsch. d. Aerzte in Wien. 11. November 1892. Wiener med. Wochenschr. 1892, pag. 1809. Ferner Centralbl. f. Bakteriol. 1893, XIV, Nr. 11. ? u) C. Günther, Deutsche Gesellsch. f. öffentl. Gesundheitspfl. 28-November 1892. Deutsche med. Wochenschr. 1892, Nr. 49, pag. 1124. ?15) M. Neisser, Arch. f. Hygiene. 1893, XIX. S. auch C. Günther, Ebenda. 1893, XIX, pag. 221. ?16) Dunbar, Deutsche med. Wochen schrift. 1893, pag. 799; Arbeiten aus dem kais. Gesundheitsamte. 1894, IX, pag. 379 ff. ? 17) Kutscher, Deutsche med. Wochenschr. 1893, pag. 1301; Centralbl. f. Bakteriol. 1895, XVIII, pag. 424. ?18) F. Cohn, Beiträge zur Biologie der Pfl. 1872, I, Heft 2, pag. 178; ebenda, Taf. 3, Fig. 16. ?19) Bonhoff, Arch. f. Hygiene. 1896, XXVI, pag. 169 ff. ? 20) F. Cohn, Beiträge zur Biologie der Pfl. 1872, I, Heft 2, pag. 179; ebenda, Taf. 3, Fig. 17 u. 18. ?21) Kutscher, Zeitschr. f. Hygiene. 1895, XX, pag. 54, 59. Carl Günther (Berlin).

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