Korrektur zu Wurstgift
Korrektur zu Wurstgift
Wurstgift. Die Namen Wurstgift, Venenum botulinum und Wurstvergiftung, Botulismus, Allantiasis, sind ursprünglich für die unter einem eigenthümlichen Symptomencomplexe verlaufenden Vergiftungen gebräuchlich, welche früher im südwestlichen Deutschland, besonders im Königreiche Württemberg und Grossherzogthum Baden, namentlich auf dem Lande, einen sehr erheblichen Beitrag zur Morbilität und Mortalität dieser Gegenden lieferten, wie dies zuerst der bekannte Dichter und Arzt Justinus Kerner in Weinsberg in verschiedenen Schriften (1817?1821) zeigte. *) Nach Dann sind in dem Zeiträume von 1793?1827 im Württembergischen 234 Fälle bekannt geworden und Schlossberger schätzte die bis 1853 vorgekommenen Erkrankungen auf 400, wovon 150 tödlich endigten. Kerner theilte in seiner ersten Schrift 76, bis zum Jahre 1789 zurückreichende Fälle mit, von denen 37 letal endigten, und in seiner zweiten Schrift bereits 155, darunter 84 tödliche. Die Allantiasis, welche ihr Hauptrayon im württembergischen Schwarzwalde und in der Umgegend des sogenannten Welzheimer Waldes hatte, hat allerdings im Laufe der Zeit in Württemberg an Frequenz erheblich abgenommen, so dass in den Jahren 1832?1860 die Zahl der Erkrankungen auf 82 und die der Todesfälle auf 19 sich stellt2), während von 1860?1874 in der medicinischen Literatur nur 15 Beobachtungen aus Württemberg sich finden. In den letzten 5 Jahren ist die Zahl der ausser-halb Württembergs und Badens vorgekommenen Wurstvergiftungen grösser als die der in dem ursprünglichen Bezirke beobachteten. Ganz zuverlässig sind diese statistischen Erhebungen nicht, insofern unter die Rubrik der Wurstvergiftung manche anderen Krankheiten ange-hörige Fälle gebracht werden, welche zwar allerdings durch den Genuss von Würsten entstanden, aber unter Erscheinungen, die von der gewöhnlichen Wurstvergiftung abweichen, verlaufen sind. In erster Linie sind es Fälle von Trichinose gewesen, welche man, ehe dieselbe als Morbus sui generis bekannt war, häufig der Wurstvergiftung beizählte und durch deren Vereinigung mit dieser die in den Handbüchern der Pathologie und Toxikologie gegebene Schilderung der Symptomatologie des Botulismus nicht immer rein ausfällt. Einzelne Fälle von Allantiasis gehören unter die Kategorie der Mycosis in-testinalis, verursacht durch die Benutzung milzbrandigen Fleisches zur Wurstmasse. Zur Trichinose und zum Milzbrandfieber gehören namentlich mehrere ausserhalb des Rayons der Wurstvergiftung vorgekommene Massenerkrankungen, zur Trichinose insbesondere die von Kopp beschriebene Erkrankung von 34 Personen durch Bratwürste in Niederhessen 3), zur Intestinalmykose die sogenannte Middelburger Leber Wurstvergiftung (vergl. Artikel Fleischvergiftung) und möglicherweise noch ein zur Wurstvergiftung gerechneter englischer Fall von Michael (1856). Dagegen kann es keinem Zweifel unterliegen, dass verschiedene, ausserhalb Württembergs und Badens vorgekommene Erkrankungen durch den Genuss von Würsten der eigentlichen Wurstvergiftung angehören und dass wirklicher Botulismus in Westphalen (Kreis Soest, Olpe), im Förstenthum Lippe (Elbrinxen), in verschiedenen Orten von Bayern4), in Sachsen 5), in Holstein und in der Provinz Hannover 6), ausserhalb Deutschlands auch in Ungarn7) zur Beobachtung kamen. In der Regel kommen die Vergiftungen auf dem Lande oder in Landstädten vor, ausnahmsweise in grösseren Städten (Dresden, Celle), wo das Vergiftungsmaterial häufig auch vom Lande stammt. In neuester Zeit ist es gebräuchlich geworden, die Bezeichnungen Wurstvergiftung und Botulismus auf alle Vergiftungen durch verdorbene animalische Nahrungsmittel auszudehnen, die sich unter dem Bilde der schwäbischen Wurstvergiftung darstellen. Solche Vergiftungen, die man nach den an Atropinvergiftung erinnernden Krankheitserscheinungen auch Ptomatropinismus (Kobert) oder Zootrophismus tropeinicus (Hüsemann) genannt hat, sind nach dem Genüsse conservirter animalischer Nahrungsmittel der verschiedensten Provenienz beobachtet worden. So nach Büchsenfleisch, Wildpastete, Leberpastete, Schinken, conservirten Kriekenten, in Essig con-servirten Schleien, Salzhäringen, Bücklingen (vergl. den Artikel Fleischund Fischgift), ja selbst nach Krebsen8) und Tintenfischen. 9) Die Mehrzahl dieser Conserven bieten in Bezug auf die Entstehung des Giftes mit den Würsten das Gemeinsame, dass das Material, in dem sich die toxische Substanz erzeugt, unter möglichster Absperrung der Luft und des atmosphärischen Sauerstoffes aufbewahrt wurde. Dieser Umstand und die Gleichartigkeit der Erscheinungen Hessen es a priori als wahrscheinlich erscheinen, dass es sich um die Wirkung eines Ptomains handle, das unter dem Einflüsse eines eigenthümlichen anaeroben Bacillus entstehe. Indessen ist es erst in der neuesten Zeit Ermengem10) gelungen, bei einer unter den Symptomen des Botulismus verlaufenden Massenvergiftung durch rohen Schinken im Dorfe Ellezelles im Hennegau, einen eigenthümlichen, als Bacillus botulinus bezeichneten sporentragenden anaeroben Bacillus zu finden. Von diesem, der etwa 4?9 p lang und 0, 2 ja dick ist, schwache Eigenbewegung besitzt, Nährgelatine verflüssigt, am besten bei 20?30° C, schlechter bei Temperaturen über 35° wächst, wird nach Kempner und Pollak«) ein leicht zersetzliches Toxin erzeugt, das in seinem Verhalten dem Diphtherie- und Tetanustoxin sehr nahe steht und bei verschiedenen Thierarten Symptome erzeugt, deren Aehnlichkeit mit dem Botulismus des Menschen nicht verkannt werden kann. Es ist wohl keinem Zweifel unterworfen, dass, wenn auch der directe Nachweis des Bazillus botulinus und des BRiEGER'schen Toxins für die giftigen Würste Schwabens und anderer Länder bisher nicht geführt ist, diese auch für den Botulismus im engeren Sinne als Ursache anzunehmen sind. Das Auffinden des Botulismusbacillus und Toxins und deren Verhalten verbreitet Licht über verschiedene, bisher der Erklärung nicht zugängige Punkte der Wurstvergiftung. Die schlechte Entwicklung des Bacillus in Medien über 30° einerseits und die Leichtzersetzlichkeit des Toxins geben die beste Erklärung dafür, dass die Verfütterung der Würste an Thiere (Katzen, Hunde) meist keine Erkrankung hervorruft (Schlossberger, Hoppe Seyler, Kaatzer). Derartige negative Resultate aber können auch darin ihren Grund haben, dass keineswegs immer die ganze Wurstmasse giftig ist, sondern häufig nur einzelne Theile derselben, während der Rest ungiftig ist. Eine solche ungleiche Vertheilung des Bacillus hat auch Ermengem in dem giftigen Schinken, wo der Speck und mehrere Muskeistücke fast frei waren, nachgewiesen. Dies erklärt die Differenzen, welche sich bei verschiedenen Personen nicht blos nach dem Genüsse gleicher Mengen einer giftigen Wurst, sondern auch in der Weise ergeben, dass Personen, welche nur wenige kleine Scheiben verzehrten, stärker erkrankten als solche, welche reichlich von der Wurst genossen hatten. Man braucht danach also nicht auf individuelle Prädispositionen zurückzugreifen. Es giebt kaum eine Krankheit, deren Theorie dem Pathologen soviel Kopfzerbrechen gemacht hat wie die Wurstvergiftung. Eine Kritik der verschiedenen Hypothesen hat gegenwärtig kein Interesse mehr, und es mag nur historisch bemerkt werden, dass, nachdem man Blausäure, Pikrinsäure und Wurstfettsäure eine Zeit lang als giftiges Princip der giftigen Würste angesehen hatte, zuerst Schlossberger 12) auf organische Basen hinwies; doch ist die von ihm beobachtete flüchtige Base zweifelsohne nicht mit dem Botulismustoxin identisch. Auf das Vorhandensein von Vibrionen in giftigen Würsten wiesen 1861 Müller13) und Hoppe-Seyler hin; nach Bacillen suchten später Eichenberg und Virchow vergebens. Noch 1897 konnten Brieger und Kempner14) in Resten einer Gänseleberpaste, welche Botulismuserscheinungen hervorgerufen hatte, nur Bacterium coli-Arten und eine dem GÄRTNER'schen Bacillus nahestehende Form gewinnen, die bei Thieren keine für Botulismus charakteristischen Symptome erzeugte. Das Factum, dass die Wurstvergiftung in bestimmten Gegenden vorzugsweise häufig vorkommt, weist darauf hin, dass hier bestimmte Bedingungen vorhanden sind, welche die Entwicklung des Bacillus und die Bildung des Toxins begünstigen. Die Würste, welche vorzugsweise die Erkrankung erzeugen, sind Leber- und Blutwürste, mitunter auch andere Würste, welche durch Mischen von Gehirn, Blut, Semmel, Milch, Fleischbrühe, Fettwürfeln u. s. W; bereitet werden. Unter diesen scheinen besonders die in Schwaben unter dem Namen der Blunzen bekannten, in Schweinemagen gefüllten Würste die Entstehung des Giftes zu begünstigen, was nicht auffallen kann, da die Dimension solcher Würste ein gehöriges Durchdrungenwerden vom Rauche einerseits und ein gehöriges Austrocknen der Wurstmasse andererseits unmöglich macht. Kommt hierzu eine verhältnissmässig grosse Menge von Flüssigkeit bei der Bereitung der Wurstmasse, auf welche namentlich Müller (1869) aufmerksam machte, so werden die Bedingungen für die Entwicklung des Bacillus noch günstiger. Hiermit steht denn auch das wiederholt constatirte Factum im Zusammenhange, dass mitunter die Peripherie der Würste, welche gehörigen Rauch erhalten hat und hinreichend trocken geworden ist, ungiftig bleibt und die giftige Substanz sich nur im Centrum der Wurst ausbildet, das dann auch Veränderungen der Consistenz und der Farbe zeigen kann. Je schlechter die Räucherung stattfindet, um so leichter kommt es natürlich zur Zersetzung. In Schwaben fehlt es am Räucherorte meist an dem gehörigen Luftzuge; die Würste hängen nicht wie in Westphalen frei auf dem*Hausflure, wo sie dem Rauche und dem Luftzuge in gleichem Masse ausgesetzt sind, oder doch, wie anderswo, hoch oben im Kamin, im dünnen bereits abgekühlten Rauche, sondern dicht über dem Feuer (Böhm). In einem Falle von Wurstvergiftung im Lippe'schen wurde die unz weck massige Anlage der Rauchkammer, welche dem Luftzuge fast unzugänglich war und unmittelbar fast über dem Feuerherde sich befand, ausserdem viel zu geringe Dimensionen besass, als Ursfehe der Erzeugung des Wurstgiftes angesehen. Befördernd mag die Verderbniss der Würste in Schwaben auch noch dadurch werden, dass die Würste im Winter nachts, wo man dort kein Feuer unterhält, gefrieren und am folgenden Tage wieder aufthauen, oder dass man ein in Zersetzung begriffenes Material, insbesondere mehrere Tage altes Thierblut, den Würsten bei der Bereitung zusetzt oder endlich diese, statt an der Luft und in kühlen Räumen, in geschlossenen Kisten aufbewahrt. Dass nicht gehöriges Kochen der in die Würste eingehenden Fleischstücke zur Bildung von Wurstgift prädisponirt (Tritschler), ist wegen der ausbleibenden Abtödtung von Keimen wahrscheinlich. Die Mehrzahl der Erkrankungen durch Wurstgift kommt auf die Frühlingsmonate, offenbar weil das Schlachten der Schweine vorzugsweise in die Wintermonate fällt und die aufbewahrten Würste bis zu dem Beginn der wärmeren Witterung in der Regel aufgezehrt werden. Für die Monate März und April sind somit die Bedingungen für das Vorhandensein von Wurstgift (längere Dauer der Aufbewahrung, Einwirkung wechselnder Temperatur) die günstigsten. Im übrigen liegen Beweise dafür vor, dass es keineswegs mehrmonatlicher Aufbewahrung der Würste bedarf, sondern dass sich das Gift schon innerhalb weniger Tage in relativ frischen Würsten entwickeln kann. Für die Annahme, dass die Fütterung der Thiere von Einfluss sei, liegen Beweise nicht vor. Die Beschaffenheit der giftigen Würste ist nicht in allen Fällen dieselbe; manchmal wird das Aussehen geradezu als frisch und normal bezeichnet, wobei man freilich berücksichtigen muss, dass die in der Regel untersuchten Reste der Mahlzeit ganz anders wie die verspeisten Partien aussehen können, da, wie wir bereits hervorhoben, namentlich das Centrum oft ganz andere Beschaffenheit wie die peripherischen Partien zeigt. Dass die verdorbenen Würste auf frischen Durchschnitten schmutzig grau-grünliche Farbe und weiche, käseartig schmierige Beschaffenheit besitzen, höchst unangenehmen Geruch nach faulem Käse verbreiten, widerlich schmecken und im Halse Gefühl von Kratzen hervorrufen (Böhm), entspricht leider nicht der Wirklichkeit, da, wenn diese Kriterien vorhanden wären, man sich mehr vor dem Genüsse hüten würde, denn derartige Würste würden ohne Zweifel nur ausnahmsweise verzehrt werden. Meist beschränkt sich die Veränderung ausschliesslich auf etwas weiche und schmierige Consistenz, wozu bisweilen etwas säuerlicher Geschmack und ranziger Geruch hinzukommt; die weiche Beschaffenheit betrifft dann häufig das Innere, während die Peripherie härter und selbst bröcklich und krümlich sein kann. Mit Luft gefüllte Hohlräume sind wiederholt in giftigen Würsten bemerkt, finden sich aber auch mitunter als Sitz von Schimmelpilzen in völlig ungiftigen. Die Quantitäten giftiger Wurst, welche Erkrankung oder Tod herbeiführen können, lassen sich nicht feststellen und sind offenbar verschieden. Wiederholt ist vorgekommen, dass die centralen Theile heftige Vergiftungserscheinungen erzeugten, während die Peripherie nur leichte oder gar keine Erkrankung hervorrief.
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